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Neuer Dreh mit alter Leier: So täuschen Orgelspieler

Panorama / Lesedauer: 3 min

Hifi-Drehorgelattrappen verärgern Traditionalisten und Liebhaber
Veröffentlicht:07.04.2016, 16:45

Von:
  • Schwäbische.de
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Die deutsche Drehorgelszene fühlt sich bedroht: Findige Trittbrettfahrer wittern das Geschäft mit der traditionsreichen Straßenmusik und schrecken dabei auch vor dem Einsatz elektronisch hochgezüchteter Drehorgelattrappen nicht zurück.

Zum Teil täuschend echt in ihrer Optik, entpuppen sich die fahrbaren, farbenfroh lackierten Kästen bei genauerem Hinsehen schnell als ungenierter Etikettenschwindel – ohne mechanisches Innenleben, dafür aber mit Akkuversorgung und Drehorgelhits im MP3-Format. Der Club Deutscher Drehorgelfreunde (CDD) wittert einen Skandal und will die Leierkastenlüge bei seinem Jahrestreffen heute in Speyer zum Thema machen.

Rafael Engeser kommt aus Überlingen und ist Vereinsmitglied beim CDD. Als Geschäftsführer der Drehorgelmanufaktur Raffin kennt er die Problematik mit den Attrappen, die immer häufiger in Fußgängerzonen oder auch auf Jahrmärkten auftauchen. Einmal habe er selbst einen Drehorgelspieler beobachtet, erzählt Engeser – „der hat die tollsten Stücke gespielt, aber für die Tonfülle war seine Orgel viel zu klein.“ Dabei ist die digitale Aufrüstung traditioneller Drehorgelsysteme gar kein neues Phänomen: Seit einigen Jahren schon verbaut die Firma Raffin kleine Mikrochips in ihren Leierkästen. Darauf gespeichert sind aber keine Musikaufnahmen, sondern lediglich die zu den einzelnen Stücken gehörenden Notensätze. Das lästige Mitschleppen und Wechseln von klassischen Lochstreifen entfällt, der Klang aber wird weiterhin mechanisch erzeugt. „Wir vertreiben keine Attrappen“, betont Engeser.

Die Szene hat der Trend zur Hifi-Anlage im schmucken Leierkastengewand bereits ordentlich durchgewirbelt. Rafael Engeser jedoch hält die Unkenrufe für übertrieben, das traditionelle Orgelspiel mit Musikrollen und mechanischer Tonerzeugung sieht er noch lange nicht in Gefahr. Die Attrappen seien bislang nicht weit verbreitet, es handle sich lediglich um ein paar ärgerliche Einzelfälle, so Engeser. Problematisch findet er nur, dass Passanten und Zuhörer den Schwindel auf Anhieb nicht erkennen könnten. „Das ist Betrug, als Laie hört man da nicht unbedingt einen Unterschied.“

Im Original steckt mehr Dynamik

Einer, der den Unterschied zwischen Original und digital zusammengestauchter Fälschung sehr wohl erkennt, ist Michael Scheck. Vor gut 40 Jahren hat der gelernte Klavierbauer aus Stuttgart seine Liebe zur Drehorgelmusik entdeckt. Heute besitzt Scheck sechs unterschiedliche Exemplare, in keiner davon sei Elektronik versteckt, versichert er. „Bei einer echten Drehorgel ist mehr Dynamik drin“, erklärt Scheck. „Ich kann schneller oder langsamer spielen, kann variieren und betonen wie es mir passt.“ Der 65-Jährige versteht sich selbst als Aufklärer, einer, der anderen Menschen gerne zeigt, wie ein Leierkasten von innen aussieht, wie er richtig funktioniert und wie über die Löcher in der Musikrolle Luft aus dem Blasebalg in die Orgelpfeifen gelangt und so Töne entstehen. Die Anekdote vom kleinen Jungen, der neugierig um seine Drehorgel schleicht, um den Stromstecker zu finden, erzählt Scheck mit großväterlichem Amüsement.

Und trotzdem: Traditionalisten geht der Schmu mit den falschen Leierkästen zu weit. Sina Hildebrand von der Fachstätte für historische Musikautomaten sieht in den Attrappen den Versuch, sich „auf die billige Tour“ unters Volk zu mischen und als Alleinunterhalter Passanten und Drehorgelfreunden das Kleingeld aus den Taschen zu ziehen. „Das ist sehr ärgerlich, vor allem für die, die seit vielen Jahren mit Herz und Leidenschaft echte Drehorgelspieler sind“, sagt Hildebrand und klingt verärgert. Mit ein wenig handwerklichem Talent und den passenden Elektronikbauteilen könne eben jeder ein mehr oder weniger überzeugendes Imitat zusammenbauen. Um sicherzustellen, dass der Drehorgelklang aus dem Musikkasten keiner digitalen Playlist entspringt, müsse man deshalb ganz nah ran, so Hildebrand: „Wenn beim Spielen keine Luft aus den Pfeifen kommt, wird man für dumm verkauft.“