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Testflug

Elektrischer Langstreckendrohne gelingt erster Flug

Mengen / Lesedauer: 4 min

Neues unbemanntes Messflugzeug erkennt künftig Gefahrstoffwolken aus der Luft und liefert Echtzeit-Daten
Veröffentlicht:24.09.2020, 17:57

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Der erste erfolgreiche Testflug einer neuen, emissionsfreien Langstreckendrohne hat im August auf dem Regio Airport in Mengen stattgefunden. Wie die in Stuttgart ansässige Kasaero GmbH, ein Ingenieurbüro für Flugzeugentwicklung, mitteilt, soll diese Drohne künftig Sensoren tragen, um Schadstoffwolken in der Luft, etwa nach Chemieunfällen oder Großbränden, exakt vermessen zu können. Einsatzkräfte wie Feuerwehren würden dadurch ein Lagebild in Echtzeit erhalten. Als Testgelände wurde der Mengener Flugplatz ausgewählt, da hier auf Initiative des Baden-Württembergischen Wirtschaftsministeriums und der Universität Stuttgart ein Versuchsstandort für elektrische und autonome Luftfahrt entsteht.

Die getestete Drohne heißt prox-tex.one und steht im Mittelpunkt des Projekts „Athmos“, an dem neben der Kasaero GmbH auch die M&D Flugzeugbau GmbH & Co KG, die SIOS Meßtechnik GmbH, die Gesellschaft für Bild- und Signalverarbeitung (GBS) mbH, die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und das Institut für Feuerwehr und Rettungstechnologie der Feuerwehr Dortmund (IFR) beteiligt sind.

Die Herausforderung, vor der die Beteiligten stehen, ergeben sich gleich auf mehreren Ebenen. Einerseits soll die Drohne mit einem besonders leichten Infrarotspektrometer ausgestattet werden, um das Gesamtgewicht des fliegenden Systems unter 40 Kilogramm zu halten. Normalerweise sind die Spektrometer, mit denen unter anderem in der Astronomie die chemische Zusammensetzung ferner Himmelskörper bestimmt wird, sehr groß und schwer. „Bislang ging man davon aus, dass sie sich eher für die stationäre Anwendung eignen oder massive Fluggeräte benötigen“, heißt es in der Pressemitteilung. Zugleich soll eine autonome Flugbahnplanung in die Navigation der Drohne integriert werden. Mit verschiedenen Systemen an Bord soll die Drohne in die Lage versetzt werden, ihren Kurs der Schadstoffwolke anzupassen, ohne sie zu berühren.

Im Forschungsprojekt werden alle benötigten Komponenten konzipiert. Gefördert wird es im Rahmen des Programms „Forschung für die zivile Sicherheit“ durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 1,6 Millionen Euro. Der Algorithmus zur automatischen Flugsteuerung wird bei M&D und Kasaero im Rahmen einer Masterarbeit entwickelt. Die Herausforderung liegt laut Pressemitteilung in der Komplexität zwischen Blickrichtung des Sensors und Flugbewegung der Drohne. Diese verschachtelten und noch weitergehenden Abhängigkeiten aufzulösen und eine adaptive, auf den Sensordaten basierende Anpassung der Flugplanung in Echtzeit zu berechnen, schafft erst die Grundlage für eine optimale Vermessung der Gefahrstoffwolke. Die Masterarbeit wird durch das Institut für Flugmechanik und Flugregelung der Universität Stuttgart unter Leitung von Professor Walter Fichter betreut.

„Unsere größte Herausforderung war, für ein kompaktes, leichtes und völlig neuartiges IR-Spektrometer ein vibrationsarmes und leistungsfähiges unbemanntes Flugzeug zu konstruieren“, erläutert Karl Käser , Geschäftsführender Gesellschafter der Kasaero GmbH. „Stabilität, Sicherheit, Reichweite und einfache Bedienbarkeit – eine Quadratur, die wir gemeinsam mit unseren Partnern erfolgreich gelöst haben. Dabei haben wir von Anfang an auf Elektroantrieb gesetzt. So können wir vermeiden, dass die Messumgebung durch Abgase verunreinigt wird.“

Käser ist Pionier der Elektroluftfahrt, er war bereits am berühmten Solar Impulse-Projekt und maßgeblich an der Entwicklung des weltbekannten Elektro-Motorseglers e-Genius vom Institut für Flugzeugbau (IFB) der Universität Stuttgart beteiligt. e-Genius ist ein Versuchsträger für Flugleistungsvermessungen und die Erprobung neuartiger Flugzeugkonfigurationen. Eine auf ein Drittel verkleinerte e-Genius Version war der Ausgangspunkt für die Entwicklung der protex.one Drohne. Sie wird von einem etwa sieben Kilo schweren Lithium-Polymer-Akkupack angetrieben und kann hiermit rund 120 Kilometer weit fliegen. Die Drohne hat eine Spannweite von 5,60 Metern, ist nur 2,70 Meter lang und erreicht Geschwindigkeiten zwischen 80 und 150 Stundenkilometer. Derzeit sind nur Flüge im Sichtbereich des Steuerers vorgesehen. Start und Landung werden dabei manuell durchgeführt. Im Reiseflug besteht die Möglichkeit, zwischen dem manuellen und dem automatischen Betrieb zu wechseln.

Die Entscheidung für dieses Modell entwickelte sich aufgrund der Anforderungen, ausgedehnte Gefahrstoffwolken für die Vermessung möglichst schnell umfliegen zu können. Das bedeutet nicht nur einen effizienten Antrieb, sondern auch Ausdauer für die langen Strecken. „Dies lässt sich mit einem Flächenfluggerät besser realisieren als mit einem Multicopter“, erläutert Projektingenieur Kai Kemke. „Auch ist hier mit einer geringeren Lärmbelastung und niedrigen Vibrationswerten für den Sensor zu rechnen.“

Das manntragende Vorbild e-Genius wurde 2011 vorgestellt. Es hat eine batterieelektrische Reichweite von mehr als 400 Kilometer und hält bis heute zahlreiche Rekorde in seiner Klasse, geflogen von Weltrekord-Pilot Klaus Ohlmann. Der arbeitet als Test- und Entwicklungspilot eng mit M&D und Kasaero zusammen; über eine Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) konnte er in den vergangenen Jahren wichtige Erkenntnisse über atmosphärische Wellen insbesondere in Gebirgen sammeln, die der Zivilluftfahrt immer wieder zu schaffen machen. Solche Messflüge im Hochgebirge können bislang nur bemannt stattfinden. „Die Perspektive, Höhenrekorde künftig möglicherweise auch autonom mit Erfahrungen aus Projekten wie protex.one zu erzielen, ist verlockend“, Ohlmann.