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Hexengericht

Seit über 80 Jahren werden in Obernheim Narren- und Hexengerichte aufgeführt

Gosheim / Lesedauer: 4 min

Fasnet wandelt sich über die Zeiten, ohne dass historisch gewachsene Bräuche umgekrempelt werden
Veröffentlicht:02.02.2016, 10:14

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Hunderte Besucher kommen alljährlich zur Wehinger und Deilinger Nachbargemeinde Obernheim, um die Verurteilung der „Unholda Moserin“ mitzuerleben. Seit über 80 Jahren ist der Brauch des Narren- und Hexengerichtes in der Dorffasnet verwurzelt.

Landauf, landab aufgeführte närrische Gerichtsbarkeiten sind nicht anderes als aus der langen Tradition der Bürgerrechte und Rügebräuche entstandene Narrenrechte mit der unterhaltenden Darstellung von Gut und Böse im närrischen Rollenspiel, betont der langjährige Tintenmeister der Hexenzunft, Hans-Peter Wittmer . In Obernheim, so Wittmer weiter, gab es wohl keine feste Abhandlung, und die Darstellung war der freien Wortwahl der Aufführenden überlassen.

Im Zuge der Bemühungen des früheren Bürgermeisters Wendelin Besenfelder zusammen mit den Vorständen der Vereine, das Jahrhunderte alte Hexentreiben in geordnete Bahnen zu lenken, sieht Hans-Peter Wittmer den ersten Text über ein Hexengericht als großen Meilenstein an. Besenfelder und Hugo Gehring schrieben diese erste Hexengerichtsakte im Jahr 1934. Sie kam ab den Folgejahren zur Aufführung. Neben diesem Schauspiel sind danach Zug um Zug die Abläufe für die urtümliche Obernheimer Dorffasnet, seien dies die Straßenfasnet mit Umzügen wie auch die Saalfasnet, aufgearbeitet und in feste Abläufe eingebunden worden.

Text wird modernisiert

Hans-Peter Wittmer, der die Narren- und Hexengerichte für das aktuelle Fasnetsbuch aufgearbeitet hat, schreibt weiter: Bereits Mitte des letzten Jahrhunderts erlebte der Text eine umfassende Renaissance. Der verlustigte Urtext war nicht mehr „in“, und auch das Schauspiel sollte authentischer werden. Nach dieser neuen Vorlage erlebten die Zuschauer das Hexengericht.

Schlusspunkt des närrischen Gerichtsspiels war über Jahrzehnte hinweg die Verurteilung der Hexe „Unholda Moserin“, wobei der Name Moserin nur auf den gebräuchlichsten Familiennamen in Obernheim hinweisen soll.

Doch auch Fasnet ist wandelbar. Diese bedeutsame Aussage, von Professor Dr. Werner Mezger geprägt und wissenschaftlich fundiert, lässt dem Zeitgeist auch im Fasnetsgeschehen einen angemessenen Freiraum. Das heißt nicht, dass deswegen historisch gewachsene Bräuche umgekrempelt werden. Fasnet wird seit etlichen Jahren in zahlreichen Gemeinden neu kreiert dargeboten und gründet dennoch auf einstigen Begebenheiten.

Für den Obernheimer Hexenprozess hat der neuere Zeitgeist ebenfalls eine Wandlung bedeutet. Vor 20 Jahren wurde erstmals eine komplette Überarbeitung vorgenommen. Dessen textlicher Inhalt orientierte sich verstärkt an der Schuldfrage der Hexe und kam dann zum Schluss, die Unbillen des Winters sind an allem schuld. Schauspielerisch sollte der neue Text mehr belebende Elemente bringen. Letztlich gab es einen Freispruch für die „Unholda Moserin“. Verbrannt wurde eine Gestalt in Anlehnung an einen Schneemann.

Alex Moser beschreibt diesen Versuch im Fasnetsbuch mit „Hexengericht – Variante oder – vergebene Liebesmüh“. Denn schon nach wenigen Jahren hielt diese Aufführung den Vorstellungen kritischer Stimmen aus dem Kreise der Hexen nicht mehr stand und so wurde die heutige Form mit einem Mix aus dem herkömmlichen Narrengericht und aktualisierten Passagen geschrieben. Die Hexe wird, wie seit 60 Jahren gespielt, verurteilt und anschließend als Strohpuppe dem Hexenfeuer zum Opfer gegeben. Dieses Narrengericht zieht zur Freude von Hans-Peter Wittmer unvermindert zahlreiche Zuschauer in seinen Bann.

Ein eigenes Kapitel widmet die Hexenzunft in ihrem Fasnetsbuch „Ma goht ge hexa“ der Entstehung und Entwicklung des Hexenprozesses, wie das Narrengericht über viele Jahre hinweg benannt worden ist. Es unterstreicht damit die brauchtümliche Bedeutung dieser fastnächtlichen Aufführung im Rahmen der historisch gewachsenen Ortsfasnet, betont Hans-Peter Wittmer. „Kein Schaden ohne Nutzen“, so führt Alex Moser im Buch aus, womit er auf die „Schneemannszunft“ hinweist. Diese Gruppe junger Obernheimer Hexen ist als Widerstand zum damaligen Versuch, den Winter und nicht die Hexe zu beschuldigen, entstanden und belebt seither den Umzug mit der kreativen Gestalt der Schneemänner.

Der nächste Hexenprozess findet am Sonntag, 7. Februar, statt. Voraus geht ein Umzug, der um 14 Uhr beginnt.