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Alltagseinschränkung

Klinikenchef: „Dass man nun wieder fast überall ohne Maske hin darf, finde ich nicht gut“

Aalen / Lesedauer: 5 min

Professor Ulrich Solzbach hält nicht viel vom sogenannten Freedom-Day. Denn die Situation auf den Kliniken hat sich bislang kaum geändert. Was er außerdem von der Impfpflicht für Pflegepersonal hält.
Veröffentlicht:06.04.2022, 12:02

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An diesem Sonntag sind nun fast alle Alltagseinschränkungen rund um das Coronavirus aufgehoben worden. Die Maskenpflicht ist nahezu aufgehoben, die Fußballstadien wieder proppevoll – bei gleichzeitigen Rekordinzidenzen.

In der Redaktion der Aalener Nachrichten zu Gast gewesen ist nun Professor Ulrich Solzbach, Vorstandsvorsitzender der Kliniken Ostalb, den Redaktionsleiter Timo Lämmerhirt unter anderem zu den Lockerungen der Maßnahmen befragt hat und wie es um die Impfbereitschaft seiner Mitarbeiter bestellt ist.

Hinweis: Das Gespräch wurde vor dem vergangenen Wochenende geführt.

Professor Ulrich Solzbach, der Vorstandsvorsitzende der Kliniken Ostalb.

Was halten Sie von den Lockerungen, die an diesem Wochenende in Kraft treten sollen?

Gehen wir doch nur einen kleinen Schritt zurück und schauen uns die Realität in den Kliniken an: Da läuft es bei weitem noch nicht normal. Große Teile der Bevölkerung sind auf dem Freedomday-Trip, das geht aber nicht. Wir haben immer noch die gleiche Problematik, jeder Zweite von uns kennt doch jemanden, der kürzlich Corona hatte.

Genauso verhält es sich bei den Mitarbeitern in den Kliniken. Ganz grob: Rund zehn Prozent unserer Mitarbeiter haben wir aktuell nicht im Dienst, weil sie positiv getestet sind. Dass man nun bald wieder fast überall ohne Maske hin darf, finde ich nicht gut.

Wie viele Ihrer Mitarbeiter sind denn geimpft?

Fast 95 Prozent unserer knapp 3300 Mitarbeiter sind geimpft, wenn diese Mitarbeiter dann Corona bekommen, dann wahrscheinlich mit einem leichten Verlauf. Aber einsetzen können wir sie dennoch nicht, die fehlen uns. Dazu haben wir in allen Kliniken immer noch viele Patienten, die isoliert behandelt werden müssen, zwar nicht mehr auf den Intensivstationen, isoliert werden müssen sie dennoch – und dann fallen uns nun noch die Mitarbeiter aus. Uns geht es in den Kliniken aktuell alles andere als gut.

Und da kommt nun die partielle Impfpflicht ins Spiel für Medizin- und Pflegepersonal …

Damit wird nun noch einmal eine Schippe draufgelegt. Da fallen dann vielleicht noch einmal fünf Prozent der Mitarbeiter aus, die sich nicht impfen lassen möchten. Das ist nicht gut. Ich bin kein Gegner der allgemeinen Impfpflicht, ganz im Gegenteil, als Schulmediziner bin ich fürs Impfen.

Vor zwei Jahren sind die Mitarbeiter im Gesundheitssystem noch zurecht beklatscht worden, da wusste noch keiner genau, was mit der Corona Pandemie auf uns zukommt. Die Mitarbeiter haben sich da in diesen Pulverdampf begeben, die haben gearbeitet, sich der Situation gestellt und sind nicht weggelaufen. Und genau diese Personen sind nun die ersten, die bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht dran sein sollen.

Sie sprachen vorhin von knapp 95 Prozent, die geimpft sind von Ihrem Personal. Wie viele Mitarbeiter sind denn, in absoluten Zahlen, nicht geimpft bei Ihnen?

Insgesamt wurden 176 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an das Gesundheitsamt gemeldet. Es wäre eine Katastrophe, wenn jetzt noch einmal diese fünf Prozent zusätzlich fehlen würden.

Haben Sie schon einmal versucht, diese Mitarbeiter in irgendeiner Form zu bekehren?

Ich hatte ein wenig gehofft, dass durch Novavax, dem scheinbaren Totimpfstoff, was nicht ganz korrekt ist, sich weitere Mitarbeiter impfen lassen. Von den Nicht-Geimpften sind aber nur 20 dazugekommen, das ist nicht viel. Hier sehe ich kein großes Steigerungspotenzial mehr. Unsere Quote von 95 Prozent ist aber gar nicht mal so schlecht.

Jetzt ist die Zwei-Wochen-Frist für die Nicht-Geimpften in Ihren Einrichtungen, also müssen Sie bald die ersten Kündigungen aussprechen. Oder glauben Sie, dass sich das noch etwas ziehen wird?

Das wird sich wahrscheinlich schon noch etwas ziehen, davon bin ich überzeugt. Da werden jetzt erst einmal die ersten Gespräche stattfinden, dann wird es wieder Fristen geben, das wird einfach seine Zeit dauern. Das wird man alles nicht in ein paar Wochen hinbekommen.

Also halten wir fest: Sie sind gegen die partielle Impfpflicht und dagegen, schon jetzt, Anfang April, so viele Lockerungen vorzunehmen?

Ja, warum haben wir denn die Maßnahmen ins Leben gerufen? Doch nur, um diese Wucht der Welle abzubremsen, nur, um die Welle nicht so steil nach oben steigen zu lassen, um die Belastung für das Gesundheitssystem nicht so groß werden zu lassen. Das war der ursprüngliche Grund für die Maßnahmen, da wir ja alle die Bilder von Bergamo vor Augen haben.

Das hat in den bisherigen Wellen auch einigermaßen gut geklappt. Diese Welle wird aller Voraussicht nach auch wieder zwei, drei Wochen nach Ostern abklingen, aber: Wir sollten jetzt nicht mit dem Feuer spielen, jetzt müssen wir da einfach nochmal durch.

Also hätte man die Lockerungen erst um Ostern herum vornehmen sollen? Irgendwann müssen wir doch auch wieder in Richtung Normalität gelangen, oder nicht?

Danach sehnen wir uns doch alle. Jeder von uns möchte doch bald wieder die Normalität spüren. Das sehe ich alles. Das ist unser Herz, was da pocht, unser Verstand aber sagt im Moment noch etwas Anderes. Unser Verstand sollte fragen: Macht das wirklich Sinn? Nein, das ergibt keinen Sinn. Mir wäre es lieber gewesen, wir hätten das Ganze noch einmal vier Wochen verschoben.