Hörgerät

Bis über beide Ohren

Ellwangen / Lesedauer: 4 min

Sommerserie Handwerk: Hörgeräteakustiker helfen Schwerhörigen, wieder am Leben teilnehmen zu können
Veröffentlicht:07.09.2016, 17:55

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Wenn Jasmin Bader mit ihren Kunden spricht, kann es schon mal etwas lauter werden. „Was kann ich für Sie tun?“, ruft sie so, dass mit großer Wahrscheinlichkeit selbst den Menschen auf der anderen Straßenseite die Ohren schlackern. Doch für die ältere Dame im Rollstuhl, die Bader gegenüber sitzt, ist es gerade laut genug. Ihr Hörgerät hat den Geist aufgegeben.

Laut einer Statistik des Deutschen Schwerhörigenbunds hat jeder Fünfte Probleme mit dem Hören, bei den über 70-Jährigen ist es sogar die Hälfte. Jasmin Bader gibt diesen Menschen ein Stück Lebensqualität zurück. Sie arbeitet als Hörgeräteakustikerin bei „Hörgeräte Stertz“ in Ellwangen . Der Schritt in den Laden in der Pfarrgasse fällt vielen anfangs schwer. „Zum Hörgeräteakustiker geht man nicht so einfach wie zum Optiker“, sagt Bader. Denn im Gegensatz zur Brille hat sich das Hörgerät noch nicht zum schicken Accessoire entwickelt. Im Gegenteil: Viele Leute fühlen sich alt, wenn sie ein Hörgerät brauchen, haben sie doch das Bild von einem klobigen, fleischfarbenen Etwas im Kopf. Dabei sind viele Hörgeräte heutzutage kleine Minicomputer, manche lassen sich per Bluetooth mit dem Smartphone verbinden und per App steuern.

Hörtest gibt Aufschluss

Doch bevor es überhaupt darum geht, die richtige Hörhilfe für den Kunden zu finden, muss erst einmal das Gehör getestet werden. Dafür spielt Bader den Kunden über einen Kopfhörer unterschiedliche Frequenzen aufs Ohr. Ältere Menschen hören vor allem die hohen Töne nicht mehr – Vogelgezwitscher oder das Klappern von Besteck. Auf den Hörtest folgt die Beratung. Welches Hörgerät ist geeignet? Wie viel darf es kosten? Von 10 bis 3000 Euro ist alles dabei.

Auch wenn der Kundenkontakt und die Beratung einen großen Raum einnehmen, Bader und ihre Kollegen sind auch Handwerker. Sie programmieren die Geräte, reinigen und reparieren sie und stellen für jeden Kunden eine Otoplastik her, eine individuelle Maßanfertigung, die später im Ohr sitzt. Das Hörgerät hinter dem Ohr verstärkt den Schall elektronisch, über einen dünnen Schlauch wird er dann in die Otoplastik geführt, die den Gehörgang für andere störende Nebengeräusche verschließt.

Für die meisten Kunden dürfen Hörgerät und Otoplastik gar nicht unauffällig genug sein, am besten durchsichtig. „Kinder dagegen sehen das häufig als Schmuckstück, da kann’s nicht bunt genug sein“, erzählt Bader. Die meisten Kinder, die zu ihr in den Laden kommen, sind von Geburt an schwerhörig. Um sie besser betreuen zu können, hat sich Bader nach dreijähriger Ausbildung und Meisterschule zur Pädakustikerin weitergebildet. Als Pädakustikerin ist sie – genau wie ihre Kollegin Nadine Fleischmann – auf die Behandlung von Kindern und Säuglingen spezialisiert.

Große Verantwortung

„Vor allem bei schwerhörigen Kleinkindern und Säuglingen haben wir eine große Verantwortung“, erklärt Fleischmann. Denn stellt sie das Hörgerät nicht richtig ein und kann das Kind seine Umwelt nicht richtig wahrnehmen, kommt es auch zur Verzögerung in der sprachlichen Entwicklung. Die Reaktionen, die von den kleinsten Kunden kommen, sind dafür umso schöner. Nicht selten fließen zum Beispiel bei den Mamas Tränen, wenn die Kinder zum ersten Mal überhaupt mit einem Lächeln auf ihre Stimme reagieren. „Das Gefühl, das man dann hat, kann ich gar nicht beschreiben“, sagt Bader.

Dass der Beruf ihr einmal so viel Spaß machen könnte, hätte Bader vor einigen Jahren selbst nicht geglaubt. Nach dem Realschulabschluss schlägt ihr der Berufsberater im Arbeitsamt vor, eine Ausbildung zur Hörgeräteakustikerin zu machen. Ihr erster Gedanke: Niemals! „Ich konnte mir gar nichts darunter vorstellen,“ erinnert sie sich. So scheint es auch heute noch vielen zu gehen. Die Filiale in Ellwangen sucht für nächstes Jahr händeringend nach einem Auszubildenden. Besonders groß ist die Resonanz bisher nicht. Bader hat damals ein Praktikum überzeugt. Heute schätzt sie die Vielseitigkeit ihres Jobs und die Tatsache, dass sie etwas für andere tun kann. Eines gibt sie jedoch lachend zu: „Allzu große Berührungsängste oder Angst vor Ohrenschmalz darf man nicht haben.“

Am 18. September dreht sich in Ellwangen alles um’s Thema Handwerk. Bei der Veranstaltung „Made by Hand“ zeigen über 20 Betriebe auf dem Marktplatz ihre Handwerkskunst, laden zum Mitmachen ein und bieten ihre Produkte an. Im Vorfeld stellt die Ipf-und Jagst-Zeitung in ihrer Sommerserie jede Woche einen Handwerksberuf vor. Über 130 Ausbildungsberufe gibt es im Handwerk. Aktuell stehen im Ostalbkreis noch über 170 offene Ausbildungsstellen. Die Handwerkskammer Ulm hilft gerne weiter unter Telefon 0731 1425 227.