StartseiteRegionalRegion TuttlingenVillingen-SchwenningenAngeklagter liefert vor dem Amtsgericht grotesken Auftritt

Erinnerungslücke

Angeklagter liefert vor dem Amtsgericht grotesken Auftritt

Villingen-Schwenningen / Lesedauer: 3 min

Angeklagter liefert vor dem Amtsgericht grotesken Auftritt – Freiheitsstrafe von einem Jahr wegen Gewalt gegen Ehefrau
Veröffentlicht:08.10.2019, 15:26

Artikel teilen:

Wieso sitze ich eigentlich im Knast? Wieso sitze ich überhaupt hier? Kann Mann so viele Erinnerungslücken haben? Mann kann. Der Angeklagte hat jetzt ein Jahr lang Zeit, für sich in aller Ruhe diese Fragen zu beantworten, warum er für ein Jahr wegen Körperverletzung sitzen wird.

Mit finsterem Blick betritt der 35-Jährige den Saal 2 im Amtsgericht Villingen, schleppenden Schrittes, mit einer Fußfessel. Kurz bevor er neben seiner Anwältin Platz nimmt, herzt er noch ein Baby und beginnt, russisch mit dem Kleinen zu reden. Aber nicht lange. Amtsrichter Christian Bäumler fährt dazwischen: „Was hat er gesagt?“, fragt er die Dolmetscherin. Und ermahnt: „Hier wird nicht russisch gesprochen.“

Fast die gesamte Gerichtsverhandlung über schien der Angeklagte zu glauben, der Hauptdarsteller in einem falschen Film zu sein. Und in dem festen Glauben: „Ich war’s nicht.“

Er soll im Jahr 2018 seine damalige Frau zweimal misshandelt haben. Einmal in der gemeinsamen Wohnung und einmal auf offener Straße auf Höhe des Villinger Gefängnisses. Bevor der Vertreter der Staatsanwaltschaft ins Detail der Straftaten ging, verblüffte der gebürtige Russe Amtsrichter Christian Bäumler mit der ernst gemeinten Aussage: „Ich weiß überhaupt nicht, warum ich im Knast bin.“ Zunächst irritiert, hakt Bäumler nach: „Wer hat Sie denn verurteilt?“ Die prompte Antwort: „Niemand.“ Dem Juristen wird’s zu bunt, er forscht nach und siehe da: „Sie sitzen derzeit wegen Diebstahls.“

Lange Vorstrafenliste

Minutenlang widmete sich der Strafrichter dem nicht unbeträchtlichen Vorstrafenregister des Mannes, der mit wenn auch düsterer Unschuldsmiene vor ihm saß: Die Delikte reichten von mehrfacher Körperverletzung über räuberischen Diebstahl bis hin zu Erschleichen von Leistungen und Beleidigung. Nicht zu vergessen Anzeigen wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis und Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz.

Fast regungslos lässt der mehrfache Vater die lange Vorstrafenliste über sich ergehen. Und auch zu den neuesten Anklagepunkten fällt dem 35-Jährigen nicht unbedingt Zielführendes ein. Zum einen soll er im August 2018, so die Staatsanwaltschaft, seiner Frau in der damals noch gemeinsamen Wohnung in VS mit der Faust auf den Kopf geschlagen und sie an den Haaren gezogen haben. Zudem soll er im Spätherbst seiner Frau mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben, so dass diese Prelungen und Quetschungen erlitt. „Und das im Beisein Ihrer Kinder“, schüttelte Bäumler entsetzt den Kopf. „Das war ich nicht“ und „Das kann nicht sein“, waren die Reaktionen des Angeklagten auf die Ausführungen. Auch die Misshandlungen in der einstigen Wohnung stritt er ab, selbst als (männliche) Zeugen, unter anderem ein Polizeibeamter, genannt werden: „Um 0.30 ist kein anderer Mann außer mir in der Wohnung.“

Filmriss oder nicht: Die vier geladenen Zeugen, darunter seine Exfrau, die zeitweise im Frauenhaus lebte, belehren ihn eines Besseren. Jeder für sich bezeugte nicht nur die Gewalt-Vorfälle im Vorjahr. Deutlich wurde auch, dass der Schläger offensichtlich ein Alkoholproblem hat. Seine Frau erzählte aus dem früheren Ehealltag, dass ihr Ex-Mann „nur“ gewalttätig gewesen sei, wenn er betrunken war.

„Saufen“ soll Ende haben

Die Anwältin des Mannes, sie hatte kurzfristig das Mandat übernommen, plädierte zwar auf Freispruch. Doch Christian Bäumler folgte dem Plädoyer des Staatsanwaltes, der sich für eine Freiheitsstrafe von einem Jahr aussprach. Ohne Bewährung. Nicht nur wegen der vielen Vorstrafen, sondern weil der Mann die Taten bis zum Schluss bestritt. „Das hier ist kein Spaß“, rief ihm der Amtsrichter verärgert zu.

Immerhin: Zerknirscht räumte der Angeklagte dann doch ein, dass er ein Alkoholproblem habe und künftig nicht mehr so viel „saufen“ wolle.