
Unter Pandemie-Bedingungen ist am Mittwoch der Nationale Gedenktag zur Erinnerung an den Jahrestag der Befreiung der Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz und zum Gedenken an alle Opfer des Nationalsozialismus begangen worden. Normalerweise wird die Feierstunde im jährlichen Wechsel von einer Ellwanger Schule gestaltet. Dieses Jahr war dies aufgrund der Corona-Pandemie und der Schließung der Schulen nicht möglich. So versammelten sich knapp 20 Vertreterinnen und Vertreter der Stadtverwaltung, des Gemeinderats, der Schulen, der Kirchen und des Friedensforums vor dem sogenannten Polendenkmal auf dem Friedhof bei Sankt Wolfgang. Das Mahnmal befindet sich gegenüber der Aussegnungshalle.
Seit 25 Jahren werde der Nationale Gedenktag in ununterbrochener Folge in Ellwangen begangen, sagte Oberbürgermeister Michael Dambacher. „Heute vor 76 Jahren machte die Rote Armee bei ihrem Vormarsch nach Westen unweit der kleinen polnischen Stadt Oswiecim (Auschwitz, die Red.) eine Entdeckung, die auch die schlimmsten kursierenden Gerüchte in den Schatten stellte“, erinnerte der OB an die Berge von Leichen und an den Genozid an den europäischen Juden und anderen Minderheiten. „Auch noch Jahrzehnte nach der Befreiung von Auschwitz sollte es uns ein Anliegen sein, an die Folgen unmenschlicher Ideologien zu erinnern und an das Leid, das sie verursacht haben“, so der OB. Die Toten von Auschwitz mahnten zu Frieden und Versöhnung.
Dambacher ging auf die Geschichte des Denkmals ein. Am 15. Juni 1945, wenige Wochen nach Ende des Zweiten Weltkriegs, habe man die Leichname von 23 Opfern des Hessentaler Todesmarsches, die in den letzten Kriegstagen im Steinbruch bei Neunheim verscharrt wurden, hierher umgebettet. „Die Stadt organisierte damals Blumenschmuck und Chorgesang, um den Opfern wenigstens im Tod ein Stück ihrer Würde zurückzugeben“, sagte der OB. Im selben Jahr sei die Errichtung des Denkmals beschlossen worden. „Da man davon ausging, dass es sich bei den Getöteten um Polen gehandelt hatte, ist es seitdem als Polendenkmal bekannt.“
1956 wurde das Grab auf Antrag französischer Behörden geöffnet, denn unter den Toten wurden französische Staatsbürger vermutet, die in ihr Heimatland verbracht werden sollten. Die anderen Gebeine wurden nach der Untersuchung auf dem Ehrenfriedhof bei Kochendorf zur nunmehr letzten Ruhe gebettet. 1969 wurden mehrere ehemalige Zwangsarbeiter und unbekannte KZ-Häftlinge, die zuvor in Einzelgräbern auf dem Wolfgangsfriedhof lagen, hier bestattet. „Deshalb ruhen heute im sogenannten Polengrab neben vier Personen ungeklärter Nationalität auch drei Jugoslawen, ein holländischer Staatsbürger und drei Ukrainer“, berichtete der OB.
Die hier bestatteten Ukrainer waren nach Kriegsende gestorben. Wie Dambacher sagte, bewohnten Hunderte ehemalige Fremdarbeiter ukrainischer Herkunft in den ersten Nachkriegsjahren das UN-Flüchtlingslager in der Kaserne. Viele von ihnen wanderten später in die USA aus, da eine Rückkehr in ihre Heimat wegen vermeintlicher Kollaboration lebensgefährlich war.
„Den Opfern des Hitlerbarbarismus – Die Polen – Jahr 1945“, heißt es in deutscher, englischer und polnischer Sprache auf dem Denkmal. Wie Peter Maile vom Ellwanger Friedensforum sagte, seien damals auch in den Jagstwiesen verscharrte KZ-Häftlinge hier bestattet worden. Maile erinnerte an die Gedenkfeiern 1945, 1946, 1947 und 1948 auf dem Wolfgangsfriedhof sowie an die Gedenkfeiern des Friedensforums für die Opfer des Nationalsozialismus seit 1985 vor dem Jüdischen Friedhof am Volkstrauertag. 2007 habe der Landtag seine Gedenkfeier zum Nationalen Gedenktag in Ellwangen abgehalten. 2021 habe er die Opfergruppe der Zeugen Jehovas im besonderen Blickpunkt. „Auch hier im Amtsgerichtsgefängnis in Ellwangen saßen einige Mitglieder der Glaubensgemeinschaft ein“, sagte Maile.
Josef Baumann vom Ellwanger Friedensforum erinnerte an die KZ-Außenlager Kochendorf, Hessental, Wasseralfingen und Ellwangen: „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart“, zitierte Baumann aus der Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker vom 8. Mai 1985, zu 40 Jahren Kriegsende und der Befreiung vom Faschismus. In seiner Rede wandte sich Baumann gegen Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus, Hass und Hetze.