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Prozess um Messerstecherei am Tuttlinger Rathaus: „Die wollten mich umbringen“

Tuttlingen / Lesedauer: 3 min

Prozess um Messerstecherei am Tuttlinger Rathaus: Opfer schildert, wie er die Nacht erlebte
Veröffentlicht:19.02.2020, 05:00

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Wie und warum ist es in der Nacht zum 9. August des vergangenen Jahres beim Tuttlinger Rathaus zu einer Messerstecherei gekommen, die nur durch glückliche Umstände nicht tödlich endete? Der zweite Prozesstag vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Rottweil am Dienstag hat erste wichtige Hinweise geliefert.

Auf der Anklagebank sitzen drei Männer im Alter zwischen 21 und 28 Jahren mit syrischer Staatsangehörigkeit. Ihnen wird versuchte Tötung vorgeworfen. Sie alle verweigern Aussagen zum Tathergang.

So ist das Gericht zunächst auf die Aussagen des Opfers angewiesen, eines 29-Jährigen aus dem Kosovo , der mit seinem Anwalt als Nebenkläger auftritt.

Er berichtet, der Streit habe sich im Vorfeld immer mehr aufgeschaukelt, weil die eine Seite der anderen vorgeworfen habe, Sprachnachrichten mit der fremden Frau beziehungsweise Freundinnen ausgetauscht zu haben. Und das gelte in der traditionellen Welt von Muslims als Tabu. Zunächst, so der Kosovare, habe man unter den Männern die Mütter beleidigt. Es ging auch um Ehre.

Dann aber sei einer der Angeklagten einen Tag vor der Tat zu seinem Schwager gekommen, erklärt der junge Mann, und habe angedroht, ihn zu töten.

Der gelernte Gartenbauer besorgte sich daraufhin ein Messer und einen Schlagstock, um sich notfalls verteidigen zu können.

Prompt sei dann nachts in der Nähe seines Wohnorts bei einem Bekleidungsgeschäft „plötzlich ein schwarzer BMW“ mit den drei Männern angefahren gekommen. Alle drei hätten ein Messer mit sich geführt. Er selbst habe das Messer in die eine und den Schlagstock in die andere Hand genommen und sei dann Richtung Rathaus geflüchtet. Während des Laufs habe er einen Stich in den Rücken gespürt. Beim Rathaus hätten ihn die Verfolger eingeholt. Er sei zu Boden gestürzt, dabei hätten zwei von ihnen auf ihn eingestochen und mit Fußtritten auf ihn eingeschlagen, schildert er.

Der junge Mann aus dem Kosovo, der verhältnismäßig gut Deutsch spricht, stockt, als er erzählt, wie er gerade noch aufstehen und wegrennen konnte. „Überall war Blut, ich konnte nicht mehr atmen. Ich bin in Panik geraten und hatte Angst, dass ich nicht überlebe.“ Er versteckte sich in der Nähe des „Scala“, verständigte die Polizei per Handy. Sein Glück war, dass der Notarzt binnen weniger Minuten da war und der Schwerverletzte danach per Notoperation gerettet werden konnte.

Das 29-jährige Opfer ist sich sicher: „Die wollten mich umbringen.“

Und dann berichtet er auf Nachfragen von Karlheinz Münzer , dem Vorsitzenden Richter, über die Folgen der Tat. „Ich bin froh, dass ich überlebt habe“, sagt er, fügt aber hinzu: „Ich kann nicht mehr richtig leben, ich kann nicht mehr schlafen, ich habe auf der Straße immer Angst, dass mich jemand verfolgt.“ Ärzte verordneten ihm eine halbjährige psychologische Behandlung, die er nach zwei Tagen abbrach, weil er sich angeblich um seine kleine Tochter kümmern musste.

Schon vorher sei er mit Haftbefehl gesucht worden, erinnert ihn Richter Münzer. Davon habe er nichts gewusst, beteuert der junge Mann, der vorbestraft ist. Aber das Verfahren sei eingestellt worden, erklärt sein Anwalt.

Die Videokamera eines Lokals beim Rathausplatz hat das Tatgeschehen in jener Nacht aufgezeichnet. Im Wesentlichen werden die Aussagen des Opfers bestätigt, in Einzelheiten weichen sie zum Teil ab. Das nehmen die Pflichtverteidiger der drei Angeklagten zum Anlass, ihn ins Kreuzfeuer zu nehmen. Er bleibt ruhig und erklärt, er könne die Tat nur so schildern, wie er sie erlebt habe.

Am Ende des langen Verhandlungstags berichtet das Gericht über Erkenntnisse aus dem Bundeszentralregister. Dabei wird deutlich, dass einer der Angeklagten in Heidelberg schon einmal jemanden mit einem Messer bedroht hatte und dass sich ein anderer mehrere Monate jünger gemacht hat, als er wirklich ist.