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Stadthalle

„Alzheimer ist kein unvermeidbares Schicksal“

Tuttlingen / Lesedauer: 3 min

Buchautor referiert in der Stadthalle – Gesunde Lebensweise ist das A und O
Veröffentlicht:27.04.2016, 18:17

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Provokant für viele Alzheimer-Forscher, aber verheißungsvoll für Betroffene hat der Mediziner und Molekulargenetiker Dr. Michael Nehls sein jüngstes Buch und seinen Vortrag in der Stadthalle betitelt: „Alzheimer ist heilbar“.

Zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres referierte Nehls am Dienstagabend zu diesem Thema auf Einladung der Volkshochschule . VHS-Leiter Hans-Peter Jahnel begrüßt erneut an die 400 Zuhörer.

Umstritten sei er unter Kollegen, bekannte Nehls. Bisher gelte Alzheimer als nicht heilbar, doch allmählich finde er auch bei wichtigen Alzheimer-Kongressen Gehör. Er erklärte, diese Form der Demenz sei kein unabwendbares Schicksal im Alter, sondern eine Mangelerkrankung, die mit einem ganzheitlichen Ansatz im frühen und sogar im mittleren Stadium heilbar sei. Die Rückkehr zu einem natürlichen Lebensstil mit guter Ernährung, Stimulation des Gehirns durch körperliche und geistige Herausforderungen und die Pflege sozialer Kontakte nennt Nehls als Pfeiler der Prävention und gleichzeitig auch der Therapie.

Warum leben Menschen überhaupt, im Gegensatz zu den meisten Tieren, lange über die Phase ihrer Fruchtbarkeit hinaus? „Wir nützen unser Erfolgswissen, um unsere Sippe zu schützen“, lautete die evolutionsbiologische Erklärung Nehls. Weil Großmütter mit ihren Erfahrungen Krisen besonders gut bewältigen konnten, seien sie auch gehegt und gepflegt worden.

Im Gehirn archiviere der Hippocampus alle überlebenswichtigen Informationen, jener „seepferdchenförmige“ Sitz unseres „emotionalen Gedächtnisses“. Das Gehirn bilde hier, im Gegensatz zur Hirnrinde, bis ins Alter ständig neue Hirnzellen. Doch bei einer Alzheimer-Erkrankung funktioniere diese Neubildung nicht mehr, erläuterte Nehls. Körpereigene Proteine, die Beta-Amyloide oder „Alzheimer-Toxine“, verklebten zu Plaques und ließen Nervenzellen absterben. Als Folge nehme das Volumen des Hippocampus messbar ab – und auch komplexe hormonelle Prozesse kämen ins Ungleichgewicht.

Das wichtigste Ziel einer Alzheimertherapie sei es, die Bildung und Vernetzung neuer Hirnzellen wieder zu stimulieren, sagte Nehls. Was das Gehirn nicht brauche, sterbe ab. Seine Therapie setzt an vielen Stellen gleichzeitig an. Die Ernährung müsse ausreichend Baustoffe für neue Hirnzellen liefern: Fisch statt Fleisch, wenig Zucker, dafür alle Vitamine, Spurenelemente, besonders auch Lithium, und Polyphenole. Viel körperliche Bewegung, die Suche nach sinngebender Beschäftigung und soziale Kontakte stimulierten Hormone. Die wiederum wirkten sich – wie das Bindungshormon Oxytocin – auf die Regulierungsmechanismen im Hippocampus aus, genauso wie genügend Schlaf und gesunder Stress (Eustress). Zu vermeiden sind dagegen Giftstoffe wie Alkohol und Nikotin, Transfette und Metalle wie Blei oder Aluminium.

In Nehls‘ Therapie kommen zudem Antidepressiva zum Einsatz: Johanniskraut, Ginkgo, Lithium und B-Vitamine. Über positive Erfahrungen berichtete er von neun Probanden in den USA mit einer ähnlichen Therapie. In Freiburg habe eine Praxis gerade begonnen, nach seinem Modell zu behandeln. Auch hier berichtete Nehls von ersten Erfolgen. Der Zustand der Patienten hätte sich sogar bei mittelschwerer Ausprägung der Krankheit messbar verbessert.

Allerdings könnten die Ärzte nicht einfach Tabletten verschreiben und auch ihre Beratungszeit würde im momentanen System nicht honoriert. Auch die aufwändige Labordiagnostik übernähmen die Krankenkassen nicht. Nehls ist überzeugt: „Mit gängigen Pharmatherapien ist die Krankheit nicht in den Griff zu bekommen. Sie ist zu komplex. Die Menschen müssen mit dieser Therapie ihr Leben ändern.“