Krisenzeit

Journalismusforscher: „Auch in Krisenzeiten muss Journalismus alle Perspektiven aufgreifen“

Ravensburg / Lesedauer: 5 min

Journalismusforscher Klaus Meier über die Rolle und die Zukunft von Regionalzeitungen und ihre Bedeutung in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche und in der Corona-PandemieJournalismusforscher Klaus Meier über die Zukunft des Journalismus’ und dessen Rolle i
Veröffentlicht:04.12.2020, 05:00

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Laut seinen Berechnungen gibt es die gedruckte Zeitung wohl nur noch bis zum Jahr 2033: Journalismusforscher Prof. Klaus Meier. Seit 2011 leitet er den Lehrstuhl für Journalistik I an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt . Im Gespräch mit Simon Schwörer erklärt Meier, warum er sich vielfältigen Journalismus wünscht, welche Bedeutung Regionalzeitungen haben und warum Journalismus zukünftig auch staatlich finanziert werden könnte.

Herr Professor Meier, die „ Schwäbische Zeitung “ feiert dieses Jahr ihr 75-jähriges Bestehen. Welche Bedeutung hatten und haben Regionalzeitungen in Deutschland?

Journalismus gehört zur Demokratie wie sauberes Wasser zum Leben. Daraus leitet sich auch die Bedeutung der Regionalzeitung ab. Die Menschen in der Region brauchen eine verlässliche Stimme, die ihnen Orientierung in der Nahwelt gibt, Missstände aufdeckt und mit kritischer Distanz auf die Machthaber in der Region blickt.

Was hat sich in den vergangenen 75 Jahren an der Aufgabe von Journalisten im lokalen und regionalen Bereich geändert?

Der Nationalsozialismus war geprägt durch radikale und perfide Propaganda. Darum wurde die Medienlandschaft in Deutschland von den Alliierten – völlig zu Recht – plattgemacht. Nach Ende des Naziregimes war die Herausforderung, nicht nur Journalismus neu mit professioneller Unabhängigkeit zu beleben, sondern auch Demokratie zu lernen. Journalisten lernten gemeinsam mit den Lesern, Demokratie mit Inhalten zu füllen.

Da lassen sich durchaus Parallelen zur heutigen Situation ziehen. Denn wir laufen ein bisschen Gefahr, unsere Demokratie zu vernachlässigen, weil wir sie als zu selbstverständlich ansehen. Wir müssen Demokratie aber auch heute leben – jeder von uns. Etwa indem wir gemeinschaftlich Lösungen finden, in der Öffentlichkeit konstruktiv und faktenbasiert diskutieren und nicht, indem wir Verschwörungsmythen hinterherlaufen oder uns von Populisten in die Irre führen lassen. Dafür braucht es den Journalismus als unabhängige Stimme, der diesen öffentlichen Diskurs moderiert.

Die Corona-Pandemie zeigt: Das Bedürfnis nach Nachrichten wird immer größer, gleichzeitig gibt es auch Kritiker, die die Glaubwürdigkeit von journalistischen Inhalten anzweifeln. Woran liegt das und wie können wir dem entgegenwirken?

Am Anfang der Corona-Pandemie war gerade überregionaler Journalismus eher Verkündungsjournalismus: Entscheidungen der Regierungen wurden verkündet und nicht kritisch gegenrecherchiert, ob etwa alle Einschränkungen von Freiheitsrechten notwendig oder nicht auch zum Teil willkürlich waren. Vielleicht war das ein Aspekt, weshalb einige Menschen skeptisch geworden sind, ob man den Medien trauen kann.

Den Sommer hindurch und auch jetzt größtenteils im Herbst war der Journalismus distanzierter, vielfältiger und kritischer als noch im März und April. Auch in Krisenzeiten brauchen wir vielfältigen Journalismus, der alle Perspektiven aufgreift und recherchiert. Gerade jetzt gilt, dass Journalismus nicht Sprachrohr der Virologie, sondern immer Sprecher der Demokratie sein muss.

Die „Tagesthemen“ der ARD haben ihren „Kommentar“ in „Meinung“ umbenannt. Müssen auch Zeitungen hier deutlicher klar machen, was Meinung ist und was Bericht?

Zeitungsleser haben schon verstanden, dass es die Meinung des Autors ist, wenn über dem Text Kommentar steht. Aber Journalisten sollten bei der Formulierung von Berichten, vor allem auch bei Überschriften, achtsam sein, dass nicht unabsichtlich oder schlampig Meinung darin landet. Zeitungen müssen täglich beweisen, dass sie distanziert und unabhängig berichten.

Zeitungen setzen auch auf soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram. Dort versuchen sie auch junge Leser anzusprechen. Aber zahlt sich das aus?

„Auszahlen“ ist ein schönes Wort. Das bedeutet ja zunächst, ob am Ende hinten Geld herunterfällt, mit dem man das Ganze finanzieren kann. Wenn man den Begriff aber weiter fasst, meint er, dass soziale Netzwerke die Reichweite und eventuell auch das Image der Zeitungen bei jungen Menschen erhöhen. Bisher entsteht daraus aber kein finanzieller Erlös.

Zwar wollen soziale Netzwerke künftig Informationslieferanten und Medienhäuser stärker an ihren Gewinnen beteiligen. Letztlich sind das aber Peanuts und es entstehen neue Abhängigkeiten von diesen Plattformen. Es ist für Medienhäuser wirklich eine zwiespältige Angelegenheit, sich auf die sozialen Netzwerke einzulassen.

Welche Prognose geben Sie dazu ab, wie Medienhäuser in 75 Jahren aufgestellt sind und finanziert werden?

Wenn wir dann noch in einer Demokratie leben, wird es definitiv auch Journalismus geben. In welcher Form er gelebt und finanziert wird, ist allerdings schwer vorherzusagen. Selbstständige Journalisten können dabei nur Nischenbereiche ausfüllen. Professioneller Journalismus braucht Organisation, braucht das Rückgrat eines Verlags oder einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt. Ich bin überzeugt davon, dass auch in 75 Jahren der Großteil der Informationen institutionell aus einem Medienhaus oder Verlagshaus kommen muss – auch wenn wir das dann vielleicht anders nennen.

Ich gehe davon aus, dass wir in den kommenden Jahren digitale journalistische Inhalte noch stärker über Nutzer finanzieren können. Aber wir werden durchaus diskutieren müssen, ob wir diese gesellschaftliche Aufgabe Journalismus nicht auch staatlich über Steuermittel finanzieren wollen. Das darf natürlich nicht zu einer politischen Abhängigkeit und Einflussnahme führen, Mittel müssten von unabhängigen Gremien nach ganz klaren Kriterien vergeben werden.