Das Coronavirus macht vor nichts Halt. Nicht vor Schulen, nicht vor Pflegeheimen und auch nicht vor Gefängnismauern. Doch wie hat sich das ohnehin schon abgeriegelte Leben der Insassen während der Pandemie verändert?
Darüber und über ihre Rolle als weibliche Führungsposition in einem Männergefängnis hat Redakteurin Anja Schuster mit Jennifer Rietschler gesprochen, die seit 2015 die JVA Rottweil leitet.
Frau Rietschler, wie hat Corona das Leben in der JVA verändert?
Die Pandemie hat das Leben in der JVA vor allem dahingehend verändert, dass alles, was von „draußen“ kommt, die Gefahr birgt, dass das Virus eingetragen wird. Deshalb sind Kontakte nach außen sehr eingeschränkt.
Der Tagesablauf an sich ist weitgehend unverändert, da die Gewährleistung eines geregelten Tagesablaufs und eine Strukturierung der Abläufe für die Inhaftierten und Mitarbeiter wesentlich ist.
Und wie sieht ein solcher Tagesablauf aus?
Der Tag beginnt werktags für die Gefangenen um circa 7 Uhr mit der Arbeit in einem der Arbeitsbetriebe der Anstalt, in welchen die Gefangenen vorwiegend Montagearbeiten für externe Firmen verrichten.
Die Mittagspause verbringen die Gefangenen im Haftraum und nehmen das Mittagessen ein, bevor nachmittags wieder gearbeitet wird. Danach findet der Hofgang für alle Gefangenen statt und abends die Einnahme des Abendessens im Haftraum.
Persönliche Besuche durch Angehörige der Gefangenen waren zeitweise ausgesetzt.
Die Abendfreizeit kann mit anderen Gefangenen im Freizeitraum oder im eigenen Haftraum verbracht werden. Später am Abend werden dann alle Gefangenen auf ihrem Haftraum eingeschlossen und es herrscht Nachtruhe.
Kaum möglich waren während der Pandemie-Hochzeit Angebote wie Gesprächs- Spiel- oder Sportgruppen, die von externen ehrenamtlichen Mitarbeitern organisiert werden, da Fremdpersonen nur sehr eingeschränkt Zugang hatten, um das Virus nicht in die Anstalt zu schleppen.
Welche Auswirkungen hatte diese Regelung für Besuche?
Persönliche Besuche durch Angehörige der Gefangenen waren zeitweise ausgesetzt. Stattdessen konnten die Gefangenen via Skype mit ihren Angehörigen in Kontakt bleiben. Zwischenzeitlich sind Besuche unter strenger Einhaltung einiger Hygiene-und Vorsichtsmaßnahmen wieder möglich.
Darüber hinaus gab es eine lange Zeit keine Freigänge für die Gefangenen.
Für geimpfte oder genesene Besucher und Gefangene gibt es zusätzliche Lockerungen. Anwaltsbesuche waren zu jeder Zeit möglich.
Wie sehen diese Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen aus?
Prinzipiell so wie auch im öffentlichen Leben außerhalb der JVA. Das bedeutet, es gibt Abstandsregeln, die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Mund-Nase-Bedeckung, räumliche Trennvorrichtungen, Desinfektionsmaßnahmen und weniger Personen dürfen sich gleichzeitig in einem geschlossenen Raum aufhalten.
Die Mitarbeiter mussten während der Lockdown-Zeiten vorübergehend in verschiedenen Gruppen ihren Dienst verrichten, um Kontakte untereinander und damit eine mögliche unkontrollierte Ausbreitung im Falle einer Infektion verhindern zu können.
Glücklicherweise sind wir bisher von einem Ausbruch in der Anstalt verschont geblieben.
Denn eine Justizvollzugsanstalt muss 24 Stunden am Tag 365 Tage im Jahr vom Personal betreut werden und kann nicht einfach schließen wie ein Buchladen. Wenn ein Gefangener als Zugang neu in die JVA kommt, muss er seit Beginn der Pandemie grundsätzlich für 14 Tage in Quarantäne, welche nur durch zwei negative PCR-Tests verkürzt werden kann.
Erst danach darf ein Neuzugang mit den anderen Gefangenen im Haus in Kontakt kommen und seinen Haftraum beziehen. Darüber hinaus gab es eine lange Zeit keine Freigänge für die Gefangenen. Solche können erst seit kurzem wieder ermöglicht werden, allerdings nur für geimpfte oder genesene Gefangene.
Wenn Sie von genesenen Gefangenen sprechen, gab es denn Corona-Infektionen in der JVA?
Glücklicherweise sind wir bisher von einem Ausbruch in der Anstalt verschont geblieben. Es gab vereinzelt neu zugehende Gefangene, die bereits mit der Infektion zu uns kamen und dann in Quarantäne isoliert wurden.
Ebenso gab es wenige Mitarbeiter, die sich (außerhalb der JVA) infiziert haben und in Quarantäne befanden. Diese Fälle führten aber alle, dank unserer Vorsichts- und Hygienemaßnahmen, nicht zu einer Weiterverbreitung des Virus unter den Personen in der Anstalt.
