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Wenn sich das Böse an den eigenen Esstisch schleicht

Tuttlingen / Lesedauer: 3 min

Kompromiss um der Freunde willen oder moralische Konfrontation gegenüber Rassisten?
Veröffentlicht:29.01.2020, 09:20

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„Was hätte ich machen sollen? Ihn rausschmeißen? Weil Faschismus hier keinen Platz hat? Er war doch unser Gast!“ Greg hat eine klare Anwort für seine Frau Melanie parat: „Ja!“ Besagter Gast ist an dieser Stelle im Stück „Der rechte Auserwählte“ allerdings schon gegangen. Freiwillig.

Hinterher sind alle meistens klüger, auch im jüngsten Erfolgsstück des tunesischen Autors Eric Assous , „Der rechte Auserwählte“, das am Sonntag 320 Zuschauer in die Stadthalle gelockt hat. Die Inszenierung der Hamburger Kammerspiele unter der Regie von Jean-Claude Berutti bestach durch ihre durchweg hochkarätigen – aus dem Fernsehen bekannten – Darsteller. Was sich wie ein vergnügliches, spritziges Boulevardstück anließ, nahm rasch einen dramatischen Verlauf: Wie würden Sie sich verhalten, wenn Sie sich arglos mit dem Freund einer guten Freundin einen Rassisten, Antisemiten und Waffenfetischisten zum Abendessen zu sich nach Hause eingeladen hätten? Diese Frage ging auch ans Publikum.

Greg (Ole Schloßhauer) und Melanie (Sina-Maria Gerhardt) sind im Geiste noch altehrwürdige Bohémiens, leben jedoch inzwischen in einer stylischen Pariser Atelier-Wohnung. Gregs steinreicher Freund Jeff ( Volker Zack ) ist auf dem Weg zu ihnen zum Abendessen. Da lädt Melanie spontan noch ihre Freundin Charline (Helene Kowalsky) dazu ein. Die war lange nicht in der Stadt und möchte ihren Verlobten Noel (Stefan Jürgens) vorstellen. Der Haken bei der Sache: Charline ist Jeffs Ex-Freundin. Und Jeff ist bis heute völlig darauf fixiert, Charline wieder zurückzubekommen. Zudem befürchtet Jeff – zu recht - dass sein eigenes amouröses Abenteuer mit Charline an diesem Abend auffliegen könnte.

Charlines Verlobter führt sich als weltläufiger Geschäftsmann ein, doch er zeigt rasch und freimütig noch eine andere Seite: Er bekennt sich ganz unverblümt als Juden- und Latinohasser. Und: „Ich liebe Waffen. Wenn ich eine Waffe trage, bin ich mehr bei mir selbst.“ Melanie und Greg sind beinahe sprachlos vor Entsetzen über die Einkehr des Bösen unter ihrem Dach. Gleichzeitig sind sie verunsichert der langjährigen Freundin gegenüber, die Noel ja mitgebracht hat. Charline wurde von Noel einst durch seinen Schuss auf einen der Täter vor einer Vergewaltigung gerettet. Sie verteidigt ihn in einer Mischung aus Trotz und Halbherzigkeit: „Er ist kein Antisemit, er hat nur einmal schlechte Erfahrungen mit Juden gemacht.“ Eigentlich sei Noel ja liebenswürdig und zuvorkommend, „außer wenn man ihn provoziert“. Für Provokationen an diesem Abend ist Jeff zuständig. Er mag zwar überdreht und exzentrisch sein, doch er bezieht Stellung – und sei es auch aus Liebe. In einer Paraderolle löst Volker Zack tumultartige Szenen aus, wenn er sich als (körperlich deutlich unterlegener) Jeff in redlicher Absicht, aber in Terriermanier, immer wieder aufs Neue dem Riesen Noel entgegenwirft.

Charlines Vater ist es schließlich, der die klarste Stellung bezieht. Als Telefonstimme aus dem Off missbilligt er kompromisslos den Schwiegersohn-Anwärter. Dass er damit Erfolg hatte, erfahren die Zuschauer am Ende in einem Ausblick: Charline und Noel haben nie geheiratet. Für Charline dürfte damit alles gerade nochmal gutgegangen sein. Jeff bleibt im Kampfmodus und zieht in Charlines Nähe, um dort gut auf sie aufzupassen. Und für Greg und Melanie scheint nach allen ehelichen Turbulenzen alles weiterzugehen wie gehabt: sie streben weiter gemeinsam auf der Erfolgsleiter nach oben. Fürs Publikum war alles ein Theaterabend von der seltenen Sorte, der, hervorragend gespielt, zugleich unterhält und nachdenklich auf das eigene alltägliche Tun schauen lässt.