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Frauenschutzwohnung

Vier Wände, die vor Gewalt schützen

Ellwangen / Lesedauer: 4 min

Seit einem Jahr gibt es in Ellwangen eine Frauenschutzwohnung - Fälle häuslicher Gewalt steigen
Veröffentlicht:15.02.2018, 11:14

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Die Wände der Dreizimmerwohnung irgendwo in Ellwangen sind kahl, das Mobiliar spärlich. In die Frauenschutzwohnung in Ellwangen, die es seit einem Jahr gibt, können Frauen vor häuslicher Gewalt fliehen. 2017 sind dort insgesamt sieben Frauen aus Ellwangen und dem gesamten Ostalbkreis untergekommen. Damit war die Wohnung, die es seit einem Jahr gibt, durchgehend besetzt.

„Die Frauen, die hier wohnen, haben es häufig lieber, wenn ich nicht so viel selbst dekoriere“, sagt Nicole Bühler und deutet auf die weißen Wände. „Dann können sie sich selbst hier ein bisschen einrichten“, erzählt die Ellwanger Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte.

Bis zu drei Monaten können Frauen, die im häuslichen Umfeld Gewalt erfahren haben, in der Frauenschutzwohnung unterkommen. Diese Zeit in dem geschützten Raum nutzen sie dazu, ihr Leben neu zu ordnen. Denn die Flucht vor Gewalt in den eigenen vier Wänden zieht immer einen langen und komplizierten Rattenschwanz nach sich. „Es gibt kein ,Handlungsschema F’, denn jeder Fall ist unterschiedlich“, sagt Bühler. Nicht selten flüchten die Opfer mit ihren Kindern und leben in finanzieller Abhängigkeit von ihrem Partner.

Gewalt gibt es nicht nur in sozial schwachen Milieus

Wo werden meine Kinder in Zukunft zur Schule gehen? Wo werde ich wohnen? Wie kann ich ab jetzt meinen Lebensunterhalt und den meiner Kinder finanzieren? Das ist nur ein Bruchteil der Fragen, die dann geklärt werden müssen. Eine Beraterin für häusliche Gewalt besucht die Bewohnerinnen der Frauenschutzwohnung während dieses Prozesses mehrmals und hilft ihnen, diese Fragen zu klären. Oft brauchen die Frauen auch medizinische und psychologische Betreuung.

„Gewalt zieht sich durch alle sozialen Schichten, egal ob psychische, physische oder sexuelle Gewalt“, erklärt Bühler. „An mich wenden sich sozial schwache Frauen, aber auch Ehefrauen von Geschäftsführern oder Studentinnen“, sagt die 28-Jährige. Die wenigsten Frauen, die sie betreue, seien aus der Gemeinschaftsunterkunft oder der Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge. In der LEA gebe es ein eigenes Frauenhaus.

Und trotzdem ist die Zahl der Fälle von häuslicher Gewalt in Ellwangen sowie dem gesamten Ostalbkreis hoch – Tendenz steigend, sagt Bühler. Während es laut der Polizei 2015 zu 136 Fällen von häuslicher Gewalt kam, waren es 2016 205 Fälle und 193 im vergangenen Jahr. „Dabei handelt es sich aber nur um die Vorfälle, die später auch zur Anzeige kamen. Die Dunkelziffer ist wesentlich höher“, erklärt die 28-Jährige. So etwas passiere eben nicht nur in Großstädten, sondern auch hier, wo es auf den ersten Blick nicht so scheine.

Deswegen war es der Frauenbeauftragten wichtig, dass es auch in Ellwangen eine Frauenschutzwohnung gibt. Durchschnittlich habe sie einen Fall alle zwei Wochen. „Wenn eine Frau blutend vor meiner Tür sitzt, ist es wichtig, dass ich schnell und ohne großen bürokratischen Aufwand handeln kann“, erzählt sie. Zwar gibt es in Schwäbisch Gmünd ein Frauenhaus und in Aalen sechs Frauenschutzwohnungen, doch auch diese sind meistens voll.

Um in der Schutzwohnung unterzukommen, gibt es mehrere Wege. Teilweise kommen Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, direkt auf Bühler zu. Aber auch die Polizei kann Fälle an die Frauenschutzbeauftragte weitergeben, sofern die Opfer damit einverstanden sind. Es besteht jedoch nicht die Bedingung eine Strafanzeige zu stellen, um in der Wohnung Schutz suchen zu können.

Die Schutzwohnung ist allerdings nicht der einzige Weg, um die Frauen im ersten Moment vor häuslicher Gewalt in Sicherheit zu bringen. Wird die Polizei verständigt, können die Beamten vor Ort auch einen sogenannten Wohnungsverweis gegenüber dem Täter aussprechen. Dies hat zur Folge, dass ihm die Schlüssel für den gemeinsamen Wohnort entzogen werden und er bis zu vier Tage nicht in die Wohnung oder das Haus zurückkehren darf.

Fälle von häuslicher Gewalt steigen

Woran es liegt, dass die Zahlen häuslicher Gewalt zusehends steigen? „Ich denke, es findet ein gesellschaftlicher Wandel statt. Ganz viele Menschen sind nicht mehr mit dem zufrieden, was sie haben, obwohl es ihnen objektiv gesehen gut geht. Daraus entstehen Frustration und Neid. Diesem Druck können viele nicht standhalten, und es kommt zur Gewalt“, erklärt Bühler.

Die Frauen, die letztendlich zu ihr kommen, sind dieser Gewalt meist Wochen, Monate oder sogar Jahre ausgesetzt, bevor sie handeln. Neben den „klassischen“ Fällen von physischer, psychischer oder sexueller Gewalt hat es in Ellwangen auch schon außergewöhnliche Fälle gegeben. So wurde zum Beispiel eine 18-Jährige von ihrer Familie ins Ausland gebracht, um sie dort mit einem Mann zu verheiraten, den das Mädchen nicht kannte.

Über Umwege wurde der Fall an Nicole Bühler herangetragen, die mithilfe der deutschen Botschaft und des Konsulats die Zwangsehe verhindern und das Mädchen zurück nach Ellwangen holen konnte. Auch die 18-Jährige konnte danach in der Frauenschutzwohnung unterkommen.