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Wie aus einer Radikalen in der AfD eine Aussteigerin wurde

Tuttlingen / Lesedauer: 4 min

AfD-Aussteigerin Franziska Schreiber kommt am Donnerstag nach Tuttlingen
Veröffentlicht:18.09.2018, 17:54

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Sie war Vorsitzende der Jungen Alternative in Sachsen und Teil des radikalen Flügels der AfD. Im Jahr 2017 stieg Franziska Schreiber aus der Partei aus. Knapp ein Jahr später veröffentlichte sie nun ihr Buch „Inside AfD: Der Bericht einer Aussteigerin“, das sie am Donnerstag in Tuttlingen vorstellt. Unser Volontär Sebastian Heilemann hat vorab mit der Autorin gesprochen.

Frau Schreiber, ist Ihr Buch eine Abbitte für Ihr Engagement in der AfD?

Klar ist es so, dass man sich dafür schämt. Aber mir ist wichtig darzulegen, dass ich damit nichts mehr zu tun habe und die Dinge nicht mehr so sehe wie damals. Es ist eher eine Art Therapie. Mir war es wichtig, zu schreiben, weil ich lange nicht wusste, was da eigentlich passiert ist. Ich wollte das klarkriegen. Das Buch ist auch eine Warnung, weil ich natürlich auch Wissen habe, das der normale Wähler so nicht hat. Die Partei von 2013 existiert nicht mehr, und das muss allen Wählern klar sein.

Was für ein Wissen ist das?

Es geht dabei um die Machtverschiebung hin zu rechtsradikalem Gedankengut und um die perfiden Taktiken, um Wähler zu manipulieren und einen Eindruck zu erwecken, der so nicht wahr ist. Ich beschreibe im Buch Vorkommnisse, die ein bedrohliches Bild der Partei zeichnen. Es ist wichtig, auf die Inhalte aufmerksam zu machen, die rassistisch und fremdenfeindlich sind.

Aber Sie selbst waren doch Teil dieser, wie sie sagen, bedrohlichen Partei. Und zählten als Vorsitzende der sächsischen Jungen Alternative, der Jugendorganisation der AfD, zum ganz rechten Lager der Partei.

Ich galt als Radikale, weil ich die Vorsitzende von Sachsen war. Die sächsischen Mitglieder waren ziemlich scharf, und als Vorsitzende musste ich nach außen auch deren Auffassungen vertreten. Ich habe vieles von der Seite der Meinungsfreiheit her gedacht. Ich musste den Spagat zwischen meiner eigenen Auffassung und meiner Aufgabe, die Mitglieder zu vertreten, machen. Das wurde von mir erwartet.

In Ihrem Buch schreiben Sie, die Parteifunktionäre der AfD seien Getriebene von einer braunen Basis. Wer diese Basis ignoriert, ist politisch weg vom Fenster. Das galt dann also auch für Sie?

Die Mitglieder sind im Zweifel radikaler als man selbst. Ich habe versucht, die Leute im persönlichen Gespräch einzufangen, aber trotzdem nach außen hin zu vertreten. Dieser Spagat scheitert fast immer. Das sieht man an den Beispielen Bernd Lucke, Frauke Petry und eben mir selbst.

Wenn Sie so zerrissen waren, warum haben Sie nicht viel früher schon das Handtuch als Vorsitzende geworfen?

Ich hatte diesen Gedanken schon seit 2015. Ich war in den ganzen internen Gruppen des rechten Flügels. Ich wusste deshalb genau, wer meinen Posten bekommt, wenn ich gehe. Da fällt es einem schwer, das Projekt, das man so lange mit aufgebaut hat, an die Radikalen aufzugeben.

Anfangs ging es bei der AfD hauptsächlich um Euro- und Europakritik. Was ist passiert, dass sich die Inhalte anscheinend so verschoben haben?

Neue Parteien ziehen immer Nationalisten an. Die müssen nur öffentlich ihre Meinung sagen und ziehen damit Gleichgesinnte an. Dafür treten aber auch gemäßigte Mitglieder aus. So verschiebt sich das Gewicht immer weiter zugunsten der Rechtsradikalen.

Aber in anderen Parteien gab es nicht die selbe Entwicklung, wie bei der AfD. Warum wurde die Entwicklung nicht frühzeitig gestoppt?

Wenn die Medien am Anfang ihren Fokus mehr auf die wirtschaftlichen Themen gelegt hätten, wären die rechten Kräfte gar nicht so mächtig geworden. Gerade Björn Höcke sendet ja permanent in den vorpolitischen Raum, was die Medien immer wieder aufgreifen. Aus der AfD selbst kann man relativ wenig machen, weil zum Beispiel ein Björn Höcke immer an der Grenze von dem bleibt, was justiziabel ist. Da ist das schwierig mit einem Parteiausschluss. Das hat die SPD mit Thilo Sarrazin auch nicht geschafft.

Mit Ihrem Buch haben Sie sich nicht nur Freunde gemacht. Welche Form von Gegenwind haben Sie erfahren?

Ich habe sehr viele Nachrichten bekommen. Überall, wo Beiträge von mir auftauchen, sei es bei Facebook oder Youtube, werde ich in den Kommentaren beschimpft. Das geht bis zu Morddrohungen und Leuten, die mir Krebs und Vergewaltigung wünschen. Es gab mehrere Versuche, die Veröffentlichung juristisch zu stoppen. Aber davon war keiner erfolgreich. Ich glaube, dass die AfD noch nicht bereit dafür ist, zuzugeben, dass man eine rechtsradikale Mehrheit hat. Deshalb sind meine Aussagen sehr gefährlich für die Strippenzieher. Aber wir sehen ja auch in Chemnitz, dass man in der AfD langsam mutiger wird, sich offen mit Rechtsradikalen zu zeigen.

Was muss geschehen, um die Entwicklungen innerhalb der AfD wieder rückgängig zu machen?

Dieser Prozess ist unumkehrbar. Wenn der rechte Flügel die Mehrheit hat, wählt er auch die Schiedsgerichte, und dann gibt es keinerlei innerparteilichen Schutz mehr. Das ist flächendeckend der Fall. Es gibt momentan keinen gemäßigten Flügel, und das wird auch so bleiben.