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Marquardt

„So viele Plätze wie möglich retten“

Tuttlingen / Lesedauer: 4 min

Das Rietheimer Unternehmen Marquardt will bis 2018 bis zu 600 Stellen abbauen
Veröffentlicht:10.06.2015, 20:39

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600 von 2300 Arbeitsplätzen – so viele Stellen will das Rietheimer Unternehmen Marquardt am Stammsitz streichen, „wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern“, so Sprecher Michael Barthel.

Er spielt auf die hohen Lohnstück- und Energiekosten in Deutschland an sowie auf mögliche Tariferhöhungen. Bis Ende dieses Jahres könnten demnach 200 Arbeitsplätze wegfallen, betroffen wären Leiharbeiter und befristete Stellen. Bis Ende 2018 könnten weitere 400 Beschäftigte folgen – dann würde es auch unbefristet Beschäftigte treffen.

Walter Wadehn , 1. Bevollmächtigter der Bezirksstelle Albstadt der IG Metall, ist erzürnt. „Wir wollen einen Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen“, nennt er als Ziel von Gesprächen mit der Firmenleitung. „Gleichzeitig müsste Marquardt am Standort Rietheim sichtbar investieren – in Dinge, die man morgen nicht ins Ausland verlagern kann, wie Gebäude.“ Ihn wurmt, dass Marquardt Stellen abbauen will in einer Zeit, „in der es brummt für das Unternehmen – aber in anderen Ländern verdienen Ingenieure natürlich erheblich weniger“. Die Zahlen bestätigen das: Der Konzern konnte seinen weltweiten Umsatz im vergangenen Jahr um 15 Prozent auf knapp 840 Millionen Euro steigern. 8000 Beschäftigte zählt der Automobil-Zulieferer weltweit, knapp 2300 davon verdienen ihr Geld in Rietheim.

Betriebsbedingte Kündigungen drohen

Wadehn sorgt sich auch um die Zweigstelle in Böttingen. Diese würde Marquardt am liebsten abstoßen, sagt er, „aber sie kriegen sie nicht los“. Seinen Informationen nach soll die dortige Niederlassung verkleinert werden, eine von mehreren angedachten Neuausrichtungen sei eine Ersatzteile-Manufaktur „mit verkleinerter Mannschaft“. Für Rietheim rechnet Wadehn damit, dass die weitaus größte Zahl der in Frage kommenden bis zu 600 Arbeitsplätze im Bereich Automotive wegfallen würden. „Über Altersteilzeit kriegt man die nicht weg.“ Wadehn rechnet mit betriebsbedingten Kündigungen und Aufhebungsverträgen. Die Gewerkschaft wolle sich nun mit dem Arbeitgeber „an einen Tisch setzen, um zu gucken, was er eigentlich will“. Er vermute die Forderung nach unbezahlter Mehrarbeit, den schon ein Haustarifvertrag vorgesehen hatte, den die Belegschaft 2013 mehrheitlich abgelehnt hatte. „Aber wenn Marquardt das will, dann müssen sie auch am Stammsitz investieren.“

Sprecher Michael Barthel weist darauf hin, dass das Unternehmen am Standort Deutschland festhalte. „Aber wir müssten hier noch mehr Stellen abbauen, wenn wir im Ausland nicht investieren würden – wir würden in Deutschland Verluste machen, wenn wir die Niederlassungen in anderen Ländern nicht hätten.“ Marquardt habe immer mehr internationale Kunden. „Das stärkt auch den Standort Deutschland.“ Es sei nichts entschieden, „wir arbeiten daran, dass es keinen Personalabbau gibt“.

„Ziel ist es, so viele Arbeitsplätze wie möglich zu retten“, sagt Betriebsratsvorsitzender Antonio Piovano. „Bisher ist noch keiner entlassen.“ Nun müssten sich die drei Parteien, Unternehmensspitze, Betriebsrat und Gewerkschaft, an einen Tisch setzen – was alle Beteiligten auch wollen.

Die Bürgermeister der betroffenen Standorte in Rietheim-Weilheim und Böttingen , Jochen Arno und Gerhard Minder, haben am Mittwoch aus der Zeitung vom möglichen Ausmaß der Stellenstreichungen erfahren. „An Marquardt hängt in Rietheim die gesamte Infrastruktur“, sagt Arno. Als Beispiel nannte er die Gaststätten, Metzgereien und Bäckereien, in denen zahlreiche Beschäftigte in der Mittagspause essen. Arno betonte, dass der Stellenabbau immerhin „nicht von heute auf morgen“ erfolgen soll, sondern auf mehrere Jahre verteilt. Dass der Ort die Auswirkungen finanziell zu spüren bekomme, sei keine ausgemachte Sache, „Es ist nicht gesagt, dass die Gewerbesteuer absinkt – hochwertige Arbeitsplätze sollen ja erhalten bleiben.“ Im Juli werde man das Gespräch mit der Firmenleitung suchen: Dann sei ein Termin mit Gemeinderat und Ortsverwaltung geplant.

„Eine Katastrophe“

„Für Böttingen wäre es eine Katastrophe“, sagt Bürgermeister Gerhard Minder. Die dortige Marquardt-Niederlassung sei der zweitgrößte Arbeitgeber am Ort mit Beschäftigten aus Böttingen und von außerhalb. Wenn das Werk verkleinert werde oder schließe, würde die Gemeinde dies durch Rückgänge bei den Gewerbesteuereinnahmen zu spüren bekommen. Auch Minder will nun das Gespräch mit der Firmenleitung suchen, „um Konkretes zu erfahren“.

Reaktionen bei Facebook

Auch bei Facebook haben die Entwicklungen bei Marquardt zahlreiche Reaktionen ausgelöst. „Man kann nicht über Jahre hinweg immer mehr Zugeständnisse von den Beschäftigten verlangen. Die Schlinge wird immer enger gezogen. Das sind doch Erpressermethoden“, meint einer unserer Leser. „Das war mit vollkommen klar! Die sollen komplett dicht machen und Platz machen für ordentliche Firmen, die wieder Arbeitsplätze in der Region schaffen!“, meint ein anderer. „Und dann wundert man sich, wenn die Qualität nicht mehr passt, wenn die Arbeitsplätze im Ausland aufgebaut werden“, gibt ein weiterer zu bedenken.