Staubwolke

Ein Fels wird zum Baum

Bopfingen / Lesedauer: 3 min

Steinmetzmeisterin Karin Müller hat mit ihren Gestaltungsideen viele Preise gewonnen
Veröffentlicht:05.08.2014, 18:18

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Karin Müller aus Utzmemmingen ist eine zierliche Frau. Wer ihre feingliedrigen Hände sieht, kommt nicht auf den Gedanken, dass sie täglich unter ohrenbetäubendem Lärm in einer dichten Staubwolke Steine behaut. Sie formt den Stein, der für sie kein totes Material ist. „Stein ist sehr empfindlich“, sagt sie. Er kann sogar klingen.

Er muss sogar klingen, wenn Steinmetzmeisterin Karin Müller mit einem Werkzeug auf den rohen Block aus Jurastein klopft. „Wenn es scheppert oder dumpf klingt, dann hat er einen Fehler in der Struktur und kann auffrieren“, sagt die 43-Jährige, die den elterlichen Betrieb im Jahr 2007 übernommen hat und ihn seither mit einem Angestellten führt.

Gelernt hat Karin Müller ihr Handwerk bei Karl-Eberhard Mangold in Ellwangen. Zusätzlich besuchte sie verschiedene Schulen und Ausbildungsstätten, unter anderem in München, Venedig und im italienischen Laas. Den Familienbetrieb in Utzmemmingen hatte Hieronymus Müller bereits im Jahr 1895 gegründet.

„Ursprünglich wollte ich in den kreativen Bereich gehen und Kunsthandwerk, vielleicht auch mit Holz, ausüben“, erzählt Karin Müller. Es wurde dann doch der Steinmetzberuf. Auch, um der eintönigen Industrieware, die heute als Grabsteine auf den Friedhöfen herumsteht, etwas entgegenzusetzen. So fertigt sie fast ausschließlich Grabmäler, die sie ins ganze Ries, nach Bopfingen und auf das Härtsfeld liefert. Regelmäßig erhält sie dafür Bildhauerpreise.

Die Grabmalgestaltung ist für Karin Müller eine Kunst. Die beginnt schon beim Gespräch mit den Kunden, oft sind es die Hinterbliebenen. „Viele Verstorbene hatten ein Lebensthema, das man umsetzen kann“, beschreibt sie den Prozess. Derzeit arbeitet die Steinmetzin am Grabstein für einen Mann, der den Wald liebte. Die Skizze zeigt einen schlichten ovalen Kegel, auf dem in einer Einkerbung eine Kugel mit Blätterstruktur sitzt: ein stilisierter Baum.

Ein Fehler zerstört alles

Grobe Strukturen wie die Kugelform lässt sich Müller vorgearbeitet anliefern. Ihr ist es wichtig, Zeit für den Feinschliff zu haben und dezente Akzente zu setzen. Ist die Form fertig, so haut die Steinmetzin die Inschrift ein. Ein falscher Schlag und alles ist dahin. „Als Steinmetz arbeitet man langsam und bedächtig, Hektik darf nicht aufkommen“, betont sie.

Bis zu einer Woche benötigt sie für Grabmal. Die Werkzeuge sind heute druckluftbetrieben, sehen aber noch beinahe so aus wie zu der Zeit, als Steinmetze noch an mächtigen Kathedralen schufteten. Was Laien als Hammer und Meißel bezeichnen würden, hat hier andere Namen: Fäustel, Knüpfel, Spitzeisen, Schlageisen, Stockhammer. Mit den Werken ihrer Handwerkervorfahren beschäftigte sich Karin Müller besonders in den Jahren 1992 bis 1995, als sie in einer Satteldorfer Denkmalpflegefirma arbeitete. Dort erfuhr sie auch: Stein hält nicht ewig, das Wetter setzt ihm zu.

Der Stein selbst setzt aber ebenso den Handwerkern zu. Die Rückstoßerschütterungen belasten die Wirbelsäule und können auch zur Weißfingerkrankheit führen, die sich in Durchblutungsstörungen in den Händen äußert. Vom Feinstaub können Steinmetze Silikose oder Quarzstaublunge bekommen. Der Lärm kann das Gehör schädigen. Karin Müller ist davon verschont geblieben: „Bei mir ist glücklicherweise alles in Ordnung“, lächelt sie.

Körperlich anstrengend sei der Beruf mitunter schon, meint sie, und fügt hinzu: „Dafür muss ich nicht ins Fitnessstudio.“ Und noch etwas liebt sie an ihrem Beruf: Den Moment, wenn sie etwas geschaffen hat, das sie mit Händen greifen kann. Etwas Dauerhaftes, das vielleicht sogar Jahrhunderte hält.