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Neuer Job mit Ü 50 bei Flexibilität gut möglich

Spaichingen / Lesedauer: 4 min

Bereitschaft zur digitalen Weiterbildung der Schlüssel für Fachleute – Teil 1
Veröffentlicht:27.04.2017, 19:23

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Wer über 50 Jahre alt ist hat im Kreis Tuttlingen trotzdem gute Chancen, einen Job zu bekommen. Und zwar sowohl aus der Arbeitslosigkeit heraus, als auch bei Jobwechsel. Nur: Gerade im Bereich der Fachkräfte ist eine hohe Bereitschaft zur Anpassung und zur Weiterbildung der Schlüssel zum Erfolg.

Im März waren im Landkreis Tuttlingen von 2234 arbeitslos gemeldeten Menschen 722 über 50 Jahre alt. Das sind 32,3 Prozent der Arbeitslosen. Davon waren 415, also die Mehrzahl im Bereich ALG I und 307 im Bereich ALG II. Das berichtet auf unsere Anfrage das Jobcenter des Landkreises.

Wegen der sehr guten Arbeitsmarktlage spiele das Alter der Arbeitslosen eine etwas geringer Rolle als noch vor einigen Jahren. Sie hätten prinzipiell gute Chancen, wenn sie die Einschränkungen wie angeschlagene Gesundheit, mangelnde Belastbarkeit oder inaktuelle Qualifikationen hätten.

Das bestätigt auch der Geschäftsführer des Personaldienstleisters Fairtrade in Spaichingen, Jens Gutmann auf unsere Anfrage. Ein Drittel der Mitarbeiter der Leihfirma seien über 50 Jahre alt, hauptsächlich Frauen, und Fairtrade habe sehr gute Erfahrungen mit dieser Klientel gemacht. Denn: Ältere Mitarbeiter seien weniger krank und insgesamt zuverlässiger. Fast alle würden im Helferbereich vermittelt, Fachkräfte fänden fast immer selber einen neuen Job. Die Mehrzahl der Leihfirma-Mitarbeiter würden später von den Kunden übernommen.

Rund 90 Prozent der Fairtrade-Mitarbeiter kommen aus der Arbeitslosigkeit oder suchten den Wiedereinstieg nach der Familienphase. Die Frage der Weiterqualifikation stelle sich bei Fairtrade nicht, da vor allem im Helferbereich vermittelt werde. „Und wenn jemand einen Staplerführerschein braucht, dann bezahlen wir den“, so Gutmann.

„Über den Schatten springen“

Der Sprecher der Beriebsräte Heuberg und Betriebsratsvorsitzende der Hermle AG in Gosheim, Adolf Weber , sieht vor allem zwei Punkte für qualifizierte ältere Arbeitnehmer, auch nach einem Jobverlust einen guten neuen Job zu bekommen: Die innere Bereitschaft zur Weiterbildung vor allem im digitalen Breich – Stichwort Industrie 4.0 – und das, was Weber als „über seinen Schatten springen“ bezeichnet.

„Die Leute können ja nichts dafür, wenn sie arbeitslos werden durch Insolvenz oder Umstrukturierungen. Das schwierigste ist dann der Stolz. Zu begreifen, dass sie in einer neuen Firma einfach weniger verdienen. Diejenigen, die frühzeitig über den eigenen Schatten springen, gewinnen am meisten“, so Weber.

Viele Mitarbeiter riefen ihn an, aktuell nach der Siebe-Insolvenz, und hätten Probleme damit, in einem neuen Betrieb zwei, drei Lohngruppen tiefer eingestuft zu werden. Der Arbeitsmarkt sei aber so, dass man sich auch in einem neuen Betrieb hocharbeiten müsse. Und: Die Einstellung zu den digitalen Medien sei absolut ausschlaggebend, denn es gehe mehr und mehr nicht mehr um Erfahrung, sondern um Kenntnisse. Und hier seien die jungen Mitarbeiter den älteren überlegen. Wenn man sich aber der Herausforderung stelle und motiviert sei, mitzumachen, habe man in einem altersgemischten Team gute Chancen, so Weber.

Dass in den Betrieben weiter gebildet werde, dafür müssten die Betriebsräte mit sorgen. Es gebe Firmen, wie Hermle oder Aesculap, da sei Weiterbildung gerade auch im digitalen Bereich, „automatisch“ mit eingeplant. Bei anderen aber nicht, und hier sei eine funktionierende Arbeitnehmervertretung sehr wichtig.

Ältere Arbeitslose durch Weiterbildung in den Job zu bekommen, dafür gibt es momentan kein Förderprogramm beim Jobcenter. Die Beratungsfrequenz sei aber bei über 50-Jährigen höher. Denn es habe sich gezeigt, dass eine enge Begleitung mehr Erfolg bei der Vermittlung bringe.

Derzeit läuft die Bewerbung für ein Landesprogramm für öffentlich geförderte Arbeitsstellen. Ob der Kreis den Zuschlag bekommt, zeigt sich im Juli 2017.

Die Lage in Gesamtdeutschland

Bezuschusste Teilzeitregelungen oder die 58er-Regelung, dass man sich bei Arbeitslosigkeit ab 58 Jahren bezuschusst bis zur Rente retten konnte, sind vorbei. Inzwischen arbeiten 56,2 Prozent aller 60 bis 64-Jährigen in Deutschland. Das geht aus einem Bericht des Spiegel vom Januar hervor, das ist fast dreimal so viel wie vor 20 Jahren.

Inzwischen ist auch die Arbeitslosenquote der ab 50-Jährigen unterdurchschnittlich.

Der „Spiegel“ zitiert eine Studie der Konrad Adenauer Stiftung, die folgert: Ältere hätten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung ein geringeres Risiko arbeitslos zu werden. Die Kehrseite: Wenn Ältere arbeitslos würden, hätten sie deutlich schlechtere Wiedereinstiegschancen und dann drohe das geringere Einkommen nahtlos in Altersarmut zu münden, weil Arbeitslos mit 63 Jahren gezwungen seien, mit Abschlägen in Rente zu gehen. (abra)

Ältere Arbeitnehmer haben oft ein Problem: Sie haben die Selbstvermarktung nicht gelernt. Beim Jobcenter gibt es Anleitung für eine Onlinebewerbung, bei Fairtrade macht den Kundenkontakt die Agentur. Was ist aber mit Menschen, die selber suchen? Wie können sie auch Selbstbewusstsein aufbauen? Darüber berichten wir im zweiten Teil.