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Drogensumpf

Die Hintermänner kommen davon

Geisingen / Lesedauer: 6 min

Gerichte fällen Urteile in zwei weiteren Prozessen um den „Geisinger Drogensumpf“
Veröffentlicht:25.03.2020, 17:34

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Im Komplex um den Drogensumpf von Geisingen sind jetzt die beiden vorerst letzten Urteile gesprochen worden. Das Landgericht Rottweil hat einen 30-jährigen Mann aus Augsburg wegen Rauschgift-Handels zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Vor dem Amtsgericht Tuttlingen gab es derweil einen Freispruch für einen Asylbewerber aus Gambia (siehe Extra-Bericht).Viele Fragen bleiben offen.

Im November 2018 hatte das Landgericht Rottweil sieben Männer aus Geisingen und Umgebung zu Haftstrafen zwischen sechseinhalb und zweieinhalb Jahren wegen Drogenhandels in großem Stil, zum Teil auch bandenmäßig, verurteilt. Die 1. Große Strafkammer stellte fest, dass zwischen Sommer und Herbst 2017 haufenweise Rauschgift nach Geisingen gelangt war. Allein bei den beweisbaren Fällen, auf die sich das Gericht beschränkte, handelte es sich bei Marihuana zum Beispiel um rund 75 Kilogramm – mit einem Wert von mehreren hunderttausend Euro.

Die (Klein-)Dealer aus Geisingen verkauften den Stoff unter anderem an Minderjährige der Umgebung. Größere Lieferungen gingen an ein Asylbewerberheim in Möhringen. Zwei der Bewohner – mutmaßlich Gambier – verkauften die Drogen in Tuttlingen. Die 1. Große Strafkammer in Rottweil kam zur Überzeugung, dass es unbekannte Hintermänner und eine Art mafiöses Netzwerk gebe, die letztlich das große Geld einstreichen. Zu den verurteilten Haupttätern gehörten zwei Albaner.

Das war offenbar kein Zufall, wie sich jetzt bei einem Nachspiel zum Geisinger Drogensumpf vor der 1. Großen Hilfsstrafkammer des Landgerichts Rottweil zeigte, die wegen Arbeitsüberlastung der Richter gebildet wurde. Auf der Anklagebank saß ein 30-jähriger Mann aus Augsburg. Er sollte am 3. November 2017 mit einem vorbestraften Drogendealer drei Kilogramm Marihuana von Augsburg nach Geisingen bringen. Als Adressat war ein führendes Mitglied der verurteilten Drogenbande vorgesehen. Verdeckte Ermittler bekamen das mit, und so wurde der Transport an der Autobahn-Raststätte Neckarburg von der Polizei gestoppt.

Der Angeklagte, Besitzer und Fahrer des Autos, beteuerte von Anfang an, er sei in eine Falle gelockt worden und habe von dem Marihuana nichts gewusst. Mangels Beweisen sprach ihn das Amtsgericht Rottweil im August 2018 frei. Dann aber kam es zur Wende in diesem Verfahren: Der Beifahrer, der seinen Komplizen lange geschützt hatte, beschuldigte ihn jetzt schwer. Er begründete es damit, dass er aussteigen und reinen Tisch machen wollte. So kam es jetzt zur Berufungsverhandlung in Rottweil. Und da stand der damalige Beifahrer zu seinem Wort und packte aus.

Er ließ keinen Zweifel, dass der Angeklagte nicht nur vom Geschäft nach Geisingen wusste, sondern es auch mit eingefädelt habe. Mehr noch: Der 39-jährige Deutsche erklärte, nach seinen einschlägigen Erfahrungen und Kontakten steckten die russische und albanische Mafia hinter den Drogengeschäften. Ihm seien vor diesem Prozess bis zu 40 000 Euro angeboten worden, wenn er schweige. Ansonsten werde es seine Familie zu spüren bekommen. Er habe zwar Angst, wolle aber jetzt endgültig aussteigen, ein neues Leben beginnen und nur noch für seine Frau, die zu ihm halte, und die fünf Kinder da sein.

Der 24-Jährige aus der Nähe von Geisingen sollte damals, am 3. November 2017, die drei Kilogramm Marihuana erhalten. Er war einer der örtlichen Rädelsführer und wurde zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Schon damals, so ging aus einem abgehörten Telefonat hervor, klagte er „über den Druck der Albinos“, also der Albaner. Und die Polizei habe er, so berichtete jetzt der damalige Hauptermittler, nach der Festnahme aufgefordert, sich „um die Albaner in Schrobenhausen“ bei Augsburg zu kümmern. Mehr könne und wolle er nicht sagen, weil er Angst um sich und seine Frau und seine Kinder habe.

Jetzt wurde er zum Prozess aus dem Gefängnis Rottenburg in Fußfesseln als Zeuge vorgeführt. Er bestätigte die Bestellung der damaligen drei Kilogramm Marihuana bei dem 39-Jährigen, wand sich aber unübersehbar bei allen Fragen, ob er unter Druck gesetzt worden sei. Über die Rolle des 30-jährigen Angeklagten könne er nichts sagen. Ähnlich äußerten sich andere Zeugen. Die langjährige Freundin, eine Juristin, erklärte zwar, sie habe die Verlobung angesichts der Inhaftierung aufgelöst, aber sie sei sich sicher, dass ihr Ex-Partner nichts mit Drogen zu tun habe. Der bestritt alle Vorwürfe und machte ansonsten von seinem Schweigerecht Gebrauch.

Trotz offensichtlicher Widersprüche und Ungereimtheiten war die Indizienkette so lückenhaft, dass sich das Gericht gezwungen sah, den Angeklagten aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Alles sah nach einem zweiten Freispruch aus – bis Staatsanwalt Markus Wagner auf die Idee kam und den Antrag stellte, nach weiteren DNA-Spuren des Mannes zu suchen. Die plus eine Restmenge von Drogen fanden sich dann prompt in einem sichergestellten Sack mit Abfall. Das war die zweite Wende. Der Angeklagte und sein Verteidiger ließen sich auf das Angebot des Gerichts nach einer „Verständigung“ – also mildernde Umstände und Absprache über einen Strafrahmen – im Fall eines Geständnisses ein. Und so kam der 30-Jährige mit einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten davon.

Allerdings ist der Preis für den Handel mit Drogen ungleich höher: Er saß bereits elf Monate in Untersuchungshaft. Er verlor nicht nur seine Verlobte, sondern auch seinen Laden, mit dem er nach eigenen Angaben mehr als 10 000 Euro monatlich verdiente. Er muss überdies die nicht unerheblichen Kosten für das Verfahren bezahlen.

Damit sind vorerst alle Fälle um Geisingen abgeurteilt. Ob allerdings der Drogensumpf ausgetrocknet ist, bleibt offen. Denn die Hintermänner mit ihren offensichtlich mafiösen Strukturen konnten sich dem Zugriff von Polizei und Justiz entziehen und können somit ihre lukrativen Geschäfte mit Drogen weiterhin betreiben.

Dass die Geisinger Drogenbande regelmäßig Rauschgift an „zwei Schwarzafrikaner“ in ein Möhringer Asylbewerberheim lieferten, ist nach übereinstimmenden Geständnissen gerichtsfest. Ebenso, dass die beiden Asylbewerber mit dem Stoff im Schein von Tuttlinger Straßenlaternenen dealten, weshalb sie in einschlägigen Kreisen „Lampen“ genannt wurden. Doch als die Polizei anrückte, waren die beiden Dealer spurlos verschwunden. Einer der Verdächtigen, ein Gambier, konnte im vergangenen August nach einem Hinweis und per Handy-Ortung im Tuttlinger Stadtgarten festgenommen werden. Im Prozess vor dem Schöffengericht des Amtsgerichts Tuttlingen unter dem Vorsitz von Direktor Thomas Straub bestritt er die Vorwürfe und machte von seinem Schweigerecht Gebrauch. Mehrere verurteilte Täter aus Geisingen kamen aus Gefängnissen und traten als Zeugen auf. Sie bestätigten „massive Lieferungen“ ins Möhringer Asylbewerberheim, konnten aber den Angeklagten nicht identifizieren, zumal er dunkelhäutig sei und die Geschäfte stets bei Dunkelheit über die Bühnen gegangen seien. So blieb dem Gericht – nach einem gleichlautenden Antrag des Staatsanwalts - nur Freispruch aus Mangel an Beweisen. Für die Untersuchungshaft wird der Mann mit 25 Euro pro Tag entschädigt. Allerdings dürfte sich das ausgleichen, denn für die bei ihm gefundenen Drogenreste wurde ein Strafe von 75 Tagessätzen verhängt. Der zweite Verdächtige ist spurlos verschwunden