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Raumschaft

Eine Flucht aus Armut und Hungersnot

Immendingen / Lesedauer: 4 min

Im 18. und 19. Jahrhundert verließen sie ihre Heimat in der Hoffnung auf einen Neuanfang
Veröffentlicht:22.04.2021, 17:59

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Eine beachtliche Anzahl Einwohner, auch aus der Raumschaft Immendingen hat im 18. und 19. Jahrhundert ihre Heimat verlassen – in der Regel für immer. Sie entflohen der Armut und der Not, dem Mangel an Verdienstmöglichkeiten und einer Überbevölkerung in der Region. Hierfür nahmen sie eine beschwerliche und risikoreiche Reise in eine oft ungewisse Zukunft auf sich.

Der Hunger war zu jener Zeit auch auf der Baar noch nicht überwunden. So führten abnorme Witterungsbedingungen, im Mai froren die Gewässer ein, mit Missernten und nachfolgenden Teuerungen bei den Lebensmitteln, 1816/17 zu einer großen Hungersnot. In den 1840er- und 1850er-Jahren gab es durch Fäulnis bei den Kartoffeln schlechte Ernten.

Im 18. Jahrhundert war Osteuropa und insbesondere Ungarn das Ziel vieler Auswanderer. Im 19. Jahrhundert hingegen bildete Nordamerika vorwiegend das Zielland. In den einzelnen Ortschroniken ist nachzulesen, dass aus dem heutigen Gebiet der Gemeinde Immendingen 306 Personen nach Nordamerika auswanderten. Hiervon entfielen auf Immendingen 124, Hattingen 77, Hintschingen 12, Ippingen 23, Mauenheim 50 und Zimmern 20. Der Schwerpunkt lag in den 1850/60er Jahren in den Altersklassen von 14 bis 20 und noch stärker bei 21 bis 40 Jahren.

Wer die Heimat nicht heimlich, mit womöglich unangenehmen Folgen verlassen wollte, wozu die Flucht vor Strafen oder dem Militärdienst Anlass gaben, musste vor Reiseantritt eine Fülle von Formalitäten erledigen. Unabdingbar war eine Schuldenliquidation. Waren alle Bedingungen erfüllt wurde den Auswandernden der Reisepass ausgestellt.

Das für die Ausreise nötige Geld wurde, soweit vorhanden, durch Verkauf der Häuser und weiteren Liegenschaften aufgebracht. Armen und missliebigen Personen wurde teilweise von der öffentlichen Hand zur Finanzierung der Reisekosten unter die Arme gegriffen. Hatte der Auswanderer die notwendigen Unterlagen beisammen, begann der aufreibendste Teil seines Vorhabens, die Reise selbst.

Im Lauf der Zeit gab es hierzu Merkblätter, oder Agenturen, die ihre Dienste anboten, die jedoch auch nicht immer seriös waren. Wichtig für das Leben im Zielland war die Frage, welche Utensilien mitgeführt werden sollten. Der Umfang richtete sich nach der Größe der Kisten, die mitgeführt werden durften.

Bedeutsame Auswanderungshäfen waren für süddeutsche Auswanderer zunächst Antwerpen und Rotterdam sowie Le Havre in Frankreich, später auch Bremen und Hamburg. Beschwerlich war schon die Reise zum Seehafen, die größtenteils über den Rhein führte. Auf dieser Strecke waren die Menschen teilweise Wochen unterwegs. Die Reisezeit verkürzte sich mit der Einführung der Eisenbahn.

Keineswegs angenehm war auch die Überfahrt auf dem Atlantik. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts waren auf den Segelschiffen die Auswanderer in einem zwischen dem Frachtraum und dem Oberdeck provisorisch eingebauten Raum untergebracht. Dort gab es nur wenig Platz. Mit dem Einsatz von Dampfschiffen verbesserte sich das etwas, dennoch blieben die hygienischen Bedingungen an Bord sehr schlecht.

Nach all den Strapazen in der neuen Welt angekommen begann, sofern man nicht auf Bekannte oder Verwandte, die schon im Voraus ausgewandert waren, bauen konnte, der schwierige Weg der Existenzgründung. Tausende haben dabei das erträumte Paradies nicht gefunden.

Im Höhgauer Erzähler, dem Amtsblatt des damaligen Bezirksamtes Engen, ist in einem unter dem 1. Oktober 1849 von einem Auswanderer an seine in der Heimat gebliebenen Angehörigen geschriebenen Brief zu lesen: „ Amerika ist ein Land, wo man, um sein Stück Brot essen zu können, entweder wie das liebe Vieh schuften und sich abquälen, oder eine seltene Kunst die Leute zu betrügen und zu belügen verstehen muss. Um alle Welt bitte ich euch, bleibt zu Hause!“ Bei einigen keimte auch das Verlangen der Rückkehr auf, was jedoch oft daran scheiterte, dass die hierfür benötigten Mittel nicht zur Verfügung standen. Hinzu kam, dass der gesamte Besitz in der Heimat bereits zur Deckung der Reisekosten verkauft worden war.