Und wie viele Gefangene und Mitarbeiter sind denn inzwischen gegen das Coronavirus geimpft?
Wir haben im Rahmen eines Pilotprojekts des Sozial- und Justizministeriums ein Impfangebot für die Mitarbeiter selbst organisiert und in der JVA durchgeführt, so dass die überwiegende Zahl der Mitarbeiter, circa 80 Prozent, zwischenzeitlich den vollständigen Impfschutz hat.
Ich habe das Glück, im Gefängnis einen Job gefunden zu haben, der mich bis heute erfüllt und mir große Freude macht.
Für die Gefangenen wurden bereits in Zusammenarbeit mit den Kreisimpfzentren Impfangebote gemacht und werden aktuell fortgeführt. Da sich die Gefangenenpopulation durch die laufenden Zu- und Abgänge ständig verändert, ist hier aktuell erst ein kleiner Anteil geimpft.
Wir hoffen aber, dass sich die Impfbereitschaft unter den Gefangenen positiv fortsetzt und wir nach und nach allen impfwilligen Gefangenen ein Impfangebot machen können.
Seit 2015 leiten Sie die JVA in Rottweil. Wie war denn Ihr beruflicher Werdegang?
Ich habe Jura studiert und bin nach dem Referendariat 2006 in den Staatsdienst gegangen. Dabei fing ich direkt im Justizvollzug an und war einige Zeit als zweite stellvertretende Anstaltsleiterin in der JVA Schwäbisch-Hall tätig.
Bis zu einer Abordnung an die Staatsanwaltschaft Ulm im Jahr 2013 war ich über die Jahre immer wieder wechselnd in der Anstaltsleitung der JVA Stuttgart, Ravensburg und Ulm tätig. 2015 wurde ich dann Leiterin der JVA Rottweil.
Wie kamen Sie dazu, eine solche berufliche Aufgabe zu übernehmen, die sicherlich auch viel Konfliktpotenzial birgt?
Ich habe das Glück, im Gefängnis einen Job gefunden zu haben, der mich bis heute erfüllt und mir große Freude macht. Gerade die Mischung aus juristischen Aufgaben, die ich bearbeite, aber auch die Berührungspunkte mit vielfältigen anderen Berufsgruppen und Fachbereichen, hat mich immer interessiert und hält nahezu täglich etwas Neues für mich bereit.
Vor allem auch der ständige Kontakt zu Mitarbeitern, Kollegen und den Inhaftierten macht für mich den besonderen Reiz in meiner Funktion aus. Es ist eben nicht nur der klassische theoretisch orientierte Schreibtischjob, sondern auch eine sehr abwechslungsreiche, herausfordernde Organisationsaufgabe für alle Lebenslagen.
Ich denke, dass wir im Bereich Justizvollzug durch die direkte Arbeit mit den Menschen immer wieder etwas bewirken können.
Wie trennen Sie Berufliches und Privates?
Mein Privatleben ist mir sehr wichtig und ich lege Wert auf eine strikte Trennung vom Berufsleben, das erleichtert mir wahrscheinlich auch den Umgang mit beruflichen Konflikten und Problemsituationen.
Sicher haben manche der Mitarbeiter zunächst Vorbehalte gegenüber einer jungen weiblichen Chefin in diesem Berufsbereich.
Durch die häufigen Ortswechsel in den Jahren meiner Berufstätigkeit musste ich mich auch im Privatleben oft auf Neues einlassen. So bin ich über die Jahre immer flexibel und aufgeschlossen geblieben und konnte umfangreiche wertvolle Erfahrungen sammeln.
Als Frau ein Männergefängnis zu leiten, hat sicher Vor- und Nachteile? Haben Sie es schwerer als ein männlicher Kollege?
Als weibliche Führungskraft in einer Männerwelt habe ich den Eindruck, dass es viel mehr auf die Art und Weise des Umgangs miteinander und die fachliche Kompetenz ankommt, als auf das Geschlecht.
Sicher haben manche der Mitarbeiter zunächst Vorbehalte gegenüber einer jungen weiblichen Chefin in diesem Berufsbereich. Mir ist es nach meiner Erfahrung aber meistens gelungen, auf menschlicher Ebene im persönlichen Kontakt einen Zugang zu den Mitarbeitern zu finden und sachbezogen zu überzeugen.
Jeder Mensch hat einen eigenen Führungsstil und das Geschlecht spielt aus meiner Sicht dabei nicht die wichtigste Rolle. Für mich ist vielmehr die Art und Weise des Umgangs miteinander wesentlich und das ist als Chefin einer Justizvollzugsanstalt für Männer nicht anders als in jeder anderen Behörde auch.
Natürlich braucht man Durchsetzungsvermögen und muss bereit sein, eine große Verantwortung zu tragen. Primär gefragt sind in meinem Beruf Organisationstalent, Entscheidungsfreude und Kompetenzen in der Menschenführung. Wenn man darin seine Stärken hat und viel Fingerspitzengefühl mitbringt, spielt das Geschlecht keine Rolle.