Landratsamt

163 Gespräche mit Prostituierten

Villingen-Schwenningen / Lesedauer: 4 min

Menschenhandel soll verhindert werden – Seit November 2017 gilt Beratungspflicht
Veröffentlicht:28.06.2019, 18:20

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Wenn Prostituierte ihrer Arbeit nachgehen wollen, benötigen sie jetzt Beratung vom Landratsamt. Das ist Gesetz. 75 Prozent der Sexarbeiterinnen im Kreis kommen aus dem östlichen Europa. Sie arbeiten in elf Etablissements in VS. Kann die Beratung ihnen auch helfen, sich von Zwängen zu lösen?

Arnold Schumacher, Leiter des Amtes für Katastrophenschutz, dem die Beratung letztlich unterstellt ist, ist durchaus optimistisch. „Aus Sicht des Landratsamtes ergeben sich Vorteile durch das Gesetz. Vor allem die ausländischen Sexarbeiterinnen sind bisher schlecht oder gar nicht informiert. Durch die Beratungspflicht erhalten sie Einblicke in die deutschen Sozial- und Steuergesetze. Ebenso erfahren sie, wo es Beratungs- oder Anlaufstellen für Notsituationen gibt“, erklärt Heike Frank , Pressesprecherin des Landratsamtes, auf Anfrage. Ein erklärtes Ziel des Gesetzes ist auch die Erkennung von Betroffenen von Menschenhandel.

Prostituierte teilweise illegal tätig

Durch den regelmäßigen Kontakt zu den Anmeldebehörden und den Gesundheitsämtern soll den Betroffenen die Möglichkeit gegeben werden, etwaige Ausbeutungs- und Zwangssituationen anzuzeigen und Unterstützung zu erhalten. „Es wird jedoch vermutet, dass eine nicht benennbare Zahl von im Sexgewerbe Tätigen erst gar nicht den Kontakt zum Landratsamt suchen oder aber bei der Beratung aus Angst keine Hinweise liefern, die den Verdacht aufkommen lassen könnten, dass sie unter Zwang tätig sind“, sagt Heike Frank.

Ebenso werde vermutet, dass eine unbekannte Zahl von Sexarbeiterinnen illegal tätig sei, weil sie ihre Dienste außerhalb von Bordellen, Clubs und Etablissements anbieten oder sich nicht aus der Anonymität trauen. Dies zum Beispiel wegen möglicher steuerlicher Erfassung oder Angst vor Aufdeckung. Die in den Einrichtungen Tätigen meldeten sich aufgrund der bevorstehenden Kontrollen im Regelfall bei den Landratsämtern an, berichtet Heike Frank. Das Prostitutionsschutzgesetz trat im November 2017 in Kraft. Damit wurde die Beratung von Sexarbeiterinnen eine amtliche Aufgabe. Seitdem bis heute sind im Landratsamt schon mit insgesamt 163 Sexarbeiterinnen Beratungsgespräche geführt und Anmeldebescheinigungen ausgestellt worden.

Die Prostituierten dürfen offiziell nur in Villingen-Schwenningen arbeiten. In Baden-Württemberg ist die Ausübung der Prostitution in Gemeinden mit einer Einwohnerzahl bis zu 35 000 nämlich verboten. In Gemeinden bis zu 50 000 Einwohnern kann auf Antrag der Gemeinde die Prostitution für das ganze Gebiet oder für bestimmte Bereiche der Gemeinde durch das Regierungspräsidium untersagt werden. Das sind sogenannte Sperrbezirke.

Demgegenüber darf in Gemeinden von mehr als 50 000 Einwohnern die Prostitution nicht von vornherein vollständig ausgeschlossen werden. In Villingen-Schwenningen gibt es elf Etablissements, in denen Prostituierte arbeiten. Über Sextourismus nach Villingen-Schwenningen gibt es laut Landratsamt keine Erhebungen. Jedoch lässt die Grenznähe zur Schweiz vermuten, dass ein solcher vorhanden ist.

Die Beratungsaufgaben sind beim Landkreis einer Mitarbeiterin des Ordnungsamtes sowie einer Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes übertragen worden. Ob das vorhandene Personal ausreiche, werde erst die Entwicklung in den folgenden Jahren zeigen, beantwortet Heike Frank eine entsprechende Frage. Die Gesundheitsberatung muss alle sechs Monate für Personen unter 21 Jahre und alle zwölf Monate für Personen über 21 Jahre wiederholt werden.

Die Anmeldebescheinigungen gelten ein Jahr, wenn die Frauen unter 21 sind, beziehungsweise zwei Jahre bei über 21-Jährigen. Zirka zehn Prozent der Frauen sind zwischen 18 und 20 Jahre alt, der größte Anteil sind Frauen von 21 bis 30 Jahren mit zirka 50 Prozent, 30 Prozent sind zwischen 31 und 40 Jahren und zirka zehn Prozent sind älter als 40 Jahre.

„Nachdem die gesundheitlichen und die sozialen Beratungen stattgefunden haben und kein Anhaltspunkt für die Versagung vorliegt, erhalten die Sexarbeiterinnen eine Bestätigung über die gesundheitliche Beratung und eine Anmeldebescheinigung, beziehungsweise einen Ausweis“, sagt Heike Frank. Zirka 75 Prozent der Sexarbeiterinnen kommen aus dem östlichen Europa, wie Rumänien, Bulgarien, Polen und Ungarn, zirka 15 Prozent sind deutsche Frauen und zehn Prozent sonstige Nationalitäten. Laut dem Institut SPI Forschung gGmbH gab es Ende der 80er-Jahre letzte seriöse Schätzungen, man ging damals von 200  000 Sexarbeiterinnen in Deutschland aus.

Um eine fachgerechte Beratung durchführen zu können, wird beim Landratsamt ein Telefondolmetscher eingesetzt oder die Beratung bei guten Englischkenntnissen in Englisch durchgeführt. Die Schwierigkeit beim Einsatz eines Telefondolmetschers besteht jedoch darin, dass lediglich Informationen übersetzt werden und eine für die Beratung wichtige Vertrauenssituation nicht entstehen kann.

Eine Bedarfsanalyse ergab, dass im Raum Villingen-Schwenningen ein gutes Beratungsangebot besteht – allerdings nehmen Sexarbeiterinnen bislang dieses offenbar kaum wahr. „Eine qualifizierte Fachberatungsstelle, speziell für Sexarbeiterinnen, existiert bisher nicht“, erklärt Heike Frank.

Der Kontaktaufbau zu Sexarbeiterinnen soll verbessert werden, was eine weitere Unterstützung des Landratsamtes für die Beratung im Sinne des Prostitutionsschutzgesetzes bedeuten würde. Arnold Schumacher ist zuversichtlich, dass es der ein oder anderen Sexarbeiterin gelingen könnte, den Ausstieg zu finden.