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„Wir verwalten die Konkursmasse der Sowjetunion“

Mengen / Lesedauer: 5 min

Leo Wieland arbeitete 43 Jahre lang als Korrespondent der FAZ in Moskau, Washington und Madrid
Veröffentlicht:20.04.2018, 15:41

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Vier amerikanische Präsidenten hat Leo Wieland in seiner Zeit als Auslandskorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) in Washington interviewen und kennenlernen dürfen. „Das waren unglaublich spannende 20 Jahre“, sagt Wieland, der in Mengen geboren und aufgewachsen ist. Ende 2016 ist er in den Ruhestand eingetreten und bekam zuvor für seine journalistische Arbeit das Bundesverdienstkreuz verliehen. Heute lebt er mit seiner Frau im spanischen Pamplona und dem portugiesischen Cascais bei Lissabon.

„Fernweh und journalistische Arbeiten, das sind die zwei großen Konstanten in meinem Leben“, sagt Leo Wieland heute. Seinen Berufswunsch hätte er schon früh, etwa mit zwölf Jahren, gehegt. „Klar, damals wollte ich zur Bild-Zeitung , weil da für mich die interessantesten Geschichten drin standen“, sagt er. „Das hat sich aber mit den Jahren gelegt.“

Weil die Bild-Zeitung allerdings nicht aus Mengen berichtete, war Leo Wieland bereits im Alter von 15 Jahren nicht nur für die Schülerzeitung „Tintenklecks“ des Riedlinger Gymnasiums unterwegs, sondern auch für die „Schwäbische Zeitung“ Bad Saulgau. „Ich habe meine Texte zuhause getippt und sie dann mit dem Rad in die Redaktion nach Bad Saulgau gebracht“, erinnert er sich. Weil es keinen Redakteur für Mengen gab, hätte er querbeet über alle Themen schreiben können. „Da waren auch richtig kontroverse politische Dinge dabei, wie etwa das Aufkommen der NPD in den 1960er-Jahren“, sagt er.

Weit weg von Zuhause

Bei der Wahl des Studienortes schlug dann das Fernweh durch. „Mit Hamburg war ich ja quasi so weit weg von zuhause wie es nur ging“, sagt er. Sein Studium der Politikwissenschaften, Volkswirtschaft und Geschichte finanzierte er sich damit, dass er in den Semesterferien als Hilfsmatrose auf einem Kreuzfahrtschiff zur See fuhr.

„Wir hatten einen ziemlich linken Professor, der schärfte uns Studenten immer ein, nicht nur die Frankfurter Rundschau, sondern die FAZ zu lesen, wenn wir wissen wollten, was der Klassenfeind denkt“, sagt Wieland. So sei es gekommen, dass er unbedingt bei diesem Medium hatte arbeiten wollen. „Ein Jahr vor meinem Examen habe ich einen Brief nach Frankfurt geschrieben und meinen Wunsch geäußert, nach dem Examen der dortigen Redaktion anzugehören.“ Diese Initiative war Anfang der 1970er-Jahre wohl so ungewohnt, dass die Herausgeber neugierig wurden. „Ich wurde zu Bewerbungsgesprächen eingeladen und durfte dann ein Jahr als Redakteur auf Probe in der Politikredaktion anfangen. Seine Arbeit, zu der auch das Betreuen der Korrespondenten in den Bundesländern gehörte, machte er so gut, dass er bleiben durfte.

Das Ziel des Außenkorrespondenten im Hinterkopf absolvierte er 1977 ein Semester als Ford-Stipendiat an der Harvard-Universität mit dem Schwerpunkt internationale Beziehungen. „Als ich zurückkam, dachte ich, jetzt muss man mich einfach als Korrespondent nach Amerika schicken“, sagt er. „Aber es passierte nichts.“ Als man dann mit einer Stelle im Ausland an ihn herantrat, war es in entgegengesetzter Richtung. „Man brauchte ein unbeschriebenes Blatt in Moskau“, sagt Wieland. So ging er mit seiner Frau und ohne Sprachkenntnisse in die Sowjetunion . „Anfangs war eine Übersetzerin dabei, aber ich musste schnellstmöglich die Sprache lernen, sonst wäre ich verloren gewesen.“ Gerade, weil er auch die Gelegenheit gehabt habe, alle Landesteile besuchen zu können. „Das waren die letzten Jahre der Sowjetunion und ich einer ihrer Totengräber“, erinnert sich Wieland, für den diese Zeit mit Abstand die beruflich Spannendste gewesen ist. „Eigentlich verwalten wir jetzt noch die Konkursmasse der Sowjetunion.“ Zur Geburt seiner Tochter sei seine Frau zu seiner Familie nach Mengen gereist. „Deshalb ist meine Tochter im Sigmaringer Krankenhaus auf die Welt gekommen.“

Im Sommer 1984 durfte er nach sieben Jahren in Moskau nach Washington wechseln. Ronald Reagan, George Bush senior, Bill Clinton und George W. Bush waren die vier Präsidenten, die er in den 20 Jahren in Washington erlebt hat. „Die Themen waren dieselben wie in Moskau: Krieg, Friede, Auf- und Abrüstung“, sagt Wieland. „Nur die Perspektive ganz anders und eine faszinierende Gegenwelt zu Russland.“

Immer ein Einzelkämpfer

Verlassen habe er Amerika erst, als sowohl seine Mutter in Mengen als auch die seiner Frau in Spanien mehr Unterstützung brauchten. „Ich habe mich um Madrid beworben und habe bis zu meiner Pensionierung, die zweimal um ein Jahr verschoben wurde, über Spanien, Portugal und Maghreb-Staaten wie Marokko und Tunesien berichtet.“ Treibende Themen seien die Finanzkrise und der arabische Frühling gewesen.

Zurück in eine Politikredaktion in Deutschland hat sich Wieland nie gewünscht. „Die Arbeit als Einzelkämpfer kommt meinem Naturell entgegen“, sagt er. „Ich war nie ein guter Teamarbeiter.“ Der Reiz, unabhängig zu sein und eigene Themenentscheidungen treffen zu können, hätte sich über die 43 Berufsjahre erhalten. „Gleichzeitig hatte ich den Rückhalt einer großen Zeitung. Die FAZ ist einer der letzten großen Flugzeugträger, der noch Platz für groß angelegte Artikel und Geschichten hat.“ Klar hätte es auch Angebote der Konkurrenz oder von Fernsehen und Rundfunk gegeben. „Die konnten mir zwar mehr Geld bieten, aber nicht den Freiraum, den ich bereits hatte“, sagt er. Jetzt im Ruhestand habe er vor allem viel Zeit für seine zwei Enkelkinder im Alter von drei und fünf Jahren. „Großvater sein, das ist doch eigentlich das großartigste, wenn man Zeit dafür hat.“

Auch wenn er sein Elternhaus nach dem Tod seiner Mutter verkauft hat und bei Besuchen in Mengen bei Freunden oder im Hotel unterkommt, ist Leo Wieland gern zu Besuch in seiner Heimatstadt. „ich sehe mit Freude, dass sich im Städtle viel tut“, sagt er und meint damit nicht nur die Neugestaltung der Innenstadt. „Es herrscht dort eine richtig tolle Lebensqualität, angefangen von den Schulen, den Arbeitsplätzen und dem Vereinsleben.“ Heimattage oder Neujahrsempfang, Wieland versucht, regelmäßig vorbeizuschauen. Als nächstes wohl im Juli. Anlass ist das Bestehen des Abiturs in Riedlingen vor 50 Jahren.