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Randgemeinden haben im Notfall das Nachsehen

Sigmaringen / Lesedauer: 4 min

Rettungsdienste kommen oft nicht schnell genug ans Ziel – Sanitäter beklagen Missbrauch
Veröffentlicht:14.12.2018, 19:38

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Von Veringenstadt im Norden über Beuron im Westen bis nach Illmensee im Süden: Vor allem bei Einsätzen am Rande des Landkreises Sigmaringen erreichen die Rettungsdienste ihre Ziele häufig nicht in der vorgegebenen Zeit. Die Verantwortlichen verweisen auf begrenzte finanzielle Möglichkeiten und die Gesamtergebnisse. Sanitäter klagen darüber, dass sie immer häufiger wegen Lappalien ausrücken müssen – und im Ernstfall Zeit für echte Notfälle fehlt.

Spätestens 15 Minuten nach der Alarmierung sollten Rettungsdienste am Einsatzort eintreffen, in mindestens 95 Prozent der Fälle – so sieht es das Gesetz vor. Doch ein Kooperationsprojekt der „Schwäbischen Zeitung“ mit dem Südwestrundfunk (SWR) zeigt: Vor allem in den Randlagen des Landkreises sieht die Realität oft anders aus. So schafften es die Rettungsdienste im vergangenen Jahr beispielsweise lediglich in knapp 65 Prozent der Fälle rechtzeitig nach Beuron oder Leibertingen. „Von Sigmaringen aus in einer Viertelstunde in Beuron zu sein, ist unmöglich – auch für uns“, sagt Notärztin Brigitta Reimann aus Sigmaringen. Kaum besser sah es in Illmensee (67,9 Prozent) und Veringenstadt (69,1 Prozent) aus.

Von Sigmaringen aus in einer Viertelstunde in Beuron zu sein, ist unmöglich – auch für uns.

Notärztin Brigitta Reimann

Anders sehen die Daten, die der SWR der „ Schwäbischen Zeitung “ zur Verfügung gestellt hat, dort aus, wo sich Krankenhäuser befinden (Sigmaringen, Bad Saulgau und Pfullendorf) und/oder dort, wo Rettungswagen stationiert sind (Gammertingen, Mengen, Meßkirch, Ostrach und Stetten am kalten Markt). Wie die Rettungsdienstbereiche organisiert und ausgestattet werden, entscheiden die Rettungsdienst-Organisationen selbst.

Für die Einhaltung der vorgegebenen Zeiten ist der sogenannte Bereichsausschuss zuständig. „Im Rettungsdienstbezirk, der die Landkreise Sigmaringen, Ravensburg und Bodenseekreis umfasst, werden die erforderlichen 95 Prozent erreicht“, sagt Roland Beierl , Vorsitzender des Gremiums. Er warne davor „Ängste zu schüren, indem einzelne Orte herausgegriffen werden“. Insgesamt funktioniere das System gut. Würden einzelne Schwachstellen deutlich, bessere der Bereichsausschuss nach.

Ähnlich äußert sich Gerd Will, Geschäftsführer des Kreisverbands Sigmaringen im Deutschen Roten Kreuz (DRK). Aus den Daten rund um die 15-minütige „Hilfsfrist“ allein lasse sich kein Urteil über die Versorgungsqualität insgesamt ableiten, sagt er. Darüber hinaus verweisen Will und Beierl auf die Wirtschaftlichkeit des Systems. „An einem Standort ein Fahrzeug vorzuhalten, kostet rund eine halbe Million Euro pro Jahr“, sagt Beierl.

An einem Standort ein Fahrzeug vorzuhalten, kostet rund eine halbe Million Euro pro Jahr.

Roland Beierl

In der Praxis scheint sich die Organisation des Rettungsdienstbezirks Bodensee-Oberschwaben tatsächlich zu bewähren. So sind den Bürgermeistern in Beuron, Leibertingen, Illmensee und Veringenstadt keine Fälle bekannt, in denen das zu späte Eintreffen des Rettungsdienstes dramatische Folgen gehabt hätte. Auch den Krankenhäusern in Sigmaringen, Bad Saulgau und Pfullendorf liegen keine konkreten Beschwerden bezüglich der Anfahrtszeit vor. „Dennoch nehmen wir die Situation ernst“, sagt Melanie Zeitler-Dauner, Geschäftsführerin der drei Krankenhäuser. So sei in Trochtelfingen ein zusätzlicher Notarztstandort eingerichtet worden. Hinzu gekommen seien Maßnahmen zur Verbesserung der Ausrückzeit.

Einsatz wegen Rückenschmerzen

Viele Rettungssanitäter wollten sich auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“ nicht äußern. Zwei Mitarbeiter im Rettungsdienst beklagen dessen grundsätzlichen Missbrauch. „Früher wusste man: Wenn uns jemand ruft, handelt es sich um einen Notfall“, sagt einer von ihnen. „Heute werden wir schon wegen Lappalien alarmiert.“ Das bestätigt sein Kollege, der von einem Einsatz wegen wochenlanger Rückenschmerzen berichtet. In einem anderen Fall habe ein betrunkener Mann wegen eines vermeintlichen Herzinfarkts den Notruf gewählt – falscher Alarm.

Auch wegen solcher Fälle sei der Rettungsdienst „völlig überlastet“, sagt einer der Sanitäter. Ist ein Rettungswagen zu einem nicht allzu dringenden Einsatz unterwegs, fehlt er möglicherweise an anderer Stelle. „Nicht bei jedem Einsatz kommt es auf jede Minute an“, sagt der andere Rettungsdienst-Mitarbeiter. „Aber bei extremer Atemnot können schon zehn Sekunden entscheidend sein.“

Eine immer größere Rolle bei der Versorgung in Notfällen spielen die ehrenamtlichen „Helfer vor Ort“-Gruppen. Treffen sie rechtzeitig ein, leisten sie Erste Hilfe, noch bevor der Rettungsdienst kommt. „Wir können Patienten reanimieren, den Blutdruck messen oder Allergien abfragen“, sagt Matthias Werz, Leiter der „Helfer vor Ort“-Gruppe des DRK in Pfullendorf. Er und seine Kollegen dürfen aber weder Infusionen legen noch Patienten transportieren.

Im Zweifelsfall sind es also die ehrenamtlichen Ersthelfer, die in den Randgebieten des Landkreises in die Bresche springen, wenn der Rettungsdienst zu lange braucht. Das Gefühl, die Probleme anderer ausbaden zu müssen, haben sie aber trotzdem nicht. „Zum einen werden wir von der Gemeinde und von der Bevölkerung toll unterstützt“, sagt Alfred Leberer, Leiter der „Helfer vor Ort“ in Illmensee. „Zum anderen begegnen uns auch die Rettungsdienste auf Augenhöhe.“