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Trauma

Nach Flucht aus Syrien: Zwölfjähriger überwindet in Winterlingen Trauma

Winterlingen / Lesedauer: 4 min

Mohammed kommt als Achtjähriger nach Deutschland – Doch er kämpft mit seinem Trauma
Veröffentlicht:18.08.2019, 19:06

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Seit vier Jahren lebt der zwölfjährige Mohammed mit seiner Familie in Winterlingen. Es gefällt ihm sehr gut. So gut, dass er als einer der eher seltenen Fälle sogar in den Ferien die Schule vermisst. Doch wohlgefühlt hat er sich in Deutschland nicht immer.

2015 kam der Junge mit seinen Geschwistern mit dem Flugzeug zu Verwandten in die Türkei, was heute nicht mehr möglich wäre. Von dort aus ging es nach ein paar Wochen mit der ganzen Familie, inklusive Baby und einer hochschwangeren Mutter, mit einem völlig überladenen Schlauchboot weiter nach Griechenland . Mit dem damals kleinsten Sohn war der Vater unterwegs ins Wasser gefallen, was mehr als nur eine Schrecksekunde für die Familie bedeutete. Doch das Boot hielt an, das Unglück nahm ein gutes Ende.

Von Griechenland aus ging es zu Fuß in Richtung Deutschland, ehe die Familie der Aufnahmestelle in Mannheim zugeteilt wurde. Mohammed sei erleichtert darüber, endlich Frieden zu finden, sagt er über seine Ankunft. Anfangs habe er das kaum glauben können. Von Mannheim machte sich die Familie auf den Weg nach Winterlingen – für die Familie war das nach eigenem Erleben ein Glücksfall. Mohammeds neunjährige Schwester Reem erzählt: „Ich war voll glücklich, in Deutschland zu sein und keine Angst mehr haben zu müssen. Für mich hat ein neues Leben angefangen.“

Der Krieg in Aleppo sei für den kleinen Mohammed der reinste Horror gewesen. Ganz anders ging es seiner Schwester. Als 2014 die Bomben fielen, war sie noch jung genug, um den Ernst der Lage nicht zu begreifen. Das war ihr Glück: Während die Bombenangriffe auf benachbarte Häuser und die Umgebung bei Mohammed schwere Traumata auslösten, nahm Reem die Angriffe eher wie ein Feuerwerkspektakel an Silvester wahr. Sie ahnte nicht, was gerade wirklich passierte, als sie die vielen Flieger am Himmel sah und den Lärm hörte. Mohammed war aufgrund der schrecklichen Kriegserlebnisse in Deutschland zwei Jahre über in wöchentlicher ärztlicher Behandlung, wie sein Vater Mahmoud berichtet.

Als die Lage im Jahr 2014 besonders ernst wurde, hatte die Familie nur einige Minuten Zeit und ergriff nach etwa einer Stunde mit nur einem Koffer Gepäck die Flucht, um ihr Leben zu retten.

Selbst wenn ihr Haus von einer Bombe verschont geblieben wäre, hätte die Familie nicht mehr lange zusammenbleiben können. Denn obwohl Mahmoud für Frau und Kinder sorgen musste, wäre er dazu gezwungen worden, bis zu 14 Jahre für Machthaber Baschar al-Assads Truppen in den Wehrdienst zu gehen und seine Familie zurückzulassen.

Wenn die gemeinsame Flucht nicht gelungen wäre, würde heute aufgrund mangelnder medizinischer Versorgung wohl zumindest der Kleinste der mittlerweile vier Geschwister nicht mehr leben können: Der dreijährige Amr ist an Leukämie erkrankt.

Ein schwerer Schicksalsschlag für die ganze Familie, deren Verwandte aus Dortmund nun in den Ferien zur Unterstützung zu Gast gekommen sind. Die Geschwister Reem und Mohammed verbringen die Ferien gemeinsam mit dem vierjährigen Joud und dem Vater in Winterlingen, während die Mutter mit dem Kleinsten der Familie voraussichtlich noch einige Tage in der Klinik in Tübingen bleiben muss. Ab und zu können sie mit dem Zug zu Besuch kommen. Doch auf Dauer geht das ins Geld.

Mohammed gehe es heute jedenfalls deutlich besser als bei seiner Ankunft in Deutschland. Während er zunächst wie versteinert und ohne Empathie gewirkt habe, sei er heute ein glücklicher Junge, sagen seine Eltern. Dazu beigetragen haben die vielen guten Erlebnisse zu Hause in Winterlingen sowie in der Schule. Oft spielt Mohammed mit seinen Geschwistern und mit Nachbarskindern, was ihn Ängste und Schrecken vergessen lässt.

Auf die Frage, ob ihnen die Stadt oder das Landleben besser gefallen, haben die Geschwister eine eindeutige Antwort: „Hier in Winterlingen sind nicht so viele Leute, hier hat man seine Ruhe und kann schön spielen. Es ist nicht so gefährlich und man findet eher eine Wohnung“, weiß die neunjährige Reem. Die Hobbys von Mohammed und Reem sind ganz klischeehaft: Sie mag Reiten, er spielt gerne Fußball. Und auch mit Spätzle als Lieblingsessen sind die beiden schon gut im Schwabenland angekommen.