Schulterschwung

Erst fliegen, dann abrollen

Tuttlingen-Nendingen / Lesedauer: 4 min

24-Stunden-Serie, Teil XVII: Beim Ringer-Training des ASV Nendingen von 19 bis 20 Uhr
Veröffentlicht:04.09.2015, 10:32

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Ich zwinge mich, gleichmäßig zu atmen. Der Schweiß rinnt mir schon von der Stirn. Aber trotzdem versuche ich mich zu konzentrieren. Am Arm festhalten, dann den Ellenbogen packen. Einmal umdrehen, auf die Knie und ziehen. Schon fliegt Baris über meinen Rücken und rollt sich auf der Matte ab.

Ich falle mit um. Höchst vermutlich hat dieses Manöver mir mehr wehgetan als ihm. „Das war für deinen ersten Schulterschwung schon ganz in Ordnung. Los, probier’ es gleich nochmal“, meint Baris dann beim Aufstehen. Ich rappele mich auf. Also noch einen Versuch. „Du musst kräftiger ziehen. Schau mal – so ungefähr.“ Und ehe ich mich versehe, rolle ich selbst über die Matte.

Und tatsächlich: Geschickt über die Schulter geworfen zu werden tut im Gegensatz zu meinem stümperhaften Versuch jemanden zu werfen überhaupt nicht weh. Das möchte ich auch so elegant hinbekommen. Also ziehe und drehe ich nochmal an Baris’ Armen. Es gelingt überraschend leicht. Vermutlich ist er aus Mitleid einfach über meine Schultern gesprungen. In meiner ersten Trainingsstunde, die ich bei den Ringern des ASV Nendingen mitmache, kann ich wohl wirklich nicht erwarten, auf deren Weltmeister-Niveau Schulterschwünge auszuführen. Oder Halbnelsons. Oder Übungen mit der Bulgarien-Bag. Oder den Schulterschwung mit der Puppe Bill.

Ohne Kondition keine Chance

So langsam gerate ich aus der Puste. Gefühlt trainiere ich schon zwei Stunden. Ein Blick auf die Uhr verrät allerdings: es sind gerade mal 20 Minuten vergangen. Ohne eine gewisse Basis-Kondition steht man das Ringer-Training nicht komplett durch.

Normalerweise ist montags Ausdauer- und Lauftraining beim ASV angesagt. Zwei der Ringer stehen aber kurz vor internationalen Wettbewerben. Sie müssen sooft es geht auf der Matte trainieren. Tim Baur aus Nendingen ist 16. Und eine der größten Ringer-Hoffungen im Kader, sagt Chef-Trainer Volker Hirt . In Serbien tritt er bei der EM in der Klasse bis 63 Kilogramm im freien Stil an. Zwei Wochen nach meinem Schnuppertraining wird er bei seiner allerersten Europameisterschaft den 12. Platz belegt haben. Auch Ringer Ghenadie Tulbea bereitet gerade sich auf einen wichtigen Wettbewerb vor: die Weltmeisterschaften in Las Vegas. Im Training treten die beiden ungleichen Ringer auch gegeneinander an. Laut dem Trainer eine gute Übung, um sich auf die Wettkämpfe vorzubereiten. Ich beobachte einen Trainigskampf und freue mich, als ich eine der Übungen wieder erkenne, die ich gerade selbst ausprobiert habe. Oder ich glaube zumindest, sie erkannt zu haben.

Dann bin ich wieder an der Reihe. Bei der Boden-Übung Halbnelson versage ich kläglich. Eine Hand soll ich unter der Achsel meines Gegners hindurch an seinen Nacken legen und nach vorne drücken. Ein wenig Angst habe ich, irgendwelche Wirbel zu brechen oder einen Arm auszukugeln. Also drücke ich nur zaghaft – mit wenig Erfolg. Dagegen war mein Schulterwurf schon richtig profimäßig. Mein „Gegner“ befreit sich natürlich sofort. Und um mir zu demonstrieren, was ich besser machen soll, muss ich nun als Opfer herhalten – klar. Cheftrainer Volker Hirt übernimmt meine Unterweisung in den richtigen Halbnelson. Ich versuche, mich aus dem Griff zu winden. Keine Chance. Obwohl Trainer Hirt nicht einmal mit halber Kraft die Übung ausgeführt hat.

Spaß am Sport

Es gehe bei den Trainings-Einheiten vor allem um den Spaß am Sport, sagt Trainer Volker Hirt: „Wir passen uns an schwächere Gegner an. Es bringt ja nichts, wenn ich einen Ringer aus einer anderen Gewichtsklasse durch den Raum ziehe und der hat gar keine Chance für ein Manöver. Dann vergeht der Spaß am Training schnell.“ Das weckt meinen Ehrgeiz, vielleicht doch noch in einem kleinen Ringkampf bestehen zu können. Zum Abschluss ringe ich also nochmal mit meinem Übungs-Gegner Baris Diksu. Nach nur wenigen Minuten ziehen, fliegen auf der Matte abrollen und konzentriert an die Technik denken, bin ich erst einmal fertig mit der Welt.

Wenn ich nun jeden Montag zum Training gehen würde, wäre ich in wenigen Wochen fit. Und darauf könnte man dann doch technisch aufbauen.