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Ermittlungen

Mordfall Bögerl: Wie eine neue Hoffnung verpufft

Aalen / Lesedauer: 7 min

DNA des Tatverdächtigen stimmt nicht mit Tatortfund überein – Sein Detailwissen macht Ermittler aber stutzig
Veröffentlicht:06.04.2017, 21:27

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Im Mordfall Bögerl liegen Hoffnung und Enttäuschung nahe beieinander: Am einen Tag steht der Fall scheinbar kurz vor der Aufklärung, am nächsten ist die Hoffnung schon wieder verpufft.

Sieben Jahre nach dem Mord an der Bankiersgattin in einem Wald bei Heidenheim hatten die Ermittler beinahe aufgegeben, als plötzlich ein neuer Tatverdächtiger auftauchte. Am vergangenen Mittwoch startete die öffentliche Fahndung nach ihm. Noch am selben Abend trat Chefermittler Michael Bauer in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY... ungelöst“ auf – mit einer Stimmaufzeichnung und einem Phantombild des Tatverdächtigen. Wenige Stunden später wurde ein Mann in Königsbronn verhaftet. Am nächsten Vormittag dann die ernüchternde Nachricht: Seine DNA passt nicht mit der DNA überein, die man 2010 am Tatort fand. Dennoch: Die Soko „Flagge“, die mit 80 Polizeibeamten startete und vor zwei Jahren in eine kleine Ermittlungsgruppe überführt wurde, wird wieder massiv aufgestockt.

Weil der DNA-Test am Donnerstagvormittag negativ ausfiel und der ehemals Tatverdächtige zudem die Tat bestritt, mussten die Ermittler den 47-Jährigen wieder gehen lassen. „Es ist verfügt worden, dass er auf freien Fuß gesetzt wird“, sagt Armin Burger, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Ellwangen, am Donnerstagnachmittag. „Es wurde gegen ihn kein Haftantrag gestellt.“ Die Ermittlungen seien aber noch nicht abgeschlossen, man nehme weitere routinemäßige Untersuchungen im Umfeld des Tatverdächtigen vor. „Er hat sich in Hagen immerhin als Täter bezeichnet und sich mit der Tat gerühmt – und das 500 Kilometer vom Tatort entfernt“, so Burger. Nun werde überprüft, inwiefern er Kontakt mit der Familie Bögerl hatte und ob er beispielsweise Kunde der Kreissparkasse war – denn Maria Bögerls Ehemann war zur Zeit der Tat Sparkassenchef in Heidenheim.

Die Nachricht über eine neue Spur im Mordfall Bögerl versetzte am Mittwochnachmittag sämtliche Medien in Alarmbereitschaft, und alles schien so wunderbar zusammenzupassen: In einer gemeinsamen Pressemitteilung meldeten die Staatsanwaltschaft Ellwangen und das Polizeipräsidium Ulm, man suche nach einem Tatverdächtigen, der im Juli 2016 im westfälischen Hagen gegenüber zwei Männern gestanden haben soll, Maria Bögerl erstochen zu haben. Dabei habe er verwahrlost ausgesehen und sei stark alkoholisiert gewesen. Außerdem habe er angegeben, einen Hass auf die Familie Bögerl zu haben. Einen Teil des Gesprächs nahmen die beiden Männer mit ihrem Handy auf und übergaben die Sprachdatei der Polizei. Mit dieser Datei und einem Phantombild ging schließlich Chefermittler Michael Bauer von der Soko „Flagge“ in die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY... ungelöst“. Direkt nach der Ausstrahlung gaben die Ermittler bekannt, zahlreiche neue Hinweise bekommen zu haben. 5,6 Millionen Zuschauer hatten die Sendung mit Moderator Rudi Cernes verfolgt.

Vieles deutete auf den Mörder hin

In der Aufnahme spricht der Tatverdächtige in starkem Dialekt und erzählt von einem Mann, der mit einem Bundeswehrrucksack und einem Überlebensmesser, einem Aitor Jungle King III, unterwegs sei. Ein zweites solches Messer liege in den Ochsenberger Wäldern. „Aber da gehe ich nicht mehr rauf, weil ich da jeden Maulwurfshügel mit Vornamen kenne“, so der Mann. Außerdem behauptete er laut Fahndungsaufruf des Bundeskriminalamts (BKA), früher ein Angehöriger der Bundeswehr gewesen zu sein und dort einen Speziallehrgang bei einer Kompanie für „Psychologische Verteidigung“ absolviert zu haben. Dass dies auf den Tatverdächtigen zutreffen könnte, streiten zahlreiche Bekannte gegenüber unserer Zeitung ab, auch die Ermittlungen der Polizei belegten diese Behauptungen nicht.

Dass es sich bei dem Festgenommenen um den Gesuchten handelte, das steht indes fest. Außerdem deutete vieles darauf hin, dass dieser Mann und der Mörder ein und dieselbe Person sein könnten: Der tatverdächtige 47-Jährige gab bei dem besagten Gespräch an, aus Ochsenberg in der Gemeinde Königsbronn zu stammen. Die liegt nicht weit vom Tatort weg. Zudem kennt er sich gut in den Wäldern rund um Königsbronn aus, streifte dort regelmäßig umher und kennt das Gebiet wie seine Westentasche. Laut Staatsanwaltschaft passt außerdem der Hinweis auf das Messer zu der Tat. Auch weitere Ermittlungsergebnisse belasten den Tatverdächtigen: „Es sind im Gespräch Äußerungen gefallen, die einen sehr nahen Täterbezug haben und die zudem Informationsgehalt hatten, der in öffentlichen Stellungnahmen von Polizei und Staatsanwaltschaft bislang nicht genannt worden ist“, sagt Uwe Krause, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Ulm.

Allerdings: Mit dem Fahndungsfoto brachte kein Einheimischer den Tatverdächtigen in Zusammenhang. „Das Phantombild hat überhaupt keine Ähnlichkeit gehabt, aber wir haben ihn sofort an der Stimme erkannt“, sagen beispielsweise Gerhard und Giesela Deffner, die den Tatverdächtigen gut kannten und oft gesehen haben, wie er durch Ochsenberg gegangen sei, seinen Bundeswehrrucksack auf dem Rücken. Auch im Vereinsheim sei er öfter vorbeigekommen.

Polizei ermittelte zunächst intern

Breits vor der Ausstrahlung, kurz nach der offiziellen Fahndungsausschreibung, meldeten sich zahlreiche Königsbronner bei der Polizei, darunter auch Andreas Meyer, Betreiber einer Bahnhofsgaststätte in Königsbronn: „Wir haben gestern Mittag schon über Facebook mitbekommen, dass es eine neue Spur gibt“, so Meyer am Donnerstag. Mit dem Foto habe niemand etwas anfangen können. Die Sprachaufnahme hätten aber alle eindeutig erkannt. „Wir haben das direkt an die Polizei weitergeleitet“, sagt Meyer. Er ist sich sicher: „Wenn man die Aufnahme einmal einem Königsbronner vorgespielt hätte, hätte man schon vor neun Monaten gewusst, wer das ist.“

Warum also gingen die Ermittler erst jetzt, ein Dreivierteljahr nach Erhalt der Sprachaufnahme, an die Öffentlichkeit? „Wir haben zunächst intern verdeckt ermittelt“, erklärt Armin Burger, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Ellwangen. Man habe versucht, den Mann außerhalb der Öffentlichkeitsfahndung zu finden. „Wir wollten die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen schützen, sind aber nicht zum entsprechenden Ergebnis gekommen“, sagt Burger. Schließlich beschloss ein Ermittlungsrichter, die Fahndung öffentlich zu machen.

Man habe im Vorfeld bereits intensiv ermittelt, sowohl im Bereich der Tatortgemeinden und Umgebung als auch in Hagen, ergänzt Polizeisprecher Krause. Mit dem Phantombild sowie der Tonaufzeichnung und weiteren Aussagen, die der Tatverdächtige getätigt haben soll, habe man einzelne Zeugen und Institutionen, zum Beispiel die Bundeswehr, befragt. „Bei diesen Abklärungen ist aber kein Hinweis auf diese Person gekommen“, so Krause. Die Aufnahme, so bestätigt er auf Nachfrage, sei im Original länger gewesen. Ein Teil sei aber „aus Ermittlungsgründen nicht öffentlich gemacht“ worden.

Gefahr, dass Mann untertaucht

Auch, warum die Ermittler nun gleich so offensiv an die Öffentlichkeit gingen – bundesweit über das Fernsehen, die Presse und die sozialen Netzwerke, anstatt erst einmal offen im Ort herumzufragen – kann Krause beantworten: „Man muss immer eine Gratwanderung machen zwischen dem, was man ermitteln kann, und dem Risiko, dass jemand zu früh etwas mitbekommt und untertaucht“, so Krause. „In der heutigen Zeit gibt es Öffentlichkeit oder nicht Öffentlichkeit.“ Durch soziale Kontakte, vor allem über die sozialen Netzwerke wie Facebook, verbreite sich jede öffentliche Fahndung sofort. „Wenn Sie irgendwo klingeln, ist das bald bundesweit öffentlich.“ Bevor man die Fahndung öffentlich gemacht habe, sei deshalb enorm viel Vorplanung erforderlich gewesen. „Wir haben zeitgleich Kräfte für Adhoc-Maßnahmen und Festnahmen bereitgehalten“, sagt Krause.

Der Tatverdächtige, das bestätigen mehrere Befragte in Königsbronn und Ochsenberg, sei ein ortsbekannter Einzelgänger gewesen, der ständig Geldnot hatte. „Er hat öfters vor dem Supermarkt Leute um Geld für ein Bier angebettelt“, erinnert sich etwa der Königsbronner Josef Oberdorfer. Auch sei er des Öfteren etwa wegen Pöbeleien aufgefallen. Mehrere Einheimische beschreiben ihn zudem als Naturburschen: „Er war öfters in den Wäldern unterwegs, hat sich dort durchgeschlagen und auch genächtigt“, sagt Wirt Meyer.

Allerdings: Einen Mord traut niemand dem Tatverdächtigen zu: „Er kann eigentlich keiner Fliege was zuleide tun“, sagt Meyer. „Nie im Leben ist der ein Mörder“, sagt Oberdorfer. „Er ist aus dem konkretem Tatverdacht draußen“, sagt Polizeisprecher Krause. „Es gab keinen Anhaltspunkt, um ihn weiter festzuhalten.“