StartseiteRegionalRegion TuttlingenSpaichingenSpaichinger „Hühnerleiter“ ist wieder notwendiges Übel

Bahnversorgung

Spaichinger „Hühnerleiter“ ist wieder notwendiges Übel

Spaichingen / Lesedauer: 4 min

Seit Fahrplanwechsel fahren zahlreiche Züge wieder auf Gleis 2 oder 3 des Bahnhofs ab
Veröffentlicht:21.12.2017, 17:15

Von:
Artikel teilen:

Ohne Vorwarnung ist Spaichingen wieder in die Zeit vor 2000 zurück katapultiert. Zumindest, was die Bahnversorgung angeht. Denn seit dem Fahrplanwechsel fährt ein großer Teil der Züge wieder auf Gleis 2 oder 3 ab – und damit nicht barrierefrei. Über die „Hühnerleiter“ geht es zum Bahnsteig. Und das soll so bleiben, so die Bahn.

Beispiel Anfang dieser Woche, Bahnfahrt Richtung Stuttgart . Nicht im Morgengrauen, sondern komfortabel um 9 Uhr. Der Zug in Richtung Tuttlingen hat 20 Minuten Verspätung wegen „Bereitstellungsproblemen“. Man könnte das auch als „Planungsfehler“ lesen. Die Wartenden sind geduldig, obwohl in Singen die Anschlusszüge verpasst werden.

Richtung Stuttgart sind Regionalexpress und neuer Intercity ein und derselbe Zug. „Heute auf Gleis 2“, verkündet die Lautsprecherdurchsage. Die meisten Fahrgäste sind es gewohnt, auf Gleis 1 und damit ohne Stufen zu ihrem Zug zu kommen, sie warten dort. Zumal gleich zum Fahrplanwechsel es nicht nur einmal vorgekommen sei, dass Gleis 3 angesagt wurde, und der Zug dann doch auf Gleis 1 hielt - und die Türen nicht mehr für die herüber hastenden Reisenden öffnete. Eine Frau erzählt von zwei Behinderten, einer davon im Rollstuhl, die ganz verzweifelt in der Kälte warteten und nicht wussten, was sie tun sollten.

Vorsichtige Tippelschritte

Zu allem Überfluss hat es in der Nacht geschneit und die Zeit bis 9 Uhr offensichtlich nicht ausgereicht, um Treppen, Übergang und Bahnsteig zu räumen. Mit vorsichtigen Tippelschritten tasten sich vor allem die älteren Reisenden ängstlich vor.

Praxistest vom Donnerstag: Eine ältere Dame muss mit ihrem Rollator über die Hühnerleiter gebracht werden. Auf dem Ticket steht Gleis 1.

Die schlechte Nachricht: Anders als vor ein paar Jahren, als nach dem Fahrplanwechsel das Gleis 3 regulär angesteuert werden sollte, justiert die Bahn diesmal nicht nach. Damals hieß es „ein Versehen“ – und innerhalb weniger Tage war alles wieder gut.

Diesmal antwortet ein Sprecher der Bahn auf unsere Anfrage: „Im Zusammenhang des geplanten Konzepts Stuttgart-Zürich mit schnellen und langsamen Intercity ist die Führung über das Gleis 3 in Spaichingen unabdingbar zur Sicherstellung der Fahr- und Aufenthaltszeiten.“

Das bedeutet, es wird dauerhaft wieder so sein wie vor dem Jahr 2000, als mit dem Einbau der neuen Weiche das jahrzehntelange Ärgernis scheinbar vorbei war und von den Grünen mit einem Fest gefeiert wurde. „Hühnerleiter hat fast ausgedient“ titelte der Heuberger Bote damals.

Für die wenigen Verbindungen, die nach wie vor auf Gleis 2 oder 3 abfuhren, hätten sich Bahnfahrer auch weiterhin eine Abhilfe gewünscht, vor allem, nachdem Stück für Stück Bahnhöfe barrierefrei umgebaut und „Spaichingen Mitte“ gleich von Anfang an so gebaut wurde. Die Ironie: Ringzüge halten nach wie vor auf Gleis 1 am Bahnhof, sodass „Mitte“ als behindertenfreundliche Alternative eigentlich gar nicht gebraucht wird. Das bedeutet: die schnellen, neuen IC werden über die Hühnerleiter erreicht, die Ringzüge über Gleis 1. Wer also behindertenfreundlich fahren will, muss erst mit dem Ringzug fahren und dann in Tuttlingen oder Rottweil umsteigen. Versteht sich, dass die Reise nach Stuttgart dann fast eine halbe Stunde länger dauert, nach Singen rund 15 Minuten.

Kein Umbau in Aussicht

Recherchen über einen möglichen Umbau des Bahnhofs mit Aufzug haben immer ergeben: zu wenige Reisende in Spaichingen, als dass die Bahn bauen muss. Und der Stadt war dies immer zu teuer. Auch jetzt steht kein Betrag dafür im neuen Haushalt, dafür aber Toiletten beim Bahnhof.

Die Bahn zählt momentan nur noch 650 Reisende pro Tag, es müssten mindestens 1000 sein. 2012 waren es noch 800 Reisende. Wo die restlichen hingekommen sind, eventuell die von „Mitte“ abgezogen wurden, ist bisher unklar. Momentan sei ein barrierefreier Umbau in Spaichingen auch nicht geplant, so die Bahn.

Aber warum kann man den „Personenverkehr“ nicht wie in Bondorf bei Herrenberg mit einer elektrischen Schranke regeln, die den Übergang frei gibt? „Der Neubau schienengleicher Überwege ist an Strecken mit durchfahrenden Zügen grundsätzlich nicht mehr zugelassen. Überwege im Bestand genießen Bestandsschutz, müssen aber betrieblich gesichert werden. In Bondorf wird der schienengleiche Überweg gerade durch eine Personenüberführung mit Aufzügen ersetzt. Ein Projekt in dieser Dimension wie Bondorf benötigt, neben der Finanzierung, noch eine Planungs- und Realisierungszeit von zirka fünf Jahren“, so Bahnsprecher Werner Graf.

Der Räumdienst ist übrigens an die Bahn Service GmbH vergeben und Missstände würden besprochen und beseitigt.