StartseiteRegionalRegion TuttlingenTrossingenSie erlebte Film vom Stummfilm bis zum Blockbuster

Stummfilm

Sie erlebte Film vom Stummfilm bis zum Blockbuster

Trossingen / Lesedauer: 3 min

Anna Martin ist mit 94 Jahren gestorben - Trossingerin war Deutschlands wohl älteste Kinobesitzerin
Veröffentlicht:23.07.2019, 14:54

Artikel teilen:

Anna Martin, ehemalige Betreiberin des Trossinger Kinos, ist im Alter von 94 Jahren gestorben. Frank Golischewski war über viele Jahre mit ihr verbunden und erinnert sich in unserer Zeitung an die wohl älteste Kinobesitzerin Deutschlands:

Dass ihr Geburtsjahr 1925 mit dem Gründungsjahr des Trossinger Kinos zusammenfiel, das hat Anna Martin gerne und auch ein wenig stolz erzählt. Ihr Vater, Martin Haller, hatte als erster in der Region zunächst seine Stummfilme noch im Gasthaus „Löwen“ gezeigt (gegenüber des Auberlehauses, seit Langem eine Baulücke), mit einem mobilen Projektor, so, wie ihn ihr späterer Ehemann, Werner Martin , auch noch vom Fronteinsatz kannte.

Bewegte Zeiten, bewegte Bilder: Noch bis 1928 blieb der Film stumm, begleitet nur von Klavier, verstärkt hin und wieder durch eine Geige, ein Orchester spielte im Trossinger Kino damals nie auf. Das änderte sich, als der Kontakt mit den Studierenden der Hochschule ab 1980 zu einem dauerhaften Freundschaftsband wurde, mit dem auch der Leiter des Deutschen Filmmuseums Frankfurt, Prof. Walter Schobert, verwoben war: Die Hochschüler samt Professoren waren beeindruckt von dem bewundernswerten Lebenswerk der Martins, die alle Höhen und Tiefen der Filmbranche kannten und sich sowohl technischen als auch gesellschaftlichen Änderungen hatten anpassen müssen. 1928 der erste Tonfilm, ab 1933 eine von der Reichskulturkammer beaufsichtigte Branche die vor allem der ständigen Begleitung des Nazi-Regimes diente, bis hin zu schöngefärbten Wochen-schauen. Dann der Heimatfilm der 50er-Jahre, erste Flauten als das Fernsehen die Wohnzimmer erobert, neue Investitionen in Ton- und Bildtechnik – eigentlich hörte das „Abenteuer Kino“ für die Martins in ihrem „City-Kino“ nie auf.

Ihre beiden Kinder Anneliese und Herbert wuchsen mit dem Betrieb auf, entschieden sich aber für andere Laufbahnen. Die Bahnhof-Lichtspiele, das „Bali-Kino“, von Martins in umsatzstarken Zeiten ebenfalls übernommen, wurde in den 80er-Jahren geschlossen. Auf Vermittlung von Hauptamtsleiter Jost Keller investierte die Tuttlinger Familie Maier in den Umbau zur Studentenkneipe mit zusammengeschenkten Sesseln und Sofas. Das „Canapé“ entstand, wo fortan von Sun Ra über Roger Cicero bis Georg Kreisler der Jazz und die große Kleinkunst gastierten.

Die Freundschaft zwischen Anna und Werner Martin zu den Musikstudenten wurde mit den jährlichen „Trossinger Filmtagen“ noch intensiver, ein Festival, das als einziges in Deutschland den Ni-no-Rota-Preis für Filmmusik verlieh, und als der neue Boom viele weitere Neu-Cineasten erfasste, gründeten wir mit Martins Rückhalt das Kommunale Kino, auf städtischer Seite maßgeblich unterstützt von Jost Keller. Werner Martin starb 1992. Ab da führte Anna Martin das Kino alleine, nach Schließung des Spaichinger Lichtspieltheaters als einziges privates Kino auf weiter Flur, so, wie es einst auch begonnen hatte in ihrem Geburtsjahr 1925, und nur Krankheit konnte sie daran hindern, die letzten Jahre noch weiter allabendlich in ihrem Kassenhäusle zu sitzen.

Nun ist Anna Martin im Alter von 94 Jahren gestorben, und indem wir uns dankbar und mit unzähligen Erinnerungen von ihr verabschieden, verabschieden wir uns zugleich von einer ganzen Ära.