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Sonderregelung

Wenige Ausnahmen wegen Deutschland-Spiel

Tuttlingen / Lesedauer: 5 min

Trotz WM: Betriebliche Abläufe müssen gewährleistet sein – Wer trotzdem schaut, riskiert eine Abmahnung
Veröffentlicht:26.06.2018, 17:53

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Mittwoch, 27. Juni, 16 Uhr: Tuttlingen schaut Fußball. Ganz Tuttlingen? Nein – denn nicht wenige müssen beim Anpfiff des WM-Spiels Südkorea - Deutschland noch arbeiten. Eine Sonderregelung der Arbeitszeiten passend zur Weltmeisterschaft in Russland macht so gut wie kein Unternehmen in der Stadt, wie eine Umfrage des Gränzboten ergeben hat. Wer schauen will, muss das in seiner Freizeit tun – und nur, wenn es die betrieblichen Abläufe erlauben.

Der Tuttlinger Landrat Stefan Bär ist bekennender Fußballfan. Sein Verein Werder Bremen spielt am Mittwoch zwar nicht, aber die Nationalmannschaft. Die Sitzung des Ausschusses für Technik und Umwelt des Kreistags ist von 16 auf 14 Uhr vorverlegt worden, wie Landratsamts -Sprecherin Nadja Seibert sagt: „Wir rechnen mit großem Interesse der Kreisräte am Spiel.“ Für die Mitarbeiter des Amtes gilt, dass sie zwar Fußball schauen können, „sie müssen das aber in ihrer Freizeit tun“. Unter anderem haben das Forstamt, das Landwirtschaftsamt und das Vermessungs- und Flurneuordnungsamt bis 16 Uhr offen – diese Öffnungszeiten müssen trotz WM gewährleistet sein. Früher schließen, um pünktlich zum Anpfiff vor dem TV zu sitzen, ist nicht drin.

Gleitzeit wird nicht verschenkt

„Gleitzeit verschenken können wir nicht, nur weil Deutschland spielt“, sagt auch Arno Specht , Sprecher der Stadt Tuttlingen . Die Servicezeiten für die Bürger müssen eingehalten werden. Wer muss bleiben, wer darf gehen? Specht: „Die Abteilungen regeln das eigenverantwortlich.“ Es soll ja auch Menschen geben, die Fußball nicht interessiere.

Das kann Rainer Hohner, Leiter eines Stuckateurbetriebs in Gänsäcker und beim Fußballverein SC 04 Tuttlingen für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, nicht von sich behaupten. Klar schaut er Fußball – in der S04 Lounge. Und klar ist für ihn, dass seine Mitarbeiter auch schauen dürfen: „Natürlich bekommen diejenigen frei, die fußballbegeistert sind.“ Acht Mitarbeiter, etwa die Hälfte des Stamms, nähmen dieses Angebot an und machten um 15 oder 15.30 Uhr mit der Arbeit Schluss. Wer arbeiten will, könne das auch tun, sagt er.

So wie bei der Metzgerei : Zwei Nicht-Fußballinteressierte halten das Ladengeschäft von Erik Bühler, Sport-Vorstand des SC 04, in Tuttlingen aufrecht, wie er sagt. „So können wir ganz normal öffnen.“ Die Metzger sind bei Anpfiff um 16 Uhr nicht nur längst mit der Arbeit fertig, sondern fast schon wieder müde: Arbeitsbeginn ist um 4 Uhr – regulär, nicht nur wegen des Fußballs.

Wer während der Arbeit unerlaubt Fußball schaut, muss mit einer Abmahnung rechnen – und zwar auch dann, wenn es nur ganz kurz und am Arbeitsplatz des Kollegen passiert. Das geht aus einem Urteil des Arbeitsgerichts Köln aus 2016 hervor. Ein Werksleiter hatte einen Mechaniker dabei erwischt, wie er mit einem Kollegen an dessen Computer den Live-Stream eines Fußballspiels anschaute. Das reichte für eine Abmahnung. Unerlaubtes privates Fußballschauen während der Arbeitszeit sei eine Pflichtverletzung, heißt es im Urteil.

Der Vorgesetzte entscheidet

So weit muss es nicht kommen. Wenn es mit den betrieblichen Abläufen vereinbar sei, könne bei den Chiron-Werken in Tuttlingen der jeweilige Vorgesetzte dem Wunsch seiner Mitarbeiter nach Gleitzeit kurzfristig und unbürokratisch entsprechen. „Eine unternehmensweite Regelung für das Gruppenspiel am Mittwoch gibt es bei Chiron nicht“, erklärt Rainer Schopp, Marketingleiter des Maschinenbauers. Für die wenigen im Schichtdienst Beschäftigten sei keine Unterbrechung vorgesehen, heißt es. Davon abgesehen: „Wir alle hoffen natürlich auf drei Punkte für Deutschland und den Einzug ins Achtelfinale“, so Schopp.

Auch Aesculap hat zur Fußball-WM keine Sonderregelungen getroffen, erklärt Sprecherin Olga Böhme. Die Mitarbeiter in Normalarbeitszeit des Medizintechnikunternehmens haben keine festen Arbeitszeiten, sondern eine Mindestanwesenheitszeit pro Tag. „Wenn im Einzelfall keine betrieblichen Gründe dagegen sprechen, können sich die Mitarbeiter die Arbeitszeit entsprechend einrichten“, so Böhme.

Im Kreisklinikum Tuttlingen gilt: Die Patienten können Fußball schauen – entweder über das TV-Gerät am Bett oder in den Aufenthaltsräumen. „In den Abteilungen und Stationen gibt es während der Arbeitszeit keine Möglichkeit“, erklärt Irma Heine-Penning von der Klinikverwaltung. Eine Ausnahme bestehe nur in ganz wenigen Bereichen, so zum Beispiel im Bereitschaftsdienst.

Die Mitarbeiter von Henke-Sass, Wolf haben die Möglichkeit, das Deutschlandspiel gemeinsam, aber auch jedes andere Spiel der WM in der Cafeteria anzuschauen, sagt Armin Lekitsch, Geschäftsführer des Medizintechnikunternehmens. Die Mitarbeiter könnten ihre Arbeit nach Absprache mit ihren Vorgesetzten und Kollegen unterbrechen. Dieses Angebot richte sich beim Deutschlandspiel vor allem an Schichtarbeiter. „Mitarbeiter, die nicht am Schichtbetrieb teilnehmen, werden sicherlich größtenteils das Deutschlandspiel mit ihren Familien und Freunden zu Hause anschauen“, so Lekitsch. Durch die Gleitzeitregelung sei das ohne Probleme möglich.

Auch das Unternehmen Karl Storz überträgt laut Regina Stern, Abteilungsleiterin Unternehmenskommunikation, das Fußballspiel im hauseigenen Meeting-Center. Wer das Spiel im Betrieb anschauen will, wird davor ausstempeln, das heißt, es ist keine bezahlte Arbeitszeit. „Generell gehen wir davon aus, dass viele Mitarbeiter pünktlich in den Feierabend gehen und somit das Spiel außerhalb anschauen“, so Stern.