StartseiteRegionalRegion SigmaringenIllmenseeDeshalb schlüpft dieser Mann seit 50 Jahren in die Rolle des Nikolauses

Nikolausabend

Deshalb schlüpft dieser Mann seit 50 Jahren in die Rolle des Nikolauses

Illmensee / Lesedauer: 4 min

Der Illmenseer Josef Rauch schlüpft seit fünf Jahrzehnten in die Rolle des Nikolauses
Veröffentlicht:08.12.2019, 16:20

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„Heut’ ist Nikolausabend da“, singen die Mädchen und Jungen der Grundschule Illmensee voller Erwartung am Morgen des Nikolaustags. Und dann kommt er, stapft am See und den mit Raureif bedeckten Bäumen vorbei ins Schulgebäude, wo schon sehnsüchtig die Kinder warten. In diesem Jahr hat sich der Nikolaus alias Josef Rauch zum 50. Mal auf den Weg zur Grundschule gemacht.

Zur Vorbereitung auf dieses Ereignis haben die Schüler gebastelt, gemalt, Gedichte auswendig gelernt, Lieder geübt und die Räume geschmückt. „In der Adventszeit haben wir jeden Montag eine Adventsfeier und feiern ganz besonders den Nikolaustag“, sagt Schulleiterin Sabine Fausel . Für diesen ganz besonderen Jubiläumstag hätten Bären- und Hasenklasse das Fest vorbereitet.

Der Nikolaus auf dem Weg zur Grundschule Illmensee. Seit 50 Jahren pflegt Josef Rauch diese Tradition.

Seit 1969 bringt Josef Rauch immer am 6. Dezember im Bischofsgewand und mit Mitra auf dem Kopf die Kinderaugen zum Leuchten. Eine positive Überlieferung der Nikolausgeschichte nach Illmensee zu bringen – das sei sein Anliegen gewesen, sagt er. Und so schlüpfte der gebürtige und familiär stark mit der Gemeinde verwurzelte Illmenseer kurzerhand selbst in die Rolle des heiligen Mannes aus Kleinasien.

Früher flossen Tränen

In seiner Schulzeit sei eher mit der Figur des Knechts Ruprecht gedroht worden, erzählt Josef Rauch. Viele Kinder hätten am Nikolausfest lieber gar nicht teilnehmen wollen. Im Klassenzimmer seien damals Tränen geflossen, ergänzt Sabine Fausel.

Das wollte der damals 24-jährige Josef Rauch ändern. Den letzten Anstoß für seine heilige Mission, die sich in diesem Jahr zum 50. Mal wiederholt, gab die damalige Kindergartenleiterin Schwester Justina. Vorbei sein sollte die Zeit, in der raubeinige Ruprechte, die von Haus zu Haus ziehen und böse Kinder in den Sack stecken wollen, den Mädchen und Jungen das Fürchten lehren: Rauch wollte mit der Geschichte vom guten Bischof Frieden und Freude in die Kinderherzen bringen.

Das traditionelle Gewand stellte sich der Vater dreier Söhne selbst zusammen. Die Mitra nähte eine Ordensschwester, die auch für echte Bischöfe nähte, aus feinstem Zwirn. Den güldenen Bischofsstab aus Holz steuerte ein Pfarrer bei.

Anhand der Armbanduhr enttarnt

Voller Freude setzt sich der Nikolaus am Freitagmorgen in den eigens für ihn vorbereiteten roten Ohrensessel und lauscht den Aktionen der Schüler. Die Kinder singen von der Weihnachtsbäckerei, von Schneeflöckchen und andere schöne Weihnachtslieder. „Schon vor 30 Jahren haben meine Kinder hier die Schulbank gedrückt und genau gewusst: Das ist der Papa“, erzählt Josef Rauch. Trotzdem hätten sie den Nikolaus verehrt. Auch wenn ihn sein Sohn damals mit den Worten „Du trägst die gleiche Armbanduhr wie mein Papa“ entlarvt habe.

Andächtig lauschen Schüler, Lehrer und Eltern den Erzählungen. Josef Rauchs Enkelkinder besuchen mittlerweile den Illmenseer Kindergarten. Im Anschluss an die Schulkinder würden auch sie den Nikolaus zu Gesicht bekommen, sagt Rauch. Als Bürger und ehemaliges Mitglied des Gemeinderats sehe er es als seine Pflicht an, den schönen alten Brauch des Nikolausfestes für die Kinder in der Gemeinde zu erhalten.

Der Nikolaus auf dem Weg zur Grundschule Illmensee. Seit 50 Jahren pflegt Josef Rauch diese Tradition.

Für seine treuen Dienste als Nikolaus singen die Jungen und Mädchen, spielen Gitarre und Klavier und tragen Gedichte vor. Im Alter zwischen 12 und 16 Jahren erlernte der heute 74-jährige Josef Rauch selbst das Klavierspiel, bereute es, dieses Hobby aufgegeben zu haben, und ermutigt deshalb die Kinder dazu, jede Gelegenheit zu nutzen, um die Musik in ihrem Leben zu behalten.

Annelie und Marie aus der vierten Klasse dichteten für ihren Nikolaus schöne Zeilen: „50 Jahre kommst du in unsere bunte Schule rein, nun kommst du erneut und machst uns eine Freud. Nikolaus, ich wart’ schon lang’, bring mir eine Zuckerstang’. Du hast einen langen Weg mit dem Sack im Huckepack. Du willst uns heut’ besuchen, ganz schwer bepackt vom Pfefferkuchen. Juhu, ja, ja, wir freuen uns aufs nächste Jahr.“ Vielleicht können sich die Kinder der Gemeinde auch in den folgenden Jahren über den Besuch ihres Nikolauses freuen. Vielleicht steht der Vertreter des heiligen Mannes in Zukunft sogar vor seinen Enkelkindern und verkündet eine frohe Botschaft.

Zum Dank für Josef Rauchs langjährige Treue überreicht Sabine Fausel dem Nikolaus drei ganz besondere Geschenke: ein Bild aller Schüler mit Unterschriften, ein Buch, in dem jedes Kind eine Seite gestaltet hat, und eine von den Kindern liebevoll bemalte Holzlatte. „Ich bin ganz gerührt. Das ist jetzt sozusagen mein neuer Bischofsstab“, sagt Rauch, bedankt sich und erwähnt noch einmal, dass diese Schule auch einen Teil seines Lebenswegs geprägt habe.