Pflanzenreich

Pilz versklavt Pflanze

Heuberg / Lesedauer: 2 min

Serie „Kontaktverbot? Raus in die Natur!“: Sporen des Erbsenrosts befallen die Zypressen-Wolfsmilch
Veröffentlicht:11.05.2020, 17:45

Von:
Artikel teilen:

Da sage einer, im Pflanzenreich gäbe es keine Dramen. Dieser Irrglaube lässt sich recht schnell widerlegen. Dazu brauchen Sie sich nur die Zypressen-Wolfsmilch (Euphorbia cyparassias) näher anzuschauen. Denn häufig wird diese Pflanze buchstäblich versklavt von einem Pilz, der sie skrupellos für seine Zwecke einspannt.

Aber von vorn: Eine gesunde Zypressen-Wolfsmilch sieht aus wie das Exemplar rechts im Bild: Die Blättchen am Stiel sind fast nadelförmig und langgezogen. Typisch für diese Wolfsmilchart ist außerdem der verzweigte Blütenstand, den die Botaniker als Scheindolde bezeichnen. Aber häufig hat diese Pflanze einen ganz anderen Wuchs; und das liegt daran, dass sie unterworfen und versklavt worden ist. Der Übeltäter ist ein Pilz namens Erbsenrost (Uromyces pisi). Mit bloßem Auge ist er kaum zu erkennen. Aber seine Sporen befallen die Zypressen-Wolfsmilch, und seine Saugfäden dringen tief in ihr Gewebe ein. Von den dort gespeicherten Nährstoffen ernährt sich der Pilz als Parasit.

Aber das ist noch nicht alles: Der Erbsenrost greift zudem in den Stoffwechsel der Pflanze ein. Gezielt verhindert er, dass sie Blüten bildet. Die Wolfsmilch wächst stärker in die Höhe als in die Breite. Sie bildet keine Verzweigungen aus und bekommt am Stängel ganz gelbe, kurze Blättchen. Diese Blättchen sehen farblich wie eine Blüte aus – aber sie sind es nicht, obwohl sie reichlich Nektar absondern (müssen). Die dadurch angelockten Insekten dienen nicht etwa der Bestäubung, sondern der Sporenverbreitung. Denn auf der Unterseite der Blätter befinden sich die Sporenlager. Jede Wildbiene oder Schwebfliege, die eine versklavte Wolfsmilch besucht, nimmt Sporen mit und trägt sie zur nächsten Wirtspflanze weiter. Der Pilz lebt davon prächtig. Nur die arme Zypressen-Wolfsmilch hat nichts davon.

Die Sporenlager können Sie übrigens sehen, am besten mit einer Lupe: als kleine, rostbraune Flecken auf der Unterseite der gelben Blättchen. Das erklärt schon den hinteren Teil des Namens „Erbsenrost“. Der vordere ist ebenso schnell erläutert: Der Sklaventreiber-Pilz sucht sich als Zwischenwirt diverse Schmetterlingsblütler aus, unter anderem die Erbsenpflanze (Pisum sativum). Die hat aber unter dem Befall nicht so zu leiden wie die Zypressen-Wolfsmilch. Gleichwohl werden Sie in freier Natur feststellen: Es gibt deutlich mehr gesunde, intakte Wolfsmilch-Exemplare als kranke, versklavte. Kein Grund also, sich Sorgen zu machen. Als Zuschauer können Sie sich wie bei einem Shakespeare-Drama zurücklehnen – und dieses famose Naturschauspiel trotz aller Tragik genießen.