StartseiteRegionalOberschwabenWolfeggOettinger in Wolfegg: Kein Acker soll mehr im Funkloch liegen

Bauernverband

Oettinger in Wolfegg: Kein Acker soll mehr im Funkloch liegen

Wolfegg / Lesedauer: 4 min

Der EU-Kommissar aus Brüssel spricht beim Bauernverband über die Lage der Landwirtschaft
Veröffentlicht:19.01.2018, 19:00

Artikel teilen:

EU-Kommissar Günther Oettinger ist am Freitag bei der Jahreshauptversammlung des Bauernverbandes Allgäu-Oberschwaben in Wolfegg als Redner geladen gewesen. Und was soll man sagen: Der Schwabe kam (äußerst pünktlich). Sah (gut aus). Und siegte. Mit schmissigen Parolen, seinem charmanten Schwäbisch-Englisch und großer Empathie für die etwa 120 Landwirte im Publikum.

Fleißige Damen offerieren Weißwürste, die Organisatoren haben sich für eine Erweiterung des klassischen Getränke-Trios (Kaffee, Wasