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Suchtberatung

Mehr junge Leute suchen die Suchtberatung auf

Tuttlingen / Lesedauer: 4 min

Anstieg um 15 Prozent – Alkohol, Cannabis und Opiate sind allgemein die Hauptursachen
Veröffentlicht:23.07.2018, 17:52

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Knapp 900 Menschen haben sich 2017 an die Fachstelle Sucht in Tuttlingen gewandt. Das sind rund zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Der Großteil der Beratungen – fast 80 Prozent – entfallen auf den Konsum von Alkohol, Cannabis und Opiaten. Wobei Alkohol nach wie vor Droge Nummer eins ist.

Wenn Marcus Abel , Leiter der Fachstelle Sucht in der Freiburgstraße, zu Präventionsveranstaltungen in den Schulen ist, dann wird er von den Kindern oft gefragt, ob es in Tuttlingen auch Crocodiles, kurz Crox, gebe. Nein, sagt Abel. Dieses Gemisch aus Codein, Iod und roten Phosphor, reich an stark toxischen Nebenprodukten, ist noch nicht im Landkreis aufgeschlagen. „Aber sonst gibt es alles, runtergebrochen auf die Bevölkerungszahl.“ Ecstasy, Speed, Amphetamine, Pilze und LSD – „Die jungen Leute probieren das aus“, erklärt Abel. Oft begleitend zu Alkoholkonsum oder zum Kiffen.

Leicht überproportional angewachsen ist dann auch die Zahl von Jugendlichen und jungen Heranwachsenden bis 23 Jahren: Plus 15 Prozent. 185 Klienten in diesem Altersspektrum suchten Beratung, hauptsächlich wegen Cannabis-Konsums. Sie kommen in der Regel über die Justiz, als Auflage eines Verfahrens wegen Drogenbesitzes. „Wir haben ein gemeinsames Ziel: Die jungen Leute wollen nicht mehr herkommen, und wir wollen sie nicht mehr wiedersehen“, sagt der Berufspädagoge. Wer mit Cannabis aufgefallen ist, hat Schwierigkeiten, den Führerschein zu bekommen. Auch das sei ein Punkt, warum viele den Bogen bekommen würden.

Ambulante Reha vermittelt

40 Prozent aller Beratungen der Fachstelle beziehen sich auf Alkohol. Zum Vergleich: Nikotin spielt gerade mal in vier Prozent eine Rolle, pathologisches Glücksspiel ebenso. Und Medienabhängigkeit taucht in der Statistik gar nicht extra auf: „Wenn, dann ist das Thema in Familienberatungen, wenn es um Grenzen setzen geht“, sagt der Fachstellenleiter.

Zurück zum Alkohol: Diese Abhängigkeit steht auch im Fokus der ambulanten Reha, die im vergangenen Jahr 25 Männer und Frauen gemacht haben. Feste Gruppentermine unter der Woche und separate Einzeltermine in der Suchtberatungsstelle über einen Zeitpunkt von sechs bis maximal 18 Monaten geben den Teilnehmern die Möglichkeit, weiter am normalen sozialen Leben teilzunehmen und vor allem, den Arbeitsplatz zu behalten.

Drei wichtige Projekte wird das neunköpfige Beraterteam in diesem Jahr abschließen: „Sucht im Alter“, „Fitkids“ sowie die Modellphase der psychosozialen Begleitung von Substituierten in der benachbarten Suchtmedizinischen Ambulanz des Zentrums für Psychiatrie Reichenau.Unabhängig davon geht die Begleitung der Substituierten weiter, wie Abel sagt: „Wir wollen uns für den Fortbestand dieser qualifizierten Angebote im Landkreis Tuttlingen einsetzen“, geklärt werden müsse aber die weitere Finanzierung.

Bei den „Fitkids“ handelt es sich um ein Coachingprogramm der Mitarbeiter der Suchtstelle. Abel: „Bislang stand immer der Abhängige im Fokus. Wir haben es uns zum Ziel gemacht, die Kinder der Abhängigen in den Blick zu nehmen.“ Studien zeigen, dass diese Kinder ein dreimal höheres Risiko tragen, selbst in die Abhängigkeit zu geraten.

Sinnvoll leben im Rentenalter

Aus dem Projekt „Sucht im Alter“ hat sich ein fester Gesprächskreis im Haus der Senioren entwickelt, der sich alle zwei Wochen trifft. Abel sieht es als toller Erfolg an. „Es geht um ein sinnvolles Leben im Rentenalter“, erklärt er. Abhängigkeit stehe bei diesen Treffen nicht an erster Stelle, sei aber auch ein Thema. Die Gruppe soll nach Abschluss der Projektphase weiterbestehen. Zudem wurde Pflegepersonal mit Blick auf Suchtgefahren im Alter geschult, als Prävention und Früherkennungssystem.

„Diese Projekte haben uns viel Kraft gekostet“, sagt Abel. Deshalb sei momentan noch nicht geklärt, welche Schwerpunkte in 2019 umgesetzt werden.

Natürlich werden die Beratungen weiterhin breiten Raum einnehmen: Von den 897 Hilfesuchenden im Jahr 2017 haben 682 an einer längerfristigen Beratung teilgenommen oder einem Kursprogramm. 68 Menschen besuchten regelmäßig die Selbsthilfegruppen.