Stadtbücherei

Märchen berühren die Seele

Pfullendorf / Lesedauer: 4 min

Erzählerin Elvira Mießner und Claudia Gabele an der Leier ziehen in der Stadtbücherei 100 Besucher in ihren Bann
Veröffentlicht:14.11.2018, 13:14

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Die Stadtbücherei in der Steinscheuer hat dem herbstlichen Grau mit einem gemütlichen und zugleich erfrischenden Nachmittag Kontra geboten. Zu Gast waren die Pfullendorfer Märchenerzählerin Elvira Mießner und Claudia Gabele aus Sentenhart, die mit ihrer Leier feine musikalische Fäden zwischen den einzelnen Märchen knüpfte. Etwa 100, vorwiegend weibliche, Besucher genossen die in Mimik und Gestik sehr gekonnt vorgetragenen Erzählungen und sparten nicht mit Beifall, bevor Bücherei-Leiterin Martina Feldt zum Ausklang bei Tee und Kuchen einlud. Elvira Mießner hatte aus ihrem reichen Fundus internationaler Märchen, die sie übrigens alle wortgetreu auswendig wiedergibt, ernste und heitere Geschichten für Erwachsene ausgewählt, die fesselten, nachdenklich machten und obendrein, so wie es sich die Erzählerin am Anfang für ihre Zuhörer wünschte, „Balsam für die Seele“ waren. „Es sind leichte, schwere und oft auch seltsame Wege, die Helden in den Märchen gehen, um zum Ziel zu kommen“, sagte sie, bevor für die nächsten 90 Minuten konzentrierte Stille in der Bücherei herrschte, sodass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.

Märchen aus Spanien, England, Litauen und Russland

Los ging es mit einer Erzählung, in der das prächtige und bei allen Menschen beliebte Märchen der ungeliebten und verbitterten Wahrheit zeigte, wie sie sich mit ein paar ausgeliehenen Kleidern zum allseits geschätzten Freund der Menschen verwandelte.

Eine australische Überlieferung der biblischen Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies, in der Gott den Menschen zur Strafe die Blumen und damit die Freude und alle schönen Dinge des Lebens nahm, und das chinesische Märchen von Kälte und Finsternis, in dem sich eine schwangere junge Frau auf den Weg zur Sonne machte, um Licht für ihr Volk zu bitten, zogen die Zuhörer in Bann. Ihr ganzes Leben lang ging die Frau den langen Weg und nach ihrem Tod ging der Sohn weiter, denn es brauchte zwei Generationen bis endlich die Sonne über dem Land der Chuang aufging.

Auch in einem Märchen aus Spanien war es eine Frau, die Erlösung brachte. Nachdem die drei Söhne des kranken Königs, die ungestüm los geritten waren, um dem Vater zu helfen, nicht mehr vom Brunnen mit dem Wasser der Gesundheit zurückkehrten, machte sich die Schwiegertochter auf den Weg. Sie erlag nicht den weiblichen Verführungskünsten der Hexe, die den Brunnen bewachte, sondern besiegte das Ungeheuer, rettete die Prinzen und brachte dem König das Wasser.

Sehr humorvoll war das englische Märchen von der Frau, die eine Hexe war und immer bei Neumond loszog, um mit ihren Freundinnen allerlei Schabernack zu treiben. So flogen die Frauen auf ihren Besen auch in den Weinkeller des Bischofs, um es sich gut gehen zu lassen. Da wollte auch ihr Mann einmal dabei sein und so beschaffte er sich mit einer List den Zauberspruch. Allerdings kannte er im Weinkeller weder Maß noch Ziel, sodass er volltrunken einschlief und am nächsten Morgen von den Wachen des Bischofs gefunden wurde.

In einem Märchen aus Litauen wollte eine alte Frau noch nicht ins Paradies einziehen. Sie überredete den Tod, mit ihr um eine paar weitere Lebensjahre Karten zu spielen und gewann. Als es wiederum Zeit zum Gehen wurde, konnte der Tod sie überreden, wenigstens einen Blick ins Paradies zu werfen. Unwillig ging sie mit ihm, sprang aber dann so schnell es ging über den Zaun, als sie erfuhr, dass sich im Paradies alte Frauen wieder in schöne junge Frauen verwandeln.

Ein außergewöhnliches Erlebnis war ein Märchen aus Russland über ein ewig streitendes altes Ehepaar, das Mießner in ihrem Heimatdialekt aus der Ortenau erzählte und das durch die Sprache einen ganz besonderen, hintergründigen Charme erhielt. Ein ganz einfacher Rat löste nämlich das Problem der beiden Streithähne: Die Frau soll den Mund voll Zauberwasser nehmen, wenn ihr Mann schlechte Laune hat, und den weder schlucken noch ausspucken. Die Frau probierte es aus, und noch ein zweites Mal und noch viele Male und so lebten die beiden Alten friedlich bis an ihr Lebensende.