Deutliche Worte
Schauspielerin Michaela Mays emotionale Abrechnung mit der Kirche
Panorama / Lesedauer: 7 min

- Robin Halle
Sie steht seit 60 Jahren vor der Kamera, man kennt sie aus Filmen und Serien wie „Kir Royal“, „Monaco Franze“, „Der Bergdoktor“ oder „Polizeiruf“: Schauspielerin Michaela May (71) kommt am 14. Oktober nach Ravensburg, um ihr neues Fernsehspiel „Ich will mein Glück zurück“ vorzustellen. Vorher gibt sie der „Schwäbischen Zeitung“ ein bemerkenswertes Interview.
Beginnen wir mit einem ernsten Thema. Sie haben in Ihrer Biografie „Hinter dem Lächeln“ erstmals geschrieben, dass sich ihre zwei Brüder und ihre Schwester im Alter von 28, 35 und 22 Jahren das Leben nahmen. Alle litten unter Depressionen. Wie haben Sie den Tod Ihrer Geschwister verarbeitet?
Es ging um die Frage: Wie kommt man darüber weg und wie kann man trotzdem das Leben genießen. Das war ein Prozess über zehn Jahre. Diese Zeit war sehr einschneidend. Ich habe gedacht, alles stirbt um mich herum. Ich wollte aber leben! Ich wollte Dinge machen, die mich erfüllen: Reisen, Sprachen lernen, steppen und so weiter. Als meine Schwester starb, war ich im fünften Monat schwanger. Ich habe gesehen, dass neues Leben entsteht und dass nicht alles stirbt. Daraus konnte ich Hoffnung schöpfen. Da sind wir beim Verarbeiten, wie Sie es nennen. Mein erstes Kind und alle weiteren waren eine große Hilfe bei der Verarbeitung meiner Familiengeschichte.
Die Kirche hat uns in der größten Not alleingelassen und bestraft!
Hatten Sie Angst, selbst an Depressionen zu erkranken?
Nein. Der Tod meiner Geschwister lag nicht an unserer Familiengeschichte. Es waren drei unterschiedliche Fälle. Es kam viel zusammen. Drogen, die kaum vorhandene Forschung in der Psychotherapie und anderes. Ich habe wahnsinnig gerne gelebt. Das tue ich immer noch.
Sie sind nach dem Tod Ihrer Mutter aus der Kirche ausgetreten. Warum?
Die Kirche hat mich in vieler Hinsicht enttäuscht. Meine Eltern haben mich getauft, ich bin sehr religiös erzogen worden. Meine Eltern haben sich nach dem Tod meiner Geschwister am Glauben festgehalten. Sie waren davon überzeugt, dass man sich nach dem Glauben der katholischen Kirche im Jenseits wiedersieht. Das hat meinen Eltern sehr geholfen. Mein allererster Zweifel kam durch meinen Bruder, der diese Gottes- oder Wundergläubigkeit bezweifelte. Da habe ich zum ersten Mal gehört, dass man am Glauben zweifeln kann. Ich war damals acht oder neun Jahre alt.
Das heißt, es war ein jahrzehntelanger Prozess, in dem Sie sich von der katholischen Kirche losgelöst haben?
Ja. Als mein erster Bruder im Jahr 1974 starb, hat die katholische Kirche eine Selbsttötung als Sünde empfunden. Es wurde gesagt: Gott gibt das Leben und wenn man es nimmt, ist es eine Sünde. Es gab seitens der Kirche keinerlei Begleitung. Das war für meine Eltern wahnsinnig schlimm. Für mich war es eine große Enttäuschung. Die Kirche hat uns in der größten Not alleingelassen und bestraft! Das habe ich damals nicht verstanden, ebenso wie meine Eltern. Es gab bei der Beerdigung keine Messe und keine Begleitung. Es gab nur einen befreundeten Kaplan, der in der Aussegnungshalle eine liebevolle Ansprache gehalten hat.
Und dann?
Wir haben innerhalb der Familie vereinbart, nicht über den Tod meiner Geschwister zu sprechen. Wir wollten keine Wunden aufkratzen. Todes- und Geburtstage wurden nicht sonderlich zelebriert.
Über religiöse Ansichten wurde auch nicht gesprochen. Ich hatte damals schon eine Meinung zur katholischen Kirche, aber ich wollte meinen Eltern nicht noch mehr wehtun. Im Laufe der Zeit sind weitere Dinge dazugekommen. Das absolute Patriarchat in der Kirche beispielsweise. Es hat mich total gestört, dass Frauen keinerlei Einfluss auf kirchenrechtliche Dinge haben.

Oder das Thema Zölibat. Wie können Männer über die Pille oder Abtreibungen bestimmen, wenn sie Familie nicht leben? Mir erschien die evangelische Religion immer als die vernünftigere, weil sie aus dem Leben heraus kommt. Die katholische Kirche besteht aus einem Konglomerat von Herren, die ihr Leben auch sexuell unnatürlich zurückhalten müssen.
Oder besser gesagt: Angeblich. Wie man hört, hat es Auswüchse gegeben. Die ganzen Missbräuche in der Kirche. Das ist der dritte Punkt, der so schrecklich ist, warum ich letztlich aus der Kirche ausgetreten bin. Aber ich habe bis zum Tod meiner Mutter gewartet, um ihr nicht wehzutun.
Reden wir über Fröhlicheres. Sie stehen seit 60 Jahren vor der Kamera. Was war Ihre schönste Rolle?
Immer die Rolle, die ich gerade gespielt habe. Ich begebe mich völlig in das Leben der Menschen, die ich spiele.
Michaela MayAls ich Rosamunde Pilcher, Inga Lindstöm oder „Traumschiff“ gemacht habe, wurde das anfangs sehr belächelt.
Gibt es eine Rolle, die Sie besser nicht übernommen hätten?
Eigentlich nicht. Als ich Rosamunde Pilcher, Inga Lindstöm oder „Traumschiff“ gemacht habe, wurde das anfangs sehr belächelt. Da wurde gesagt: Musst Du jetzt schon „Traumschiff“ machen?
Es ist doch ein Ritterschlag, wenn man beim Traumschiff mitspielen darf.
Ja. Heute schleckt man sich die Finger ab, wenn man dabei ist. Damals hat man die Nase gerümpft. Das „Traumschiff“ war ein Schandfleck in der Vita. Es wurde gesagt: Das ist Kulturfrevel! Alle seriösen Theaterschauspieler meinten damals, dass sie nie aufs Traumschiff gehen (lacht). Später waren die meisten dort. Ich habe allerdings immer darauf geachtet, einen vielfältigen Fächer an Rollen zu spielen: Von der Komödie über Krimi bis zum Drama.
Was hat sich in all den Jahren noch verändert?
Die Art der Arbeit und die Sehgewohnheiten. Bei den „Münchner Geschichten“ oder „Monaco Franze“ gab es lange Szenen und meist nur einen Handlungsstrang. Heute müssen es mindestens zwei sein. Die Bilder müssen sich ständig ändern. In den jetzigen 90-Minütern gibt’s 120 bis 130 Bilder. Früher waren es die Hälfte.
Ist es anstrengender, heutzutage als Schauspielerin zu arbeiten?
Ja. Es gab früher bis zu 30 Drehtage für einen 90-minütigen Film. Inzwischen sind es 20 oder 19. Bei kleinen Formaten wird versucht, noch mehr Zeit einzusparen. Man kann am Set nichts entwickeln. Die Qualität der Drehbücher leidet ebenfalls. Es muss schneller geschrieben werden. Drehbücher von Serien müssen nach einer Woche fertig sein. Helmut Dietl hat damals drei Jahre an einem Drehbuch gearbeitet.
Hat das Kostengründe?
Ja. Es gibt auch weniger Geld pro Drehtag. Es wird alles zusammengeschrumpft, auch bei Statisten, Ausstattung und Kostümen. In jeder Abteilung muss gespart werden. Das betrifft auch die Gagen. Seit kurzer Zeit gibt’s ein neues Wort in der Schauspielszene: Sondergage. Das ist ein ganz neues Ding. Da heißt es, dass es für diesen Film nur eine Sondergage gibt. Man will alles drücken.
Was bedeutet das in Zahlen?
Sondergage heißt, dass sich die Gage um ein Drittel reduziert, weil ein Drittel weniger Budget für einen Film zur Verfügung steht. Es wird nur gefragt: Wollen Sie es machen oder nicht? Es ist erstaunlich, wie sich die Zeiten verändert haben. Früher wurden die Gagen der Schauspieler alle paar Jahre um zehn Prozent erhöht. Inzwischen wird man als Schauspieler mit zehn oder 20 Prozent erniedrigt.
Reden wir über den Film „Ich will mein Glück zurück“, der bei den Filmtagen Oberschwaben erstmals gezeigt wird. Worum geht’s?
Das ist ein sogenannter Silver-ager-Film. Ich bin glücklich, dass es in dieser Altersstufe wieder einen Film gibt, der inhaltlich für alle interessant ist. Es geht um die Beziehung zwischen Mann und Frau. Um den 50. Hochzeitstag. Ich möchte nicht zu viel verraten, aber dieser Hochzeitstag geht total in die Hose. Was dieses Paar durchlebt, ist stellvertretend für viele Leute, die eine lange Beziehung pflegen. Der Film ist lustig und traurig zugleich. Man wird emotional gepackt.
Wann kommt das Fernsehspiel ins Fernsehen?
Im Winter. Er ist noch ganz neu und schnittfrisch. Der Film läuft jetzt erst mal bei den Filmtagen Oberschwaben. Ich komme am 14. Oktober zur Premiere nach Ravensburg. Darauf freue ich mich schon heute, weil ich den Film in voller Länge noch nicht gesehen habe.