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Maskenpflicht

Masken erschweren das Zuhören

Tuttlingen / Lesedauer: 4 min

Hörakustiker Thorsten Saile erklärt, warum es Hörgeschädigte in Corona-Zeiten noch schwerer haben
Veröffentlicht:30.04.2020, 16:20

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Sie bedeckt zwar nur unseren Mund. Trotzdem ist eine Gesichtsmaske ein Hindernis für unsere Ohren. Torsten Saile, Inhaber des Hörhauses in Tuttlingen, steht voll hinter der Maskenpflicht. Trotzdem sieht er Handlungsbedarf: Mit Messungen haben er uns seine Auszubildende bewiesen, wie sehr Mund-Nasen-Masken unser Hören beeinflussen. Im Interview mit Volontärin Birga Woytowicz erklärt er, wie sich unsere Kommunikation durch Masken verändert und warum manch einer erst jetzt auf seine Schwerhörigkeit aufmerksam wird.

Wie erschwert die Maskenpflicht die menschliche Kommunikation?

Zunächst einmal möchte ich sagen, dass es richtig ist, eine Maske zutragen. Dass der Mund bedeckt ist, ist nicht nur für Ältere, sondern auch für Jüngere eine Einschränkung. Ist das Mundbild verdeckt, kann keine Mimik transportiert werden. Alles sieht sehr ernst aus. Wer hörgeschädigt oder gar gehörlos ist, hat jetzt aber noch ein größeres Verständnisproblem, da die Maske die Feinstruktur der Sprache schluckt. Ich würde sagen, dass 20 bis 30 Prozent unseres Sprachverständnisses vom Mundbild abhängen. Selbst bei großem Lärm bekommen wir dadurch noch viele Infos mit. Gehörlose Menschen können durch das Lippenlesen noch viel mehr herausfinden. Das ist momentan nicht mehr möglich. Diese Menschen leiden sehr darunter.

Sie haben dazu Messungen gemacht. Wie haben Sie das untersucht?

Meine Auszubildende Frau Gregori und ich wollten messen, was eine Maske an Schall dämmt. Hierzu haben wir einen Lautsprecher in Richtung eines fiktiven Kunden im Abstand von 1,2 Metern aufgestellt und Sprache wiedergegeben. Diese wurde von einem Mikrofon aufgenommen. Zunächst haben wir gemessen, was ohne Maske beim Hörer ankommt. Wenn ich normal spreche, entspricht das im Durchschnitt einer Lautstärke von 65 Dezibel. Im nächsten Schritt haben wir den Lautsprecher mit einer OP- und einer FFP3-Maske abgedeckt. Die Operationsmaske hat sechs Dezibel gedämmt, die FFP-3-Maske etwa acht. Da manch einer nicht nur mit Maske, sondern auch einem Schutzvisier arbeitet, haben wir dem Lautsprecher auch das noch aufgesetzt. Bis zu zehn Dezibel – das entspricht einer Halbierung der Lautstärke. Das ist für alle eine Einschränkung. Bei Schwerhörgen kommt diese Dämmung zum Hörverlust noch mit dazu.

Der Lautsprecher wurde für die Messungen mit Maske und Sichtschutz verkleidet.
Der Lautsprecher wurde für die Messungen mit Maske und Sichtschutz verkleidet. (Foto: BWO/Schwäbische.de)

Wie viele Leute betrifft das?

Viele. Man kann sagen, dass der Hörverlust bei Leuten ab 50 Jahren aufwärts beginnt. Die Schwerhörigkeit nimmt mit dem Alter zu. Menschen die zuvor schon öfters nachgefragt haben, werden nun starke Probleme in der Kommunikation haben

Also wird manch einer durch die Maskenpflicht jetzt vielleicht erst zu spüren bekommen, dass er ein Hörproblem hat?

Da bin ich sicher. Wir können Hörgeräte durch das Wissen der Messungen mit einem „Maskenprogramm“ einstellen, sodass der Verlust durch die Maske aufgefangen werden kann. Allen anderen rate ich zu einem Hörtest oder einer Hörvorsorge. Allgemein sollten wir unserem Gegenüber jetzt immer mitteilen, wenn wir ihn nicht gut verstehen. Damit sollten wir offen umgehen. Wir können uns ja auch nicht annähern, da die Abstandsregelung gilt.

Was bedeutet es für unser Ohr, wenn wir uns jetzt alle anschreien? Übertragen wir das dann auch auf den Privatbereich, wo wir keine Maske benötigen?

Gewöhnungseffekte des lauten Schreiens treten erst auf, wenn man über Jahre sehr laut mit jemandem spricht. Über so kurze Zeit muss man sich keine Sorgen machen, Schäden entstehen auch nicht. Wenn man lauter spricht, kommen die Klangschwerpunkte zwar besser durch. Aber nach wie vor klingen die Worte dumpf. Enden Worte auf sogenannte Frikative wie s, t oder h, wird das durch die Maske geschluckt.

Die Maske verpasst uns eine ernste Miene, wir sprechen lauter: Wie schaffen wir es, trotzdem Emotionen zu senden?

Wenn ich jemandem große und schöne Augen machen möchte, geht das sicher noch. Aber das Mundbild ist schon ausschlaggebend. Deswegen bin ich dafür, Masken mit Folienausschnitten einzuführen. Gerade für Schwerhörige und vor allem Gehörlose, wenn man vertrauliche Gespräche führt, fällt es damit leichter, sich zu unterhalten, weil mein voll auf sein Gegenüber eingehen muss.