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Mord

Fall Hoßkirch: Alles auf Anfang

Hosskirch / Lesedauer: 7 min

Schöffin befangen: Verhandlung vor dem Landgericht Ravensburg über einen mutmaßlichen Beziehungsmord in Hoßkirch muss am 17. Mai von neuem gestartet werden.
Veröffentlicht:03.04.2018, 19:40

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Die Verhandlung über einen mutmaßlichen Mord in Hoßkirch (Kreis Ravensburg ) war nahezu abgeschlossen, nun muss er komplett von vorne beginnen. Denn das Landgericht Ravensburg hat erstmals eine Schöffin für befangen erklärt. Diese soll zu vertraut mit einer Nebenklägerin gesprochen haben.

Am 14. Verhandlungstag ging es nicht darum, den Fall vor den Richtern zu schildern, sondern um das Verhalten einer Schöffin. Die Verteidigung stellte den Antrag, diese wegen Befangenheit auszuschließen, weil sie in einem Gespräch mit der Nebenklägerin – der Mutter der Getöteten – sehr vertraut gewirkt habe. Wie Franz Bernhard , der Pressesprecher des Landgerichts Ravensburg sagte, habe sich herausgestellt, dass sie nach der Verhandlung am 9. März beim Verlassen des Gebäudes auf die Nebenklägerin zugegangen sei und ein Gespräch begonnen habe. Darin soll es auch um die Familie sowie die Kinder der Getöteten und des Beschuldigten gegangen sein. Dabei wurde sie von Angehörigen des Beschuldigten beobachtet.

Mit Blick auf den Todestag, der sich jüngst jährte, und mit Blick auf die Tatsache, dass die Schöffin sich mit dem Tod der Mutter und dessen Folgen für die Familie auseinandergesetzt habe, könne einem das schon komisch vorkommen, sagte Bernhard. Dabei gehe es letztendlich gar nicht darum, ob die Schöffin tatsächlich befangen sei, sondern um den äußeren Eindruck. „Denn durch den entsteht die Besorgnis, dass sie befangen sein könnte und die Verfahrensrechte des Angeklagten nicht mehr gewahrt sind. Damit sind wir in einem gewissen Graubereich und das reicht aus, um den Prozess zu kippen“, sagte Bernhard.

Die bislang entstandenen Kosten kann er nicht beziffern. „Ich schätze, dass es zigtausende Euro sind. Die spielen bei der Entscheidung der Kammer aber keine Rolle. Denn der Angeklagte hat ein Recht auf einen sauber verhandelten Prozess.“ Die Schöffin selbst wollte sich zum Sachverhalt auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“ nicht äußern.

Ein grausiger Fund

An einem Sonntagmorgen Ende Februar 2017 macht ein Spaziergänger auf einem Feld am Gemeindeverbindungsweg zwischen Hoßkirch und Ostrach-Tafertsweiler einen grausigen Fund. Eine Frau sitzt tot auf dem Fahrersitz eines Mercedes Vito , der Motor läuft, die Heizung ist voll aufgedreht. Rund hundert Meter entfernt liegt ein Mann – schwer verletzt und bewusstlos. Verkehrsunfall oder Gewaltverbrechen?

Schon in den nächsten Tagen geben die ersten Ermittlungen Aufschluss, was sich in der Nacht vom 26. auf den 27. Februar im oberschwäbischen Dorf Hoßkirch ereignet haben könnte: ein Familiendrama. Die Getötete ist die Ehefrau des schwer verletzten Mannes und wurde laut Obduktion erwürgt. Der 34-Jährige liegt im Koma, steht unter Tatverdacht. Die Kriminalpolizei versiegelt das Haus der Familie, um die Kinder des Paares – damals zwei und drei Jahre alt – kümmern sich Angehörige. Der Schock in dem 720 Einwohner zählenden Dorf ist groß. Der Narrenverein sagt die restlichen Fasnetsveranstaltungen ab, fällt in aller Stille und in Zivil den Narrenbaum.

Rund einen Monat nach dem Vorfall erwacht der Mann aus dem Koma, ist wegen seiner schweren Schädel-Hirnverletzungen noch nicht vernehmungsfähig. Doch schon kurz darauf muss er vor den Haftrichter treten, beruft sich auf sein Aussageverweigerungsrecht. Aufgrund des dringenden Tatverdachts muss er in Untersuchungshaft. Im Juli 2017 erhebt die Staatsanwaltschaft Ravensburg Anklage wegen Mordes. Sie wirft dem 34-Jährigen vor, seine 30-jährige Frau er- würgt und versucht zu haben, die Tat mittels eines Autounfalls zu vertuschen. Sowohl Obduktion als auch kriminaltechnische Untersuchungen belegten dies. Anhaltspunkte, dass weitere Personen an der Tat beteiligt sind, gibt es nicht. Zwischen den Eheleuten soll es erhebliche Trennungsstreitigkeiten gegeben haben, der Mann soll eine außereheliche Beziehung gehabt haben. Der 34-Jährige bestreitet die Tat, gibt an, sich nicht zu erinnern.

Im November beginnt vor dem Landgericht Ravensburg der Prozess. Als Nebenkläger treten die Eltern sowie der Bruder der Getöteten auf. Im Verlauf der Verhandlungen werden immer mehr Details zu dem Vorfall und dem Privatleben des Paares öffentlich. Einem Rechtsmediziner zufolge wurde die 30-Jährige zweifelsfrei erstickt, wies keinerlei Verletzungen auf, die auf einen Verkehrsunfall hindeuten würden. Eine kriminaltechnische Untersuchung erbrachte relativ frische Blutspuren im Eingangsbereich des Wohnhauses in Hoßkirch. In einer Garderobenschublade sowie einer Tasche des Angeklagten fanden Ermittler blutverschmierte Frischhaltefolie, außerdem 17 ausgerissene Haare der Getöteten an Fleecehandschuhen. Textilfaserspuren deuten darauf hin, dass der Angeklagte die Frau getragen und auf die Rückbank des Mercedes Vito gelegt hat.

Ein Gutachter zeigt anhand eines Videos, dass sich das Automatikfahrzeug auch vom Beifahrersitz aus fahren und steuern lässt. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte sich bei dieser Unfallinszenierung seine schweren Verletzungen zugezogen hat.

Die Mutter der Getöteten und Freundinnen sagen aus, dass der Angeklagte seine Frau zuvor schon mal gewürgt haben soll. Ihr Mann habe außerdem gedroht, ihr im Fall einer Trennung die Kinder wegzunehmen. Ein weiterer Streitpunkt: Das enge Verhältnis der 30-Jährigen zu ihrer Familie in Konstanz. Eifersüchtig sei der Angeklagte auf diese enge Bindung gewesen. Auch die Freundin des Angeklagten sagt vor Gericht aus, beschreibt den Mann als fürsorglich. Ihr gegenüber soll er auch erwähnt haben, dass er in seiner Ehe unglücklich sei. Die Freundin beharrte aber auf klaren Verhältnissen, wollte sich nicht auf eine Beziehung einlassen, solange er noch mit seiner Frau zusammenlebte.

Hoßkirchs Bürgermeister Roland Haug muss ebenfalls aussagen. Bei einer Durchsuchung des Wohnhauses soll er Kriminalbeamten von einem Gespräch mit dem Vater des Angeklagten berichtet haben. Dieser habe seinen Sohn dabei als jähzornig beschrieben. Vor Gericht allerdings widerspricht er den Aussagen der Kriminalbeamten. Das Gespräch soll gar nicht stattgefunden haben.

Jetzt muss neuverhandelt werden. Vergleichbare Vorfälle sind Bernhard bislang nicht bekannt, Befangenheitsanträge gebe es in der Regel nur gegen die Berufsrichter. Um einen Prozess nicht durch solche Ereignisse zu gefährden, werden Schöffen stets sorgfältig geschult. „Wir predigen immer wieder, dass sie Kontakt zu Prozessbeteiligten meiden und nicht über den Fall sprechen sollen.“ Die Tat an sich sei natürlich etwas, das emotional berühre. „Aber dazu müssen Berufsrichter und auch Laienrichter wie ein Schöffe eine professionelle Distanz wahren.“ Die Schöffin einfach zu ersetzen, sei nicht möglich, da die neue Person vom bisherigen Prozessverlauf nichts mitbekommen hat.

Der Auftakt ist für Donnerstag, 17. Mai, 13 Uhr, geplant. Insgesamt sind vorerst zwölf Verhandlungstage angesetzt:

  • Am 7., 14., 18., 25., 29. Juni jeweils ab 9.20 Uhr
  • Außerdem am 2., 19., 20., 23., 30. und 31. Juli jeweils ab 9.20 Uhr

Bernhard erwartet aber nicht, dass der Prozess nun viel straffer verlaufen wird. „Es muss alles in der gleichen Intensität erörtert werden.“ Einfluss auf die Wahl der Schöffen hat das Landgericht für die Verhandlung nicht. Denn diese werden für einen gewissen Zeitraum vom jeweiligen Landkreis gewählt, den jeweiligen Gerichtsfällen zugelost.

Bundesweit steht bald die nächste Schöffenwahl an. Noch bis zum 4. Mai können sich Interessenten, die im Gericht als Vertreter des Volkes an der Rechtsprechung in Strafsachen urteilen wollen, für die Amtszeit von 2019 bis 2023 bewerben. Juristische Kenntnisse sind nicht erforderlich, wohl aber Verantwortungsbewusstsein.

Ob der Vorfall mit der Schöffin in Ravensburg das Interesse von Bürgern am Schöffenamt beeinflussen wird, kann Bernhard nicht abschätzen. „Klar ist, dass sie der Aufgabe zeitlich und emotional gewachsen sein müssen. In diesem Fall war die Emotionalität des Problem“, sagt der Pressesprecher.