StartseiteRegionalRegion SigmaringenHohentengenZwischen Vergangenheitsbewältigung und EU-Politik der Zukunft

Vergangenheitsbewältigung

Zwischen Vergangenheitsbewältigung und EU-Politik der Zukunft

Hohentengen / Lesedauer: 5 min

Mitglieder des Partnerschaftsverein Hohentengen und ihre französischen Freunde erneuern Partnerschaft an historischer Gedenkstätte
Veröffentlicht:11.07.2018, 16:26

Artikel teilen:

Eine deutsch-französische Gruppe, bestehend aus 19 Teilnehmer des Comite Jumelage der Partnergemeinden aus St. Gervais d`Auvernge und 22 Mitgliedern des Partnerschaftsvereins Hohentengen-Göge, ist der Einladung von Maria Heubuch, der Europaabgeordneten der Grünen, ins Europäische Parlament nach Straßburg gefolgt. Die Gruppen verbrachten die Tage vom 3. bis 6. Juli gemeinsam und besuchten neben Straßburg auch Uffholz sowie die Gedenkstätte am Hartmannsweilerkopf.

In Straßburg wurden die Gruppen vom Leiter des Besuchsdienstes im Europäischen Parlament, Axel Heyer, empfangen. Es habe ihn angesprochen, dass interessierte Personen aus beiden Partnergemeinden gemeinsam das Parlament besuchen, sagte er. Kompetent und zweisprachig erklärte er den Anwesenden die Aufgaben des Parlamentes und die der europäischen Institutionen. Europa sei eine demokratische Einrichtung, in der viel diskutiert und um eine Einigung oft lange gestritten werde. Er erläuterte den Meinungsbildungsprozess und den gesetzgeberischen Weg zwischen dem Rat, der Kommission und dem Parlament. Anschließend könne jedes Mitgliedsland die Beschlüsse in nationales Recht beschließen.

Europapolitiker seien Diplomaten, sie dürfen nicht polarisieren, sie suchen den Kompromiss, versuchte Heyer den Politkstil zu erläutern. Ja, Europa sei eine schwierige Konstruktion. Und dennoch: Sie habe die demokratische und wirtschaftliche Entwicklung gestärkt und 70 Jahre Frieden gesichert. Europa brauche das Engagement der Bürger, insbesondere der jungen Generation. In England habe es sich gezeigt, dass bei der entscheidenden Abstimmung zum Brexit viele junge Wähler nicht gewählt haben. Heute würden 83 Prozent der jungen Wähler für Europa stimmen. Heyer ist es gelungen, französische und deutsche Exkursionsteilnehmer für das vereinte Europa zu begeistern.

Heubach erklärt Agrarpolitik

Die Europaabgeordnete Maria Heubuch bedankte sich für das Interesse der Besuchergruppe. Sie freue sich über die deutsch-französischen Gemeindepartnerschaften als „Brückenbauer“ des geeinten Europas. Dieses Europa habe es derzeit nicht leicht. Egoistisches Denken, nationalstaatliche Bestrebungen und mangelnde Solidarität würden es bedrohen, weshalb sich alle für dieses Europa einsetzen müssten. Heubuch ist Fachfrau für Landwirtschaft, Umwelt und ländlichen Raum. So ging sie ausführlich auf die gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union ein. Sie erläuterte die Vorschläge von EU-Agrarkommissar Hogan und widersprach wesentlichen Elementen. So sei neben einer zu erwartenden generellen Kürzung der Mittel um bis zu 15 Prozent die Verteilung zwischen der ersten Säule ( Flächenprämie pro ha) und der zweiten Säule (Förderung der ländlichen Räume, Agrarumwelt, Klimaschutz, Tierwohl und Landschaftspflege), verbesserungswürdig. Gerade die zweite Säule müsse gestärkt und nicht überproportional gekürzt werden. Mit den Maßnahmen würden Steuerungsinstrumente zum Wohl der Tiere, der Bodengesundheit, des Wasserschutzes und der Biodiversität geschaffen.

Einen weiteren wichtigen Schwerpunkt sieht Maria Heubuch in der Zusammenarbeit mit den afrikanischen Staaten. „Wir müssen vermeiden, dass die Ausfuhren von landwirtschaftlichen Produkten in die afrikanischen Länder dessen Märkte und damit die Lebensgrundlagen vieler Familien zerstören“, sagte sie. Im Gegensatz zu europäischen Bauern gebe es für afrikanische Familienbetriebe keine Alternative. Sie stellte klar, dass die afrikanischen Flüchtlinge aus wirtschaftlicher Not und Perspektivlosigkeit nach Europa streben. Eine gute EU-Agrarpolitik könne helfen, die Fluchtursachen zu mildern. Nathalie Buck hat in beeindruckender Weise die Ausführungen von Maria Heubuch für die französischen Freunde übersetzt.

Kaum Abgeordnete anwesend

Ein weiterer Höhepunkt war der Besuch im Plenum des europäischen Parlamentes. Die aktuelle Debatte im Beisein von Ratspräsident Tusk und Junker, dem Präsidenten des Parlamentes , wurde über die letzten Ratsbeschlüsse der Staatsoberhäupter geführt. Schockiert waren die Besucher, dass trotz des aktuellen Themas, von den insgesamt 751 Abgeordneten maximal 20 anwesend waren. Vor einem fast leeren Plenarsaal, bei der konservativen und der sozialdemokratischen Fraktion waren es jeweils nur drei Abgeordnete.

Auf Vermittlung von Kreisarchivar Edwin Ernst Weber konnte der Kontakt zu Jean-Paul Welterlen, dem Bürgermeister der französischen Gemeinde Uffholz, hergestellt werden. Die Ausstellung im „Abri Memoire“, einem ehemaligen deutschen Sanitätsunterstand, war der Auftakt und die Grundlage für den Versuch die deutsch-französische Geschichte von 1914 bis 1918 zu verstehen und sich des Grauens, des sinnlosen Tötens, zu erinnern. Die zweisprachige Führung durch sehr engagierte und sachkundige Museumsführer ermöglichte den Teilnehmern das Vergangene zu begreifen. Insbesondere die über 800 Briefe eines französischen Soldaten an seine Familie haben die ausweglose Situation der einzelnen Soldaten widergespiegelt.

Zeichungen aus Sigmaringen

Das kleine Museum in Uffholz ist auch eine Stätte der Begegnungen von Jugendlichen und Künstlern beider Länder. So lernen Schülergruppen durch das Lesen und Analysieren der Briefe die persönlichen Schicksale und die letztendliche Sinnlosigkeit des Krieges kennen. Zeichnungen aus den Kriegsjahren von Xaver Henselmann, einem deutschen Soldaten, Architekten und Künstler aus Sigmaringen-Laiz, sind derzeit im „Abri Memoire“ ausgestellt. Das am 10. November 2017 von den beiden Staatspräsidenten Macron und Steinmeier eröffnete Museum am Hartmannsweilerkopf ist eine neue Möglichkeit, die Vergangenheit zu verstehen. Ein futuristisches Gebäude mit sehr gelunger Ausstellungsmethodik sprechen die Besucher an. Die durchgängigen deutsch-französische Informationstafeln erleichtern das Verständnis und die Erinnerung. Die Gedenkstätte, nahe dem ehemaligen Schlachtfeld, ist nunmehr eine Gedenkstätte der Toten beider Länder. Schlachtfeld, Todesberg, Menschenfresser - schlimme Worte. Ein Ort des Nachdenkens über das Leid beider Völker.

Das Comite Jumelage de „Coeur de Combrailles“ und der Partnerschaftsverein Hohentengen haben symbolisch ihre Gemeindepartnerschaft an dieser historischen Stätte erneuert. Diese gemeinsame Exkursion war für beide Delegationen ein wertvolles und ganz besonderes Erlebnis.