StartseiteRegionalRegion TuttlingenTuttlingenGeringe Aussichten auf ein Adoptivkind

Adoption

Geringe Aussichten auf ein Adoptivkind

Tuttlingen / Lesedauer: 4 min

Zahlen sind im Landkreis Tuttlingen rückläufig – Adoptionen häufig durch Stiefeltern
Veröffentlicht:08.09.2017, 19:12

Von:
Artikel teilen:

Die Zahlen schwanken: Bei sieben bis 15 Prozent der Paare mit Kinderwunsch in Deutschland klappt es nicht mit Nachwuchs. Eine Kinderwunschbehandlung ist für viele Betroffene die letzte Hoffnung. Oder eine Adoption. Doch die Zahlen sind ernüchternd. In den vergangenen zehn Jahren gab es im Landkreis Tuttlingen gerade mal zwei Inlandsadoptionen. Auch die Zahlen der Auslandsadoptionen sind rückläufig.

Wenn Waltraud Hermle eines sicher weiß, dann das: „Ich weiß nie, wie es sich entwickelt.“ Seit 1980 ist die Sozialpädagogin als Sachbearbeiterin der Adoptionsvermittlungsstelle im Landratsamt Tuttlingen tätig. Im Jahr 2006 hat das Amt noch sechs neugeborene Kinder vermittelt. Seit damals gab es gerade mal zwei Adoptionen innerhalb des Landkreises, der letzte Adoptionsabschluss erfolgte 2014. Woran liegt dieser auffallende Rückgang? „Wir können hier nur spekulieren“, sagt Christina Martin, Leiterin des Amtes für Familie, Kinder und Jugend im Landratsamt. So sei nicht nur die Beratung für Schwangere ausgebaut worden, sondern auch das Angebot an Frühen Hilfen, das Mütter und Familien in schwierigen Lebenssituationen unterstütze. Zudem ist die Pille danach seit 2015 rezeptfrei auf dem Markt.

Auch gleichgeschlechtliche Paarekönnen adoptieren

Und jetzt kommt die Rolle rückwärts: Nach einem ruhigen Jahrzehnt sind momentan gleich zwei Kleinkinder zur Adoptionspflege in Familien untergebracht. Eine der leiblichen Mütter hatte sich bereits in der Schwangerschaft an Waltraud Hermle gewandt und die Absicht geäußert, ihr Kind zur Adoption freizugeben, die andere erst nach der Entbindung. Wenn alles glatt läuft, wird das eine Adoptionsverfahren noch in diesem Jahr abgeschlossen werden, das andere wohl im kommenden Jahr. Und es gibt noch eine Besonderheit: Erstmals wird ein gleichgeschlechtliches Paar im Landkreis Tuttlingen Adoptionseltern.

Drei Bewerberpaare für eine Inlandsadoption und vier Paare für eine Auslandsadoption stehen derzeit auf der Warteliste im Landratsamt. Jede Menge Papierkram, Hausbesuche und umfassende Gespräche braucht es für einen Sozialbericht, der Voraussetzung für eine Adoption ist. Und: Nicht jedes Kind passt zu jedem Paar. „Wir schauen in erster Linie auf die Bedürfnisse des Kindes“, erklärt Christina Martin . Oft würden Kinder aus schwierigen oder belasteten Familien zur Adoption frei gegeben. Dann sei es manchmal besser, wenn dieses Kind in einem anderen Landkreis aufwachse. Nicht abzuschätzen sei die spätere Entwicklung eines Säuglings, wenn die leibliche Mutter beispielsweise eine Suchtkarriere habe oder andere gesundheitliche Einschränkungen. Ein solches Baby bei sich aufzunehmen, traue sich wiederum nicht jedes Paar zu.

Auch bei Auslandsadoptionen ist das Landratsamt Tuttlingen eingebunden, es sei denn, die Paare wenden sich direkt an Auslandsvermittlungsstellen, die dann auch den Sozialbericht erstellen. Vier Auslandsadoptionen hat das Landratsamt seit 2013 begleitet, dazu kamen im selben Zeitraum zwei Auslandsadoptionen über eine Auslandsvermittlungsstelle in den Kreis Tuttlingen. Zum Vergleich: Allein 2009 gab es acht Auslandsadoptionen im Landkreis. Politisch instabile Situationen machen es seither in vielen Regionen der Welt schwierig, ein Adoptionsverfahren durchzuführen. In anderen Ländern seien die bürokratischen Vorschriften so kompliziert geworden, dass Adoptionen kaum mehr machbar seien, so Hermle.

„Viele Paare mit Kinderwunsch kommen verzweifelt und voller Hoffnung zu mir. Und diese Hoffnung muss ich ihnen dann auch noch nehmen“, sagt die Sachbearbeiterin zu den geringen Aussichten auf ein Adoptivkind. Auch wenn es tatsächlich klappen sollte, braucht es einen langen Atem: Waltraud Hermle hat ein Paar begleitet, das zehn Jahre auf ein Adoptivkind gewartet hat.

Gleichbleibend hoch sind seit Jahren nur die Zahlen der Adoptionen von Kindern durch ein Stiefelternteil. Wenn die Verfahren, die derzeit noch auf ihrem Schreibtisch liegen, noch dieses Jahr beschieden werden, gibt es rund fünf bis sechs Adoptionen in Patchworkfamilien. Das deckt sich mit den Zahlen der vergangenen Jahre.

Freigabeerklärung der leiblichen Eltern

Egal ob Fremd-, Auslands- oder Stiefkindadoptionen: Das Verfahren ist das Gleiche. Der Sozialbericht ist Pflicht, dabei werden auch Gesundheitszustand, Einkommensverhältnisse und das erweiterte polizeiliche Führungszeugnis in Augenschein genommen. Leibliche Eltern müssen eine Freigabeerklärung ihres Kindes (das ist frühestens acht Wochen nach der Geburt möglich) bei einem Notar abgeben – und können diese innerhalb der acht Wochen auch wieder zurückziehen. Dann kommt keine Adoption zustande, selbst wenn das Kind schon zur Adoptionspflege in einer anderen Familie war. „Das sind ganz schwierige Situationen, die wir leider auch schon hatten“, sagt Martin. Haben die leiblichen Eltern bei einem Notar in die Adoption eingewilligt, ist das nicht mehr rückgängig zu machen.

Besiegelt wird eine Adoption letztlich durch ein Familiengericht. In der Regel durch das vor Ort, also in Tuttlingen. Das Stuttgarter Familiengericht ist immer dann zuständig, wenn ein beteiligtes Elternteil oder das Kind einen ausländischen Pass hat. „Diese Fälle haben deutlich zugenommen“, sagt Hermle.