Ausgrabung

Premieren-Fund in der Gerberstraße

Villingen-Schwenningen / Lesedauer: 4 min

Ausgrabungen bringen teils beachtliche Funde zu Tage
Veröffentlicht:27.08.2019, 12:03

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Die Ausgrabungen in der Gerberstraße haben teilweise beachtliche Funde hervorgebracht. Sie erzählen auch eine Geschichte über das Gelände von Villingen zu vorchristlicher Zeit.

Kaum mehr als anderthalb Meter musste das Team des Unternehmens für archäologische Dienstleistungen – Kohler und Tomo aus Gundelfingen – in der Gerberstraße graben, um gleich einen ganzen Strauß an Hinweisen und Funden aus mittelalterlicher und sogar vorchristlicher Zeit zu entdecken.

Rund ein Jahr nach den dortigen Grabungen, auf deren Gelände derzeit ein Mehrfamilienhaus entsteht, erklärt Bertram Jenisch , Stellvertretender Fachbereichs-Leiter Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, welche Entdeckungen dort gemacht wurden und wie diese einzuschätzen sind.

Eine für die mittelalterliche Bebauung typische Situation fanden die Archäologen bei den beiden Parzellen in der Gerberstraße vor. Demnach seien um 1200 entlang der Straße die ersten Steinbauten entstanden, die keinen Keller hatten. „Das ist für Villingen typisch: Aufgrund des hohen Grundwasserspiegels wurde nicht tief in den Boden gegraben“, berichtet Jenisch.

Diese Eigenart würde sich auf die Hausformen auswirken, die sich deshalb von anderen Städten unterscheiden. Tendenziell habe man in Villingen deshalb höher gebaut und den Grundriss durch Ausbreitungen in den Hofbereich vergrößert. „Genau diese Situation haben wir auch in der Gerberstraße“, so der Experte. Zwischenzeitlich hätten die dortigen Objekte (Hausnummer 10 und 12), die im Jahr 2014 abgerissen wurden, eine bauliche Einheit gebildet. Schätzungen zufolge müsse dies im 14. Jahrhundert gewesen sein – zu diesem Zeitpunkt sei in der Oberen Straße bereits eine geschlossene Häuserzeile entstanden.

Im dortigen Hof hat es laut Jenisch einen typischen Fund gegeben: Latrinen. Vier der damaligen Anlagen zur Verrichtung der Notdurft seien aufgrund der starken Befeuchtung des Untergrund gut erhalten gewesen. „Gleiches gilt für den Inhalt“, erklärt der Fachbereichsleiter. Gefunden wurde dort ein vollständig erhaltenes Holzgefäß, Holztellerfragmente, Kirschkerne, Textil- und Lederreste sowie Keramik aus dem späten 12. Jahrhundert. Insbesondere der Fund des Holzgefäßes sei laut Jenisch erwähnenswert, „in anderen Städten sind solche Stoffe bereits kompostiert“.

Die große örtliche Besonderheit, die Verlegung des Marktortes von Villingen auf die westliche Seite der Brigach, spielt auch bei den Ausgrabungen in der Gerberstraße eine Rolle. So wurde im zwölften Jahrhundert der Marktort an die Stelle der heutigen mittelalterlichen Stadt verlagert. Man grenzte sich damit vom ursprünglichen Villingen ab, welches als Dorf im Bereich des Friedhofs entstand. Dies geschah wohl aufgrund des umfangreicheren Entwicklungspotenzials angesichts des großen ebenen Geländes auf der Fläche der heutigen Innenstadt. Am Ausgrabungsort in der Gerberstraße fand man nun weitere Hinweise darauf, wie das Areal vor der Ansiedlung des Marktortes und damit vor der Realisierung der mittelalterlichen Zähringerstadt aussah.

„Es handelte sich hierbei um eine Uferzone und einen Überschwemmungsbereich der Brigach“, so Jenisch. Dies sei zwar bereits schon vorher bekannt gewesen, nachgewiesen werden konnte nun aber auch die Verlandung, also das Zuwachsen, einer Flussschleife der Brigach. „Hierfür gibt es charakteristische Bodenablagerungen.“

Und dort gab es ebenso einen Premieren-Fund. „Wir haben hier erstmals Keramikfragmente aus vorchristlicher Zeit entdeckt“, berichtet der Archäologe. Dies sei ein Hinweis darauf, dass bereits die Kelten im Überschwemmungsbereich der Brigach unterwegs waren. Zwar sei dies aufgrund des Umfelds der Siedlung nicht überraschend, nun habe man aber entsprechende Nachweise. Jenisch stellt aber ebenso klar: Gewohnt hätten die Kelten dort aufgrund der Überschwemmungsgefahr nicht. „Vielmehr waren sie dort vermutlich, um Fisch zu fangen oder zur Materialgewinnung.“

Die Ausgrabung in der Gerberstraße hätten aber eines erneut deutlich gemacht: Bereits geringe Bodeneingriffe können in der historischen Innenstadt die archäologische Substanz zerstören. „Weil es keine Keller gab, reicht für Untersuchungen schon der erste Meter unter der Oberfläche“, macht der Experte deutlich. Und Erdarbeiten in diesem Bereich würde es bei Baumaßnahmen natürlich zur Genüge geben. In der Vergangenheit sei das Thema der historischen Aufarbeitung des Untergrund stiefmütterlich behandelt worden.

Werner Huger berichtet in seinem Beitrag zur Gründungs- und Standorttheorie für den Villinger Geschichts- und Heimatverein, dass „eine systematische und hinreichende archäologische Untersuchung“ oft ausgeblieben war. So beispielsweise in der Kanzlei- und Schulgasse wegen des Neubaus des Münsterzentrums oder beim Abriss der „Blume-Post“ in der Niederen Straße zwecks eines Neubaus (heute TK Maxx).

„Dabei ergeben sich erstaunlicherweise in jedem Gebiet immer wieder neue Aspekte, die wiederum Fragen aufwerfen“, macht Jenisch deutlich. Wenn deshalb ohne Untersuchung Boden in der Innenstadt abgegraben wird, würde damit auch ein Stück des geschichtlichen Hintergrunds der Stadt verloren gehen. Im Falle des Neubaus in der Gerberstraße konnte dies dank der Bauherren glücklicherweise verhindert werden.