Selbstverteidigung

Den eigenen Wert erkennen

Bopfingen / Lesedauer: 4 min

Michael Stahl gibt Tipps, wie Gewalt und Mobbing erst gar nicht entstehen
Veröffentlicht:17.04.2015, 18:08

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Wenn Michael Stahl über Selbstverteidigung spricht, räumt er mit Missverständnissen auf. Er verteilt keine linken Haken, zertrümmert keine Ziegelsteine und wirft keine Gegner auf die Matte. Der gefragte Experte für Selbstverteidigung und Gewaltprävention aus Bopfingen hantiert mit ganz anderen Begriffen: Vertrauen in sich und andere Menschen, ein passendes soziales Umfeld, Familie, Gemeinschaft, Zusammenhalt. Das gilt es zu lernen. Dann entstehen Gewalt und Mobbing erst gar nicht.

Kinder, Jugendliche und Erwachsene kommen in seine Sportschule beim Bahnhof. Da gibt es ein Tischkicker-Turnier mit 72 Teilnehmern, da wird gemeinsam gegrillt. „Weißt du, was stark macht?“, fragt Stahl in seiner verbindlichen Art: „Tischgemeinschaft macht stark. Wenn du Probleme mit jemandem hast, schreib ihm keine keine E-Mail, sondern setz dich an den Tisch mit ihm.“

Mit seinen Mitstreitern hat Stahl ein eigenes Konzept der Selbstverteidigung entwickelt, in dem Aggressivität und Angriff nicht vorkommen. Beteiligt sind Hilda Kaufmann , die Polizisten Erich Rechtenbacher und Gerhard Wittich, der Psychotherapeut Klaus Hettmer und der erfolgreiche Boxer Alexander Dimitrenko. „Modern Selfdefence Education“ nennen sie das.

Ein Händedruck, ein Lächeln

Natürlich wird dabei nicht nur geredet. Da gibt es Reaktions- und Gleichgewichtsübungen, die Körpergefühl und Sicherheit schaffen. „Immer mehr Kindern fallen einfache Dinge schwer“, sagt Stahl: rückwärts joggen, auf einem Bein hüpfen, einen Purzelbaum machen. Es geht sogar um noch einfachere Sachen in den Trainingseinheiten: einem anderen Menschen bei der Begrüßung die Hand geben, ihm in die Augen schauen, ihm einen festen Händedruck und ein Lächeln schenken.

Wer sicher im Umgang mit anderen ist, zeigt Stärke. „Wer den anderen signalisiert, dass er schwach ist, kann Probleme bekommen“, meint Stahl. Zum Mobbing-Opfer ist es dann nicht weit.

Opfer werden Menschen, die ihren eigenen Wert nicht kennen, glaubt der mehrfache Buchautor Stahl: „Ein Mensch, der dich lieb hat, gibt dir diesen Wert.“ Davon ist er überzeugt. Kinder, denen die Eltern dieses Gefühl nicht vermitteln, leiden, ziehen sich zurück, werden zu Opfern und Tätern.

Stahl, der früher jahrelang als Bodyguard tätig war, Gloria von Thurn und Taxis, Muhammad Ali und die päpstliche Gefolgschaft beschützte, ist in Schulen, Kindergärten, Internaten, Gefängnissen, Vereinen, Firmen und Gemeinden unterwegs. Er trifft Gewalttäter und Verletzte, Häftlinge und Vergewaltiger, Dealer und Drogensüchtige. Und er hört Sätze wie: „Ich bin noch nie im Leben gelobt worden.“

Und er fragt Jungs, was sie gerne mit Papa unternehmen würden: „Keiner sagt, er möchte vor der Playstation sitzen. Alle wollen ein Baumhaus bauen, Klettern, ein Lagerfeuer machen oder Fußball spielen.“ Gemeinsam etwas erleben und sich dabei öffnen, den Kindern von den eigenen Schwächen erzählen – das empfiehlt Stahl Eltern.

Nicht in die Ecke drängen lassen

Im Netzwerk Facebook hat Stahl die „maximale erreichbare Anzahl an Freunden“, 5000. Freunde sind ganz wichtig. Und doch können die falschen Freunde alles kaputt machen: Manchmal bedeutet Selbstverteidigung, bestimmte Menschen und Plätze zu meiden.

In brenzligen Situationen – auch das lernen die Schüler – gilt es, den Kopf oben zu halten und die Situation zu überblicken. Nicht in die Ecke drängen lassen, damit eine Flucht jederzeit möglich ist. Manchmal hilft es, einen Aggressor anzuschreien, manchmal ist es das Beste, zu lächeln und weggehen. „Jeder vermiedene Kampf ist ein gewonnener Kampf“ – einer von Stahls Lieblingssprüchen.

Einem Opfer helfen: Ja. Einen Angreifer selbst angehen und eine zweite Front aufbauen: Nein. Wie sich eine Frau, die in der Tiefgarage angegriffen wird, gezielt mit Schlüssel, Regenschirm oder zusammengerollter Zeitung verteidigt – auch das zeigt Stahl. „Selbstverteidigung darf aber nie über Notwehr hinausgehen“, fügt er hinzu. Und selbst für den Umgang der Opfer mit den Tätern hat Stahl, dem der christliche Glaube viel bedeutet, einen Tipp: „Vergeben. Das macht unfassbar stark und frei.“