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Koalition will freien Eintritt für Patienten

Aalen / Lesedauer: 3 min

Ärzte begrüßen Abschaffung der Praxisgebühr – Kassen fordern Gegenfinanzierung
Veröffentlicht:05.11.2012, 18:45

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„Zehn Euro, bitte.“ Diesen Satz müssen Patienten – geht es nach der Absicht der Berliner Regierungskoalition – ab 1. Januar 2013 nicht mehr hören. Die Arzthelferin, die seit Einführung der Praxisgebühr im Jahr 2004 diese Aufforderung zu Beginn eines jeden neuen Quartals formulieren musste, brauchte schon „ein sehr dickes Fell“, um mit dem Unmut der Patienten zurechtzukommen, sagt der Sprecher der Kreisärzteschaft, Rainer M. Graeter. Ebenso wie seine Kollegen würde er die Abschaffung der Praxisgebühr befürworten, die seiner Ansicht nach immer eine „Kassengebühr“ gewesen ist. Mit deren Einführung habe die Politik die Ärzte ungefragt zusätzlich mit Bürokratie belastet. „Von den eingezogenen zehn Euro haben wir Ärzte nie einen Cent gesehen, dafür jedoch neun Jahre lang für die Kassen das Geld eingezogen, was einem Aufwand in Höhe von drei Euro entspricht“, sagt Graeter. Durch die Abschaffung der Gebühr könne man die Arbeitszeit einer halben Arzthelferin einsparen, die künftig wieder mehr Zeit hätte, den Ärzten zu assistieren.

Von dem hohen Verwaltungsaufwand kann auch der Aalener Zahnarzt Dr. Klaus Winkler ein Lied singen. Seiner Ansicht nach sei die Praxisgebühr „ein gescheiterter Versuch einer Selbstbeteiligung von Menschen, die für ihre Krankheit nichts können, aber bestraft werden und dafür bezahlen müssen“. Eine Abschaffung wäre nicht nur patientenfreundlich, sondern auch ein Schritt hin zu weniger Bürokratie.

Das Ziel, mit Einführung der Praxisgebühr Patienten anzuhalten, nicht mehr so häufig den Arzt aufzusuchen, sei nicht erreicht worden, sagt Rainer M. Graeter. Viele finanziell schwächer gestellte Patienten hätten allerdings ihren Praxisbesuch am Ende des Quartals aufs nächste Quartal verschoben, um nicht zwei Mal die Gebühr bezahlen zu müssen. „Aus medizinischer Sicht ist das genau der falsche Weg, da akute Krankheiten sofort behandelt gehören“, meint der Kreisärztesprecher. Er habe zudem die Erfahrung gemacht, dass einige Patienten die Praxisgebühr zweimal bezahlt haben. Anstatt sich eine Überweisung beim Hausarzt zu holen, seien sie direkt zum Facharzt gegangen, um doppelte Wege zu vermeiden.

„Sollte sich die Politik dazu entschließen, die Praxisgebühr abzuschaffen, werden wir das akzeptieren“, sagt der Vorstandsvorsitzende der AOK Ostwürttemberg, Josef Bühler . „Immerhin haben auch wir kein Interesse daran, dass die Patienten über Gebühr belastet werden.“ Durch die Abschaffung der Praxisgebühr würden allerdings nicht alle Versicherten profitieren. Diejenigen, die unter die Härtefallregelung fallen wie beispielsweise chronisch Kranke, müssten weiterhin ein oder zwei Prozent ihres Einkommens an Zuzahlungen leisten. „Diese werden dann eben nicht mehr durch die Gebühr erfüllt, sondern durch andere Zuzahlungen“, erklärt Bühler, der es sich gewünscht hätte, dass dieses mit viel Emotionen behaftete Thema nicht isoliert diskutiert worden wäre, sondern im Zusammenhang mit allen Zuzahlungen, die es ebenfalls kritisch zu bewerten gelte.

„Anstatt den Versicherten ein wahltaktisches Geschenk zu machen, bräuchte es vielmehr eine grundlegende Finanzierungsreform“, sagt der Geschäftsführer der IKK in Aalen, Hubert Fischinger, für den die Entscheidung, die Praxisgebühr abzuschaffen, zu kurz gegriffen ist. Immerhin sei zu bedenken, dass durch diesen Beschluss den gesetzlichen Krankenkassen jährlich zwei Milliarden Euro entzogen werden. „Für diesen fehlenden Betrag fordern wir eine Gegenfinanzierung über den Gesundheitsfonds“, sagt Bühler. Immerhin könne es nicht sein, dass die Belastung durch die entstehenden Mindereinnahmen bei den Kassen angesiedelt werde.