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Autofahren: Ab 75 wird’s gefährlich

Ellwangen / Lesedauer: 5 min

Unfallstatistik: Junge Fahrer und Senioren ab dem 75. Lebensjahr sind Hauptrisikogruppen
Veröffentlicht:07.07.2016, 20:56

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Wer verursacht auf den Straßen die meisten Unfälle? Im Bezirk des Polizeireviers Ellwangen sieht es diesbezüglich nicht anders aus als im Rest der Republik. Es lassen sich zwei Risikogruppen klar ausmachen: junge Raser (zwischen 18 und 24 Jahre alt) und unsichere Senioren (ab 75 Jahren), die mit den Vorfahrtsregeln mitunter auf Kriegsfuß stehen. Gerade bei der zweiten Risikogruppe sieht der Ellwanger Polizeichef Gerald Jüngel den Gesetzgeber jetzt in der Pflicht.

Die Zahlen der Ellwanger Unfallstatistik sprechen eine unmissverständliche Sprache. 669 Unfälle haben sich im Ellwanger Bezirk, der sich von Bopfingen bis nach Adelmannsfelden erstreckt, ereignet. Waren die Folgen (Tote, Schwerverletzte) gravierend, war in der Regel zu schnelles Fahren die Unfallursache. Rasen ist wiederum ein Phänomen, das die Ellwanger Polizei vornehmlich bei jungen Fahrern beobachtet. 2015 waren sie in insgesamt 167 Verkehrsunfälle verwickelt.

Weniger Fahranfänger in Deutschland

Das einzig Erfreuliche an diesen Zahlen: Sie sinken seit Jahren mehr oder weniger beständig. Der Ellwanger Polizeichef macht für diesen positiven Trend präventive Maßnahmen und den demografischen Wandel verantwortlich. Es gebe in Ellwangen wie in Deutschland – analog zur Bevölkerungsentwicklung – von Jahr zu Jahr immer weniger Fahranfänger und damit folglich auch weniger Unfälle, die von jungen Fahrern verursacht werden können.

Aber die Demografie spielt in der Statistik auch noch eine andere, weniger erfreuliche Rolle – und zwar am anderen Ende der Altersskala. Betagte Autofahrer werden auf den Straßen zunehmend zu einem Risiko. Eine Studie der Technischen Universität Dresden hat das zutage gefördert. Bei Autofahrern, die das 75. Lebensjahr überschritten haben, steigt das Unfallrisiko deutlich an. Ab dem 85. Lebensjahr stellen Senioren am Steuer fast eine genauso große Gefahr dar wie Fahranfänger.

Jüngel: Der Gesetzgeber wird reagieren müssen

Auch auf Ellwangens Straßen sind immer häufiger Senioren an Unfällen beteiligt. 2015 waren sie in insgesamt 141 Verkehrsunfälle verwickelt. Anders als bei den jungen Fahrern führten hier in der Regel aber nicht Geschwindigkeitsübertretungen zum Unfall, sondern Vorfahrtsverletzungen sowie Fehler beim Abbiegen, Wenden oder Rückwärtsfahren. Die Folgen sind in der Regel weit weniger schwer – lediglich bei 30 Prozent dieser Unfälle wurden Schwerverletzte registriert.

Gleichwohl ist der Ellwanger Polizeichef Gerald Jüngel alarmiert. Denn die Zahl der Verkehrsunfälle, die von Senioren verursacht werden, steigt beständig an; der Trend sei unübersehbar. „Der Gesetzgeber wird hier früher oder später reagieren müssen“, sagt Jüngel. Es sei aus polizeilicher Sicht nicht nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber junge Fahrer als Risikogruppe erkannt hat und entsprechende strenge Regeln vorgibt – Null-Promille-Grenze, Führerschein auf Probe und so weiter – und bei der zweiten Risikogruppe im Straßenverkehr nicht gleichermaßen reagiere. Jüngel spricht sich dafür aus, dieses Thema (Senioren am Steuer, Mobilität im Alter) stärker als bisher in den öffentlichen Fokus zu rücken. Auch die Kommunen seien gefordert, sagt Jüngel. Es sei nicht verwunderlich, dass selbst Hochbetagte, mitunter schon jenseits der 90, ihren Führerschein nicht abgeben wollten, wenn es gerade in den ländlichen Kommunen keine seniorengerechte Infrastruktur gebe (Einkaufsmöglichkeiten, medizinische Versorgung, öffentlicher Personennahverkehr).

Wie heikel das Thema „Senioren am Steuer“ ist, weiß auch Hauptkommissar Thomas Maile vom Referat Verkehrsprävention. Er kümmert sich nicht nur um junge Fahranfänger, Maile hält auch regelmäßig Vorträge vor älteren Herrschaften. Und die mögen es in der Regel gar nicht, wenn man darauf hinweist, dass die Fahrtüchtigkeit im Alter nachlassen kann. „Die Senioren weisen dann immer darauf hin, dass sie seit Jahrzehnten unfallfrei unterwegs sind. Für sie sind die Jungen das Problem auf der Straße“, berichtet Maile. Auf „eine Selbsterkenntnis“ der Menschen brauche man bei diesem Thema nicht bauen, ist Maile überzeugt. Er geht deshalb wie Jüngel davon aus, dass in Deutschland irgendwann, in nicht mehr allzu ferner Zukunft, die gleichen Regeln gelten werden wie in der Schweiz. Da müssen Autofahrer ab dem 70. Lebensjahr alle zwei Jahre zum Gesundheitscheck – die Vorgabe gilt bereits seit dem Jahr 1976.

Tipp vom Experten: Testfahrt bei der Fahrschule

Bis es auch in Deutschland so weit ist, rät Maile älteren Autofahrern, die sich im Verkehr nicht mehr zu 100 Prozent sicher fühlen, eindringlich dazu, eine Testfahrt bei einer Fahrschule zu absolvieren. Das sei eine unverbindliche Sache. Der Fahrlehrer gebe nach so einer Testfahrt lediglich eine Empfehlung ab. „Das ist eine gute Möglichkeit, um eine objektive Einschätzung der eigenen Fahrtauglichkeit zu erhalten. Und es ist meistens der sehr viel bessere Weg, als wenn das Thema im Familienkreis angeschnitten wird“, sagt Maile. Wenn Kinder ihre Eltern dazu drängen, den Führerschein abzugeben, führe das oftmals zu Zerwürfnissen, sagt Maile. Gleichwohl müsse das Thema unbedingt aufs Tapet. Ehe etwas passiert. Maile erinnert sich an einen besonders tragischen Fall vor drei Jahren bei Karlsruhe. Da hatte ein 88-Jähriger beim Ausparken eine junge Mutter auf dem Parkplatz eines Supermarktes beim Zurücksetzen gleich zweimal angefahren und tödlich verletzt. Der Rentner nahm sich ein halbes Jahr nach diesem Vorfall das Leben.