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Städtepartnerschaft

Warum die Enkel von Feinden allen Grund zu feiern haben

Aalen / Lesedauer: 6 min

Am letzten Juni-Wochenende reisen 130 Aalener zum Jubiläum der Städtepartnerschaft nach Saint-Lô
Veröffentlicht:16.06.2019, 06:04

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Vielfältig und lebendig ist die Städtepartnerschaft zwischen Aalen und dem französischen Saint-Lô. Vor 41 Jahren setzten ihre Begründer in der Schubartstadt ihre Unterschrift unter den Ehevertrag, ein Jahr später in der Stadt an der Vire. Um den 40. Hochzeitstag zu feiern, reisen Ende Juni 130 Aalener sowie eine offizielle städtische Delegation um Oberbürgermeister Thilo Rentschler in die Normandie. Es erwarten sie dort beim jährlichen Stadtfest neben den gastgebenden Franzosen auch Amerikaner, Belgier, Briten und eine vornehme Aufgabe, die Hermann Schludi , der Vorsitzende des Aalener Städtepartnerschaftsvereins, benennt: „Impulse zu setzen für die europäische Einheit.“

Aalens älteste Städtepartnerschaft war und ist auch die „engste, ereignisreichste, stabilste und vielfältigste“ unter den fünf bestehenden, findet Schludi. Die anderen sind Tatabánya in Ungarn, Antakya in der Türkei, Cervia in Italien und nach wie vor Christchurch – auch wenn die englische Partnerstadt jüngst ihr Stadtrecht aufgeben musste, um eine neue kommunale Einheit mit den Nachbarstädten Bournemouth und Poole einzugehen.

Bis auf die Kontakte zu Cervia, die laut dem Vereinsvorsitzenden „ähnlich super sind wie mit Saint-Lô “, sei bei den Partnern seit einiger Zeit „eine Reserviertheit“ zu spüren: Brexit hier, Viktor Orbán da, große Entfernungen und zu unterschiedliche Organisationsformen dort. „Die Leute vergessen, dass es zwei Weltkriege gab“, sinnt Schludi, „und betrachten es als selbstverständlich, dass sie mehr als 70 Jahren in Frieden leben – die längste Friedensperiode, die Europa je hatte.“

Doch Frieden sei nicht selbstverständlich, mahnt der SPD-Stadtrat und Realschullehrer im Ruhestand. Um ihn zu bewahren, müsse man „Europa neu denken“. Dazu habe der französische Staatspräsident Emmanuel Macron Impulse gegeben. „Er sieht Frankreich und Deutschland als Hauptachse für ein neu zu strukturierendes Europa“, so Schludi. Auf die kommunale Ebene bezogen, seien die guten Beziehungen zwischen Aalen und Saint-Lô hier beispielgebend. „Der Austausch funktioniert auf allen gesellschaftlichen und kulturellen Ebenen.“

Bauernverband, Orchester, Chor und Städtepartnerschaftsverein

Was die Teilnehmerliste für die Jubiläumsfahrt in die Normandie unterstreicht. Viele Mitglieder des Bauernverbands machen sich wieder einmal mit Zug und Bus auf die rund 1000 Kilometer lange Reise gen Westen. Das städtische Orchester füllt einen Bus mit rund 50 Musikern und ihren Instrumenten, um am Sonntag, 30. Juni, gemeinsam mit dem Orchester von Saint-Lô ein Konzert zu geben.

Gleiches gilt für den Chor „Sing 4 joy“, der bereits am Samstag, 29. Juni, zur Eröffnung des Vire-Festes auftritt. Der Städtepartnerschaftsverein hat bis dato rund 35 Plätze in seinem Bus besetzt, los geht es mit dieser günstigen Mitfahrgelegenheit am Donnerstag, 27. Juni, um 6 Uhr früh. „Viele Aalener fahren auch mit ihren eigenen Autos. Es bestehen ja langjährige private Kontakte mit Bürgern von Saint-Lô, die an diesem Wochenende vertieft werden“, erklärt Schludi.

Schulen, Verein und Ämter pflegen Kontakte nach Frankreich

Viele dieser Kontakte hätten sich aus dem organisierten Austausch heraus entwickelt, den es natürlich weiterhin gibt: Ihn pflegen Schulen wie das Theodor-Heuss-Gymnasium, das Schubart-Gymnasium oder die Realschule auf dem Galgenberg, Sportvereine wie die Judoka, die Handballer, die Schwimmer oder die Pétanque-Spieler, aber auch das Finanzamt, Künstler und die Kirchen, berichtet Schludi.

Der SPD-Stadtrat und Partnerschaftsvereinsvorsitzende wird als Teil der offiziellen städtischen Delegation am Freitag per Pkw zum Städtegeburtstagsfest aufbrechen. Früher geht nicht: Denn ausgerechnet am Donnerstag, 27. Juni, wird der Gemeinderat - nach den Kommunalwahlen noch geschäftsführend - die letzte Sitzung seiner Legislaturperiode abhalten.

Vertreter der Gemeinderatsfraktionen reisen mit

Zur städtischen Delegation, angeführt von SPD-Oberbürgermeister Thilo Rentschler mit seiner Ehefrau, gehört auch der Initiator von Aalens erster Städtepartnerschaft, Oberbürgermeister a.D. Ulrich Pfeifle mit seiner Frau. Eingeladen worden mitzureisen seien auch Vertreter der Gemeinderatsfraktionen, berichtet Michaela Blank, die persönliche Referentin des Oberbürgermeisters.

Angemeldet hätten sich mit Thomas Wagenblast, Günter Höschle und Josef Fuchs drei Mitglieder der CDU-Fraktion. Vertreten sind weiter der Städtepartnerschaftsverein mit Hermann Schludi und Sandra Bertele, die evangelische Kirche mit Dekan Ralf Drescher und die katholische Kirche mit Odilia Sproll, der „guten Seele der Salvatorgemeinde“ mit langjährigen Verbindungen nach Saint-Lô.

Städtejubiläum wird im Rahmen des Vire-Festes gefeiert

In Saint-Lô erwartet die Aalener „keine Soloveranstaltung“, betont Schludi. Das deutsch-französische Städtejubiläum ist eingebettet in das umfangreiche Jahresprogramm zum 75. Jubiläum der Befreiung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg, außerdem findet es traditionell im Rahmen des Vire-Fests statt, wie sich das sommerliche Stadtfest Saint-Lôs nennt.

Im gleichen Rahmen wird der Geburtstag einer französisch-amerikanischen Städtepartnerschaft gefeiert: Seit 20 Jahren verbindet sie Saint-Lô mit der Stadt Roanoke im US-Bundesstaat Virginia. Diese Freundschaft gründet sich auf den D-Day am 6. Juni 1944 und auf die 29. Infanteriedivision, in der damals viele Soldaten aus West-Virginia und damit auch aus Roanoke dienten. Nach der Landung der Alliierten an den Stränden der Normandie waren sie maßgeblich am Kampf gegen die deutschen Besatzer beteiligt. Schauplatz der brutalen Schlacht war unter anderem Saint-Lô, das dabei zwar nahezu zerstört, aber am 18. Juli 1944 auch von den Nazis befreit wurde.

Die feierlichen Gedenkveranstaltungen zum D-Day haben die Franzosen und ihre amerikanischen Freunde bereits am Wochenende des 6.und 7. Juni begangen. Doch wird auch beim Vire- und Geburtstagsfest drei Wochen später die Vergangenheit mitschwingen. Was unter anderem an den Ausstellungen deutlich wird, die anlässlich des umfangreichen Jahresprogramms zu „75 Jahren Befreiung“ zu sehen sind und die die Zerstörung von Saint-Lô, seine Befreiung und den Wiederaufbau zum Inhalt haben.

Die deutschen Besucher werden am Samstag ins Kunstmuseum zu sieben monumentalen Werken zum Thema Krieg und Frieden mit dem Titel „Gedenken und Brüderlichkeit“ geführt. Am Sonntag steht der Besuch einer Ausstellung mit Fotografien über die Architektur des Wiederaufbaus an. Insgesamt stellen die Veranstalter ihr Jubiläumsjahr jedoch unter das Motto „Saint Lô, Hauptstadt des wiedererlangten Friedens und des Wiederaufbaus“ und feiern mit dem Geburtstag der Städtepartnerschaften auch den Frieden und die Freundschaft unter den Völkern.

Aalener treffen alte Bekannte aus Belgien

Bei diesem Fest werden die Aalener übrigens auch auf alte Bekannte aus Belgien treffen. Schon bei den „Spielen der Freundschaft“, die zwischen 1994 und 2014 insgesamt zwölfmal Jugendliche aus allen Partnerstädten im sportlichen Wettkampf zusammenführten, war Saint-Ghislain als älteste Partnerstadt von Saint-Lô mit von der Partie. Jetzt gibt’s ein Wiedersehen.