StartseiteRegionalRegion SigmaringenSigmaringenBachschmidt liest über die Kindheit ihrer Mutter

Hoftheater

Bachschmidt liest über die Kindheit ihrer Mutter

Sigmaringen / Lesedauer: 3 min

„Das Schöne während des Krieges, das war doch die Rettung!“,sagt Anne später
Veröffentlicht:22.11.2011, 13:25

Artikel teilen:

Das Hoftheater ist ein besonderer Ort für Familie Bachschmidt. Der Vater der Familie, Fritz Bachschmidt, machte nach dem Krieg seine ersten Schritte als Schauspieler auf dieser Bühne. Die Mutter, Anne Wehner-Bachschmidt, schrieb über ihre Kindheit im Krieg ein hoch poetisches Buch, die Tochter Christiane Bachschmidt , ebenfalls Schauspielerin, brachte nun diese Geschichte als szenische Lesung einem gespannt lauschenden Publikum im Hoftheater zu Gehör.

Landrat Dirk Gaerte begrüßte im Namen des Kulturschwerpunkts „Zeitgenössische Literatur“ des Landkreises die zahlreichen Gäste, die Autorin und ihre Tochter sowie Melanie Huber aus Baden-Baden, die mit ihrer Klarinette die Textpassagen umrahmte: „Ich habe das Buch in kürzester Zeit gelesen, es hat mich sehr berührt, die Themen Krieg und Verlust, aber auch das Finden von Heimat habe ich hier gefunden.“

Die Autorin nennt ihr Buch im Untertitel selbst „ein poetischer Seiltanz zwischen Leben und Tod“, die Zeit zwischen 1936 und 1945 war für sie wie für zahlreiche Menschen in Deutschland sehr schwer. Anna hat drei ältere Geschwister, einen Vater, der sich weigert, in die Partei einzutreten und deshalb entlassen wird, eine Mutter, die Lebensmittel in der Nachbarschaft betteln muss. Die sechsjährige Anna ist sehr sensibel und beobachtet alles genau: die schöne Nachbarin wurde erschossen. Anna fragt ihre Mutter: „Was ist eine Jüdin?“, „das kann ich jetzt so schnell nicht erklären“, antwortet diese. Die Zusammenschau vieler Beobachtungen des Kindes ergeben ein dichtes Geschichtsbild, das selten offen die Lebensbedingungen im Krieg beleuchtet. Annas Geschichte wird im Präsens erzählt, der Zuhörer und Leser ist mitten im Geschehen, wird eine Person dieser Zeit. Gerade noch fragt die 14jährige: „Mama bin ich schön?“, sie möchte ins Kino gehen, hat sich fein gemacht, im nächsten Abschnitt wacht sie aus einer Ohnmacht auf: Überall liegen Schwerverletzte, alles ist zerstört, auch das Kleid, doch sie hatte Glück. Ihr erster Kuss, „zusammen sind wir 36“, von einem 22jährigen Soldaten, dessen Lippen einen Tag später über Frankreich „zersplittern“, die Torte, die sie beim Bombenalarm in Münster rettet, die eigentlich für den heimkehrenden Vater bestimmt ist, die dann aber doch die hungrigen Soldaten vertilgen. Nach dem Alarm steht von ihrem Haus kein Stein mehr auf dem anderen, der geliebte Birnbaum ist zerstört, trotzdem siegt die Freude darüber, dass alle fünf Familienmitglieder am Leben sind.

Die Schauspielerin Christiane Bachschmidt wird zur Vorleserin par excellence, sie spielt die Hoffnung und den Schreck, das Glück und das Entsetzen. Die von ihr ausgewählten Passagen sind kleine Kabinettstückchen, die den (un-)menschlichen Kosmos in und hinter der Welt des Krieges öffnen.

Die Autorin Anne Wehner-Bachschmidt wurde als junge Schauspielerin von Gustav Gründgens ans Düsseldorfer Theater geholt, mit ungefähr sechzig Jahren fing sie an regelmäßig zu schreiben: „Ich habe noch ganz viele Texte, alles ist so klar, der Krieg, aber auch das Schöne, das war doch die Rettung!“ Am Sonntag saß sie im Publikum: „Wenn ich denke, dass mein Mann hier seine ersten Schritte getan hat, über 40 Jahre waren wir verheiratet, es wäre so schön, wenn er jetzt hier wäre, es ist herrlich und dann liest meine Tochter auch noch so schön meine Geschichte.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Das Publikum spendete begeistert Beifall.