Wissenschaft

Leibniz-Institut zum Gardasee: Alarm-Berichte zu Wasserstand sind Fake-News

Essen/Garda / Lesedauer: 5 min

Der Gardasee sei keineswegs nur noch zur Hälfte mit Wasser gefüllt, wie Medien und ein Grünen-Politiker sagen. Es gehe um „53 Zentimeter von 135 Metern”, so die Forscher.
Veröffentlicht:30.05.2023, 16:54

Von:
  • Philippe Debionne
Artikel teilen:

Das RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung im nordrhein-westfälischen Essen hat sich mit dem vermeintlich dramatischen Wasserschwund im Gardasee befasst. Die Forscherinnen und Forscher um Direktor Professor Dr. Gerd Gigerenzer stellen fest, dass die Meldungen falsch sind. Viele Medien hatten berichtet, dass der Wasserstand im Gardasee „besorgniserregend” sei.

Mit diesen Medien gehen die Wissenschaftler jetzt hart ins Gericht und teilten am Dienstag mit: „Viele Medien warnen uns vor Fake-News. Manche produzieren diese allerdings gleich selbst, ohne es zu bemerken. Denken mit Zahlen sollte endlich Teil der Allgemeinbildung werden.‟

Worum geht es genau? Das Handelsblatt schrieb etwa in seiner Printausgabe vom 2. Mai 2023 auf Seite 14: „Laut neuesten Satellitenaufnahmen erreicht er (der Gardasee, Anm. d. Red.) nur um die 40 Prozent seines Fassungsvermögens.‟ Der Gardasee sei „nur noch zu 38 Prozent gefüllt‟, meldete der Stern.

Und das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) schrieb dazu, dass der Gardasee als das größte Wasserreservoir Italiens bei nur noch „35 Prozent seiner Speicherkapazität‟ angelangt sei. Nicht nur in vielen Medien, auch in der Politik sorgte die Meldung für Aufregung.

Forscher kritisieren „Zahlenblindheit mancher Medien”

So twitterte der Stuttgarter EU-Abgeordnete Michael Bloss von den Grünen: „Die Klimakrise lässt die Wasservorräte weltweit schrumpfen. Der Wasserstand im Gardasee hat sich halbiert.‟

Bitte akzeptieren Sie die Marketing-Cookies um diesen Inhalt darzustellen.

Die Forscher teilen in Ihrer Rubrik „Unstatistik des Monats” dazu mit: „Verschiedene Medien haben versucht, die Ursachen zu finden: zu wenig Regen, kaum Schneereserven, ein ungewöhnlich trockener und warmer Winter – und dann die Klimakrise.

All dies ist richtig, aber wie sollen diese Faktoren den Gardasee innerhalb kürzester Zeit zur Hälfte entleeren?” Man habe auf Satellitenbildern „beim besten Willen keinen Unterschied im Wasserstand zwischen diesem und dem vergangenen Jahr erkennen‟ können. Das Problem sei ein anderes, und zwar die „Zahlenblindheit mancher Medien‟, schreiben die Wissenschaftler weiter.

Dann erklären sie, wie der Wasserstand gemessen wird: Das geschehe an einem Pegel in Peschiera. Dier werde Höhe des Wasserspiegels über dem Pegelnullpunkt gemessen. „Diese Höhe ist aber nicht die Wassertiefe des Sees, sondern ein willkürlicher Wert an der Messlatte, der in der Regel leicht unter dem niedrigsten Wasserstand über viele Jahre hinweg angesetzt wird.‟ Und weiter: „Der Gardasee sei an der tiefsten Stelle 346 Meter tief und habe eine Durchschnittstiefe von etwa 135 Metern.‟ Zudem wird der See laut Leibniz-Institut „künstlich reguliert. Das Ablassen von Wasser wird gestoppt, sobald der Nullpunkt erreicht wird”.

Der Sachverhalt sei wie folgt: „Im Vergleich zum Vorjahr war Mitte März 2023 der Wasserstand des Gardasees 53 Zentimeter niedriger. Also 53 Zentimeter von etwa 135 Metern – nicht die Hälfte des Fassungsvermögens des Sees oder gar mehr.‟

Ist der Gardasee halb leer oder nicht?

Hinzu komme, dass „der Pegelstand stark über das Jahr hinweg schwankt. Zudem lag er am 22. Mai 2023 auch schon wieder bei 80 Zentimetern – mit steigender Tendenz.‟ Die Forscher weiter: „Der Pegelstand schwankt überdies stark von Jahr zu Jahr. Am 15. Mai 2007 lag er beispielsweise ebenfalls bei 46 Zentimetern, wie in der derzeit alarmierenden Meldung. Zehn Jahre später, am 15. Mai 2017, lag er dann bei 107 Zentimetern.‟

Dass aus Zentimetern ein halb leerer Gardasee wurde, erklären die Wissenschaftler also mit einem „weit verbreiteten Fehler in der Kommunikation. Eine absolute Veränderung (der Wasserstand im Gardasee ist 53 Zentimeter niedriger) wird unnötigerweise in Prozent kommuniziert (ca. 50 Prozent weniger) und damit wird es leicht, die Referenzklasse zu verwechseln, auf die sich die Prozentangabe bezieht.‟

Keine große Aufregung um „53 Zentimeter weniger”

Diese Referenzklasse sei „eben nicht das Fassungsvermögen des Gardasees, sondern der Pegelnullpunkt an der Messlatte.‟ Allerdings, heißt es vom Leibniz-Institut weiter, hätte „man mit ‚53 Zentimeter weniger‛ wohl auch nicht die große Aufmerksamkeit und Aufregung erzeugen können, die die Nachricht vom halb leeren Gardasee erzeugte.‟

Am Schluss der Mitteilung des Leibniz-Institutes folgt eine harsche und unverblümte Medienkritik. Hier heißt es: „Zahlenblind zu sein, kann also gut für das Geschäft sein, solange die Leser es auch sind. Viele Medien warnen uns vor Fake-News. Manche produzieren diese allerdings gleich selbst, ohne es zu bemerken. Denken mit Zahlen sollte endlich Teil der Allgemeinbildung werden.‟

Prof. Gerd Gigerenzer war langjähriger Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Aktuell leitet er das Harding-Zentrums für Risikokompetenz an der Universität Potsdam. Gigerenzer war Professor an der University of Chicago und John M. Olin Distinguished Visiting Professor an der School of Law der Universität von Virginia. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften (Leopoldina), der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der American Academy of Arts and Sciences und der American Philosophical Society, Ehrendoktor der Universität Basel und der Open University of the Netherlands sowie Batten Fellow an der Darden Business School, Universität von Virginia.

Als Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft erhält das RWI öffentliche Zuschüsse des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen. Hinzu kommen Einnahmen aus Forschungsaufträgen, die überwiegend von öffentlichen Auftraggebern – insbesondere den Bundes- und Landesministerien – stammen. Dazu gehörten im Jahr 2022 etwa die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, das Bundesministerium für Bildung und Forschung und das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

Die Mitteilung des RWI Leibniz-Institus für Wirtschaftsforschung finden Sie im Original hier.