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Behinderteneinrichtung

Wie ein Jahr in einer Behinderteneinrichtung unsere Autorin verändert hat

Westhausen / Lesedauer: 4 min

Juliana Holl über ihre Zeit in einer Sonderschule und was sie von dort mitgenommen hat
Veröffentlicht:28.06.2021, 17:16

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Für einen Bundesfreiwilligen Dienst sprechen viele Gründe: Unentschlossenheit bei der Berufswahl, keine Stelle gefunden, einfach mal ein Jahr etwas Entspanntes machen – oder man entscheidet sich ganz bewusst für ein Jahr in einer sozialen Einrichtung. So war es bei mir, für mich stand fest, dass ich Ergotherapeutin werden möchte, und dennoch habe ich mich für ein Jahr in einer Sonderschule entschieden. Warum? Ganz einfach, ich wollte ein Jahr mit behinderten Menschen zusammenarbeiten, sie betreuen und sie auf ihrem Weg – zumindest für ein Jahr – begleiten.

Ein weiterer Grund war, dass ich schon immer ein Buch über eine Behinderung schreiben wollte, und was wäre da besser, als ein Jahr lang mit Menschen mit Behinderung zu arbeiten. Die Aufgaben als sogenannter Bufdi sind sehr vielfältig und abwechslungsreich. Mit den Kindern und Jugendlichen lernen, mit ihnen spielen und sie betreuen, das fasst den Alltag ganz gut zusammen.

Ich hatte das große Glück, in eine erste Klasse zu kommen. Das heißt, ich habe den Übergang von Kindergarten zum Schulalltag hautnah miterlebt. Dieses Jahr hat mich verändert, es hat mich flexibler gemacht. Denn den Alltag mit einem behinderten Menschen kann man nur bedingt planen. Immer wieder stößt man auf Schwierigkeiten und Probleme, an die man sich anpassen muss. Ich habe gelernt, nicht stur meinen Stiefel durchzuziehen, sondern auf die anderen zu achten und mich an sie anzupassen.

Kolumne Julys Fokus

Ich habe erfahren, was es für eine Belastung für Lehrer, Eltern und Freunde ist, ein behindertes Kind um sich zu haben. Aber ich durfte auch erfahren, wie wunderschön es sein kann. Viele dieser besonderen Kinder gehen viel offener und freier durchs Leben. Sie machen sich schlichtweg keine Gedanken über ihr Handeln. Das kann manchmal schmerzhaft sein, wenn einem die unverblümte Wahrheit ins Gesicht gesagt wird, aber meistens ist es verdammt herzlich. Diese Kinder haben alle ein Handikap, manche haben große Schwierigkeiten, den Alltag allein zu bewältigen, andere tun sich leichter.

Der Unterricht an dieser Schule bedeutet, den Schülerinnen und Schülern eine Grundlage für ein möglichst selbstbestimmtes Leben in sozialer Gemeinschaft zu ermöglichen. Für jeden Schüler wird individuell darauf geachtet, dass er nicht über- oder unterfordert ist.

Die einen lernen das Lesen in den ersten paar Jahren, die anderen brauchen länger und manche lernen es nie. Jeder wird so respektiert wie er ist, und auf diesem Level wird gearbeitet. Durch dieses Konzept ist es möglich, dass jeder Schüler individuell an seinen Schwächen arbeiten kann und in seinen Stärken noch weiter gefördert wird.

Die Schule geht vom sogenannten erweitertem Lesebegriff aus. Das bedeutet, dass das Lesen von Situationen, Bildern, Signalwörtern, Ganzwörtern bis hin zu einer Geschichte zum Deutschunterricht gehört. Im Allgemeinen bleibt alles alltagsnah. Die Kinder sollen lernen, später im Leben selbstbestimmt und selbstständig zu leben. Dazu wird ihnen im Matheunterricht der Umgang mit Geld, das Lesen der Uhr oder der Umgang mit verschiedenen Maßeinheiten näher gebracht.

Ihr werdet euch verändern

Die Schülerinnen und Schüler lernen lesen, schreiben und rechnen in Kleingruppen, die ihren individuellen Bedürfnissen angepasst sind. Verschiedene AG-Angebote runden den Schulalltag ab, von Reittherapie bis zur Trommelgruppe ist alles dabei. Wichtig ist hierbei immer, dass die Schüler lernen, gemeinsam mit Altersgenossen zusammenzuarbeiten, aufeinander Rücksicht zu nehmen und gemeinsam Spaß zu haben.

Ich kann jedem nur empfehlen, einmal im Leben mit solch besonderen Menschen zu arbeiten. Euer Blick auf behinderte Menschen wird sich verändern, ihr werdet euch verändern und ihr werdet danach reich an Erfahrungen, Erinnerungen und überwundenen Herausforderungen sein.