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Corona-Virus: Im Tuttlinger Gesundheitsamt laufen die Telefone heiß

Tuttlingen / Lesedauer: 8 min

Menschen im Kreis sind verunsichert – Bislang zwei Tests im Kreisklinikum Tuttlingen angeordnet – Vielerorts sind Desinfektionsmittel ausverkauft
Veröffentlicht:27.02.2020, 12:45

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Eine Infektion mit dem Corona-Virus liegt im Landkreis Tuttlingen noch nicht vor. Doch die Anspannung steigt, wie Siegfried Eichin, Leiter des Gesundheitsamts, auf Anfrage mitteilt. Seit ein 25-Jähriger im Landkreis Göppingen erkrankt ist, „laufen bei uns die Telefone heiß. Wir bekommen zig Anrufe, wie man damit umgeht. Wir sind in höchster Bereitschaft“, sagt er. Seit Mittwochabend ist zudem ein Corona-Fall im Kreis Rottweil bestätigt.

Auch das Kreisklinikum in Tuttlingen wird immer wieder von Patienten mit Infekten kontaktiert. „Bisher haben wir aber keinen bestätigten Corona-Virus-Fall“, so Aline Riedmüller , Assistentin der Geschäftsleitung. Bisher habe das Klinikum zwei Tests in Auftrag gegeben.

Durch die vielen Menschen, die von Auslandsreisen nach Baden-Württemberg zurückkehren, sei man schon angespannter. „Aber Corona ist nicht Ebola“, meint Siegfried Eichin vom Gesundheitsamt und verdeutlicht, dass man bei der Bekämpfung der Lungenkrankheit „mit Bedacht“ vorgehen solle. Von Maßnahmen, wie dem Schließen der Grenze, um Länder abzuriegeln, hält er nichts. „Das ist unverhältnismäßig. Und wenn wir schon mit Kanonen schießen, müssen wir auch wissen, auf was wir schießen“, sagt der Mediziner.

Sollte sich jemand wirklich krank fühlen, rät Bernd Mager, Dezernent für Soziales und Arbeit beim Landkreis, dazu, zunächst telefonisch Kontakt zum Hausarzt oder dem Krankenhaus aufzunehmen. Wichtig sei, dass man den Ärzten mitteilt, wenn man in einem Risikogebiet gewesen ist. Wobei die Eingrenzung nicht eindeutig ist. Während zwei Orte in Italien mittlerweile ein Risikogebiet seien, wäre Mailand das noch nicht, sagt Eichin (siehe Kasten).

Um sich nicht mit Corona anzustecken oder es nicht zu übertragen, muss man auf die Hygiene achten, erklärt er. Dazu gehören das regelmäßige Waschen der Hände sowie das Husten in die Armbeuge. Jüngere Menschen, bei denen die Ansteckungsgefahr nicht so groß sei, sollten den Umgang mit älteren Personen wegen der möglichen Übertragung meiden.

Bei der Aesculap AG sind den Mitarbeitern Reisen nach „Asien, aus Asien und aus der Region heraus“ sowie nach Italien verboten. Ein Firmensprecher des Mutterkonzerns B. Braun Melsungen AG erklärt, dass die „Nachfrage nach Produkten zum persönlichen Schutz, wie Gesichtsmasken und Handschuhe, sowie nach Produkten für die Hände- und Flächendesinfektion erheblich zugenommen“ hat. Aufgrund der steigenden Nachfrage könnte es sein, dass die Aesculap AG Anfragen ablehnen oder den Kunden eine spätere Lieferung anbieten müsse.

Dass Desinfektionsmittel fehlt, macht sich unter anderem in Drogerien bemerkbar. Die Regale, in denen sonst Handdesinfektionsmittel, Desinfektionstücher und Putzmittel mit desinfizierenden Inhaltsstoffen zu finden sind, sind im Müller in Tuttlingen leergefegt. Und nicht nur dort. Auch in Apotheken gibt es kaum noch Desinfektionsmittel. „Es gibt weder Desinfektionsmittel noch Mundschutz“, berichtet Olga Knack, Inhaberin der Linden-Apotheke in Immendingen. „Niemand weiß, wann die Produkte wieder lieferbar sind“, sagt sie. Am Donnerstagvormittag hat sie mit mehreren Firmen und Großhändlern telefoniert, von denen die Apotheken abhängig seien. Der Aussage des Gesundheitsministers Jens Spahn, dass alle gut vorbereitet seien, könne sie nicht zustimmen. „Die Bestände sind alle weg, keiner weiß, wann es wieder Nachschub gibt, da sieht man ja, wie gut alle vorbereitet sind.“

Auch Apothekerin Claudia Schwägler von der St. Anna Apotheke in Fridingen weiß, dass viele Firmen bereits seit zwei bis drei Wochen keine Desinfektionsmittel mehr liefern. Einen kleinen Vorrat hat sie noch, den sie aber für Patienten mit geschwächtem Immunsystem und Heime aufbewahrt, „dort, wo alle auf einem Pulk sitzen“, schildert sie. „Wir bekommen auch nichts mehr, auch nicht für uns selbst.“ Oft die Hände zu waschen, sei ein gutes Mittel um vorzubeugen, sagt sie.

Viel mehr als die Lieferengpässe des Desinfektionsmittels belastet sie am Donnerstagvormittag aber ein anderes Thema: „Heute morgen habe ich einen Anruf von der Feuerwehr bekommen“, sagt sie. Ihnen sei nun empfohlen worden, sich Mundschutz mit Filter, sogenannte FFP3-Masken, zuzulegen. „Die sind schon seit drei Wochen nicht mehr zu bekommen.“ Bei einem Telefonat mit einer Firma, die bundesweit liefert, habe man ihr gesagt, dass vor August keine Masken mehr produziert werden. „Feuerwehr, Polizei, DRK – die müssen raus, und bekommen erst jetzt empfohlen, sich solche Masken zu besorgen“, wundert sich Schwägler.

Emmingen-Liptingens Kommandant, Markus Neidhart, sieht die Lage jedoch noch entspannt. Deshalb sei nicht vorgesehen, dass Masken beschafft werden. „Was wir heute morgen bekommen haben, ist eine Richtlinie, wie man sich verhalten sollte. Aber letztendlich verhalten wir uns so, wie wenn wir wissen, dass jemand die Grippe hat“, erklärt er.

Auch Franziska Kars von der Honberg Apotheke weiß von der momentanen Situation: „Wir haben auch gar kein Desinfektionsmittel mehr. Und bekommen vorerst auch nichts – frühestens in zwei bis drei Monaten“, sagt sie. Auch Atemschutzmasken seien momentan Mangelware. „Die FFP3-Masken mit Filter sind erstmal nicht lieferbar. Vor einigen Tagen haben wir welche ohne Filter bekommen. Aber auch die sind mittlerweile schon wieder ausverkauft“, erzählt Kars.

Vereinzelt macht sich die Ausbreitung des Virus auch in den Lebensmittelmärkten im Kreis bemerkbar. Ein Regal, das im Edekamarkt in Geisingen leergeräumt ist, sei das mit den Desinfektionsmitteln, schildert Marktleiterin Gabriela Weber im Gespräch mit unserer Zeitung. Am Freitag steht die nächste Lieferung an, „mal abwarten, was noch gebracht wird“, sagt Weber. Ihre Mitarbeiter habe sie sensibilisiert, die Hände noch häufiger zu desinfizieren und keine Hände zu schütteln.

Hamsterkäufe gebe es vereinzelt. Vor allem Konserven und Teigwaren würden dann im Einkaufswagen landen, so Weber. Extremer sei die Lage im Markt in Aldingen. „Ich vermute, dass das mit der Nähe zu Rottweil zu tun hat“, sagt Weber.

Im Edeka Aktivmarkt Siedler in Tuttlingen habe es bis Donnerstagnachmittag noch keine vermehrten Hamsterkäufe gegeben. Derzeit gebe es auch noch keine Liefereinschränkungen, schildert Inhaber Oliver Siedler. „Die Hygiene-Sachen laufen etwas stärker“, berichtet er. Dieses Kaufverhalten sei aber „jetzt erst akut aufgetaucht“.

Die Hotels in der Region spüren die weltweiten Corona-Infektionen auch: „Im Januar und im Februar haben alle Gäste aus den asiatischen Ländern ihren Aufenthalt bei uns storniert“, erzählt Sandro Gay, Geschäftsführer des Stadthotels Tuttlingen. Im Schnitt wären das zehn Kunden in der Woche. Das Hotel arbeitet eng mit Tuttlinger Unternehmen zusammen, die die Besuche von Kunden und Geschäftspartnern in den vergangenen zwei Monaten abgesagt hätten. „Das merken wir natürlich“, sagt Gay. Abweisen würde das Stadthotel aber niemanden. So wird es auch im Légère Hotel und dem Charly's Tuttlingen gehandhabt. „Wir weisen keine Gäste ab“, sagt Ute Werle, stellvertretende Direktorin der Hotels. „Wir haben in unseren Häusern sowieso Hygienebestimmungen. Darauf achten wir verstärkt – zum Schutz unserer Gäste und der Mitarbeiter“, erklärt sie.

Von einer Stornierungswelle kann Ronald Hutter, Inhaber von Hutter Reiseservice, nicht sprechen. Dass Kunden ihre Reise nicht antreten wollen, passiere nicht so häufig. Viel mehr würden sich die Menschen informieren wollen. „Es herrscht eine große Skepsis bei den Menschen. Das sorgt für eine extreme Unsicherheit. Das Virus ist nicht greifbar. Da kommt dann Panik hoch“, sagt Hutter, der sich grundsätzlich mehr Informationen für die Bürger wünscht. Die Situation müsste versachlicht, den Menschen erklärt werden, wer gefährdet ist und, was man gegen das Virus tun kann. „Viele denken, sobald man sich angesteckt habe, würde man auch tot umfallen.“ Generell leide die Reisebranche unter den Umständen sehr.

Beim Reiseservice habe man zwar weiter genug zu tun, im Vergleich zu den vielen Anfragen sei das Buchungsverhalten aber zurückhaltend. „Sieben von zehn Kunden sagen, dass mit dem Angebot alles stimmt, sie wollen aber noch abwarten, wie sich die Lage entwickelt.“ Hutter weist noch daraufhin, dass man bis zu einem gewissen Zeitpunkt stornieren kann. „Wenn die Leute jetzt schon ihren Sommerurlaub in Italien absagen wollen, wird der Reiseveranstalter sicherlich nicht so kulant sein und das verstehen.“

Das Klinikum Landkreis Tuttlingen hat sich auf die von offizieller Stelle empfohlenen Schutzmaßnahmen gründlich vorbereitet, erklärt Aline Riedmüller. Die erforderlichen Masken sowie andere persönliche Schutzausrüstung seien „in ausreichender Menge“ vorrätig. Riedmüller: „Wir halten uns bei konkreten Verdachtsfällen an den empfohlenen Behandlungs-Algorithmus. Darauf haben wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch klinikinterne Fortbildungen gezielt vorbereitet.“ Zudem stimme sich das Klinikum regelmäßig mit dem Gesundheitsamt ab. Zuletzt fand am Mittwoch eine Besprechung mit dem Leiter des Gesundheitsamtes Tuttlingen statt.

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