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Dreifachmord

Dreifachmord: Nur der Zufall verhinderte, dass es noch mehr Tote gab

Tuttlingen / Lesedauer: 4 min

Der Witwer der getöteten 29-Jährigen von Villingendorf schreit seine Verzweiflung heraus
Veröffentlicht:26.04.2018, 19:21

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Im Prozess um den Dreifachmord von Villingendorf verfällt der Angeklagte in Selbstmitleid. Derweil wird klar, dass nur der Zufall verhinderte, dass es noch mehr Tote gab.

Wer gehofft hatte, im Prozess vor dem Landgericht Rottweil um den Dreifachmord von Villingendorf seien vorerst die erschütterndsten Szenen überstanden, der sah sich am Donnerstag, dem achten Verhandlungstag, getäuscht: Der Mann, dessen Frau den tödlichen Schüssen zum Opfer fiel und der jetzt mit zwei kleinen Kindern alleine dasteht, konnte seine Emotionen und seine Verzweiflung nur mit größter Mühe bändigen.

„Wo ist meine Frau, wo ist die Mutter meiner Kinder?“, rief er auf russisch, übersetzt von einer Dolmetscherin, in den Gerichtssaal. „Wie kann ich weiterleben?“, fragte er, ohne eine Antwort zu bekommen. Und weiter: „Das Finanzielle und die täglichen Sorgen sind nicht meine größten Probleme, sondern das, was in meinem Kopf los ist.“

Gespräch mit einem Vermummten: Rechtsanwalt Bernhard Mussgnug spricht mit dem Angeklagten im Prozess um den Dreifachmord von Villingendorf. Foto: Marijan Murat

Der große und starke Mann, fühlte sich von Anfang an ungerecht behandelt. Als er zum Tatort kam, zufällig direkt hinter dem Notarzt, sah er seine sterbende Frau auf der Treppe sitzen. Polizisten warfen ihn in den Wirren der unsicheren Lage, von hinten auf den Boden, legten ihm Handschellen an und führten ihn ab. Er sei im Polizeiauto gesessen, sagte er, habe gesehen, wie seine Frau in den Notarztwagen transportiert wurde und gewusst, dass seine zweieinhalbjährige Tochter noch irgendwo am Tatort sein müsse. Der eineinhalbjährige Sohn lag schlafend im Kindersitz des Familien-Pkw.

Angeklagter gibt Polizei Mitschuld

Schlimmer noch für den 32-Jährigen ist der Gedanke, dass diese Katastrophe hätte verhindert werden können. „Warum sitzen die Mittäter nicht hier, warum nicht die Polizei , die schwere Fehler gemacht hat?“, sagte er und zeigte voller Verachtung auf den Anklagten.

Für den Täter gebe man zehntausende von Euro aus, aber die Opfer überlasse man ihrem Schicksal, beklagte er bitter. „Ich muss zu Hause sitzen, für die Kinder sorgen und vom Jobcenter leben“, sagte der Mann, der als Fensterbauer gearbeitet hat. „Ich habe viele Fragen und keine einzige Antwort. Der hat nicht nur drei Menschen getötet, sondern auch drei Famlilien mit mehr als 50 Menschen zerstört.“ Deshalb müsse er so hart wie möglich bestraft werden. „Darum bitte ich das Gericht.“

Richter Karlheinz Münzer hörte lang und geduldig zu, versicherte dann dem Witwer, das Gericht tue alles, um die Geschehnisse lückenlos aufzuklären. Für einen Moment schien der Mann beruhigt. Kaum hatte er die Tür hinter sich zugeschlagen, hörte man einen lauten, markdurchdringenden Schrei der Verzweiflung und der Ohmacht.

Fast hätte es noch mehr Tote gegeben

Glück und Zufall verhinderten, dass es bei der Katastrophe von Villingendorf noch mehr Tote gab. Das berichtete die Frau des Mannes, der ebenfalls erschossen wurde. Er wollte seine drei Kinder zur Einschulungsfeier von Dario mitnehmen, dem Sohn seiner neuen Lebensgefährtin und ehemaligen Partnerin von Drazen D. , dem mutmaßlichen Täter. Doch die Frau, mit der er noch verheiratet war, verbot es ihm mit dem Hinweis, die Kinder müssten am nächsten Tag in die Schule.

Die 35-Jährige, ganz in Schwarz gekleidet, machte gestern im Zeugenstand einen gefassten Eindruck. „Ich bin eine starke Frau“, sagte sie und berichtete, die Ehe sei am Ende gewesen. Trotzdem habe sie sich mit ihrem Mann anfangs noch gut verstanden. Deshalb habe sie dem 34-Jährigen und seiner Freundin Ende Februar 2017, als von Drazen D. die ersten Morddrohungen kamen („Ich habe die Angst in den Augen meines Mannes gesehen“), vorgeschlagen, bei ihr zu wohnen. Allerdings nur unter der Bedingung, dass sie in unterschiedlichen Zimmern übernachten und sich auch sonst zurückhalten. Als es dann aber zu Umarmungen beim Fernsehen gekommen sei, habe sie die beiden rausgeworfen. Von da an sei es immer wieder zu Reibereien gekommen, auch mit den Kindern. Leid habe es ihr, so die Frau, auch für Dario getan, der ein liebenswerter Junge gewesen sei. „Ich habe starke Sehnsucht nach Papa“, habe er einmal gesagt. Und auf den Hinweis, der drohe damit, sie alle umzubringen, habe der Sohn geantwortet: „Das glaube ich nicht. Er liebt mich doch!“

Drazen D. verfolgte auch die dramatischsten Schilderungen äußerlich völlig ungerührt. Nur einmal grinste er: Als ein Zeuge berichtete, Drazen habe gedroht, er werde seinem Nebenbuhler das Geschlechtsteil abschneiden und ihn anschließend zwingen, es zu essen.