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Annäherung

Überzeugende Annäherung an ein schwieriges Meisterwerk

Ellwangen / Lesedauer: 2 min

Stuttgarter Kirchenmusiker Thomas Schäfer-Winter führt Bachs „Kunst der Fuge“ auf
Veröffentlicht:21.02.2019, 16:05

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Um Bachs „Die Kunst der Fuge“, einen Zyklus von 14 Fugen und vier Kanons, ranken sich viele Geschichten. Das Werk ist Gegenstand einer unüberschaubaren Fülle von Reflexionen. Musikwissenschaftler Wolfgang Wiemer hat es Bach-Liebhabern bei einem Vortrag in der „Kanne“ nähergebracht, der Stuttgarter Kirchenmusiker Thomas Schäfer-Winter hat es in der Stadtkirche aufgeführt. Zwei Stunden Kunst der Fuge – wahrlich keine leichte Kost, die vom Interpreten ein Höchstmaß an Können und Konzentration erforderte.

Bachs letzter großer Instrumentalzyklus zeigt die kontrapunktische Kunst der Fugenkomposition in Vollendung. Er überarbeitete darin ein Lehrwerk zur Fugenkomposition der frühen 1740er-Jahre. Zeitlich rückt es damit in die Nähe der Goldberg-Variationen. 1802 meinte Bach-Biograf Johann Nicolaus Forkel, das Werk sei „für die große Welt zu hoch.“ Den Pianisten Glenn Gould bewegte keine Musik tiefer als die letzte, unvollendete Fuge.

Wolfgang Wiemer, Musikwissenschaftler in Esslingen und Ludwigsburg, hat mit seinem 2018 erschienenen Buch „Die Kunst der Fuge – Bachs Credo“ ein neues Kapitel zum Verständnis aufgeschlagen. Sein Ansatz ist theologisch: Das Werk sei nicht autonom zu sehen, sondern auf christliche Glaubensinhalte ausgerichtet. Wiemer sieht die vier Anfangstöne des Grundthemas als Synonym für den biblischen König David und weist die erste Werkhälfte dem Alten, die zweite dem Neuen Testament zu. So will er dazu beitragen, dass die ebenso strenge wie expressive „Kunst der Fuge“ so verstanden, gespielt und gehört wird, wie es sich Bach wohl gedacht hat.

Aus der Seele muss man spielen

Thomas Schäfer-Winter ließ an der Orgel der Stadtkirche eine modifizierte Fassung des Originaldrucks erklingen. Ursprünglich komponiert wurde „Die Kunst der Fuge“ wohl für Cembalo. Die Orgel kann sowohl zarte und innige als auch gravitätische Klangfarben entfalten. Transparente Gestaltung ist allerdings eine hohe Kunst.

Schäfer-Winter fesselte die Aufmerksamkeit, indem er so spielte, wie es sich Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel gewünscht hatte: „Aus der Seele muss man spielen und nicht wie ein abgerichteter Vogel.“ Dynamik und Tempo, Spannung und Emotion, Strenge und Auflösung, barocke Motorik und tänzerischer Elan, Klage und Freude – alles war zu hören im beseelten Spiel des Organisten, zu spüren und nachzuempfinden. Jenseits vertrackter musiktheoretischer Zergliederung ist es Schäfer-Winter gelungen, den Zuhörern den biblischen Kontext nahezubringen. Bach pur. Vital und ausdrucksstark, wie man ihn kennt und liebt. Und doch neu und anders.