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Zeckengefahr

So groß ist die Zeckengefahr im Südwesten wirklich

Sigmaringen / Lesedauer: 4 min

Nur jeder Vierte gegen lässt sich gegen FSME impfen – Ärzte warnen vor schweren Folgen
Veröffentlicht:04.07.2018, 18:09

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Gelähmte Gliedmaße bei Erwachsenen, Lernschwierigkeiten bei Kindern: Das sind nur zwei der Folgen, die eine FSME-Erkrankung haben kann. Übertragen wird diese von Zecken. In Süddeutschland ist das Risiko sehr hoch, sich mit dem Erreger anzustecken. Für 2018 erwarten Forscher so viele Zecken wie seit zehn Jahren nicht mehr. Doch ausgerechnet in Baden-Württemberg lassen sich weniger Menschen gegen FSME impfen als irgendwo sonst in Deutschland. Experten fordern: Ärzte sollten die Impfungen standardmäßig empfehlen, wie etwa jene gegen Tetanus oder Masern. Warum das Sinn macht und welche Risiken drohen.

Im vergangenen Jahr erkrankten in ganz Deutschland rund 700 Menschen an der Hinhautentzündung FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis). Das zeigen Zahlen des Robert-Koch-Instituts , das im Auftrag der Bundesregierung Infektionskrankheiten beobachtet. 85 Prozent der Ansteckungen traten in Baden-Württemberg und Bayern auf. Und: Fast alle Betroffenen waren nicht oder nicht ausreichend geimpft. Dabei zählt der Süden des Landes zu jenen Gebieten, in denen besonders viele Zecken FSME-Viren mit sich tragen. Gerade für solche Regionen empfehlen Forscher und Mediziner Impfungen.

Oft schwere Spätfolgen

Gerhard Dobler , Mediziner und Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung,erläutert, warum: „Wir haben bis heute keine Therapie gegen FSME. Wenn die Krankheit ausbricht, können wir sie nicht behandeln.“ Wie die Infektion verläuft, können Ärzte deshalb nicht beeinflussen. Einige Patienten haben nur ein paar Tage Kopfschmerzen und Fieber. Andere sterben sogar an der Krankheit, allerdings sind diese Fälle selten: Bundesweit gab es laut RKI zwischen 2014 und 2016 nur drei Tote. Wer überlebt, leidet oft an schweren Spätfolgen. „Auch bei milden Verläufen fallen viele Patienten wochenlang aus, können nicht arbeiten, Kinder verpassen den Unterricht“, so Dobler. Zu den schweren Folgen gehören vor allem bei Erwachsenen Lähmungen der Arme und psychische Schäden. Viele Patienten wären nach der Erkrankung aggressiv oder nicht mehr leistungsfähig.

„Leider wissen viele Kinderärzte nicht, dass auch junge Patienten schwere Folgen davontragen können als lange gedacht“, erklärt Dobler. Studien aus Schweden zeigten, das rund die Hälfte aller erkrankten Kinder mit erheblichen Nachwirkungen von FSME zu kämpfen hätten. Generell verläuft eine Infektion bei Kindern weniger schwer als bei Erwachsenen. Während etwa jeder zweite Volljährige einen schweren Verlauf erleidet, sind es bei Kindern nur 25 Prozent. Das zeigt eine Studie aus Baden-Württemberg. „Doch viele Kinder haben danach Probleme beim Lernen oder ähnliche Einschränkungen“, mahnt Dobler. „Eine Impfung ist der einzige Schutz, eine Therapie haben wir ja nicht“. Erwachsenen in Süddeutschland empfiehlt er generell, sich impfen zu lassen. Das Serum ist für Kinder ab dem 13. Lebensmonat zugelassen. Hier rät Dobler, jeden Fall einzeln abzuwägen. „Wohnt die Familie nah am Wald? Gehen die Kinder in einen Waldkindergarten?“ Wer solche Fragen mit „Ja“ beantworte, sollte seine Kinder früh impfen lassen. Bei anderen reicht es aus Doblers Sicht zu warten, bis Mädchen und Jungen viel im Freien spielen.

Die SPD im Stuttgarter Landtag hat sich mit dem Problem beschäftigt. Ihr Gesundheitsexperte Rainer Hinderer zieht ein ernüchterndes Fazit: „Geradezu erschreckend ist die Tatsache, dass Baden-Württemberg bei der Impfquote für FSME mit nur 21,6 Prozent auch hinter dem bundesdeutschen Schnitt von rund einem Viertel der Bürger zurückbleibt.“ Seit Jahren liegt der Südwesten weit hinten, wenn es um die Akzeptanz von Impfen geht. Allen Bemühungen und Aufklärungskampagnen zum Trotz: „Eine Steigerung der Impfakzeptanz in Baden-Württemberg ist eindeutig nicht erkennbar. Im Gegenteil: die Zahlen sind in den vergangenen Jahren eher rückläufig. Auffällig ist, dass die Impfquote der baden-württembergischen Kinder durchweg schlechter bleibt als im bundesdeutschen Durchschnitt“, mahnt Hinderer.

Dabei ruft etwa eine FSME-Impfung nach aktueller Studienlage sehr selten Komplikationen wie etwa vorübergehende Lähmungen hervor, Dobler spricht von weniger als einem Fall auf 100 000 Impfungen. Fieber oder Schmerzen im Arm als Reaktion auf die Impfung können dagegen vorkommen, bei Kindern unter drei Jahren in 15 Prozent der Fälle. „Bei der Abwägungen zwischen Nutzen und Risiken der Impfung überwiegt bei Weitem der Nutzen“, fasst FSME-Spezialist Dobler zusammen. In anderen Ländern wie Österreich dagegen sind fast 85 Prozent der Menschen gegen FSME geimpft. Dort infizierten sich in den 1960er- und 1970er-Jahren viele Menschen mit dem Virus. Daher wird die Impfung dort in Kindergärten und Schulen durchgeführt. Sie gehört zu den Standardimpfungen – anders als derzeit in Deutschland. „Das sollte man ändern und sie ab dem fünften Lebensjahr empfehlen, wie etwa die Impfungen gegen Masern oder Tetanus“, wünscht sich Dobler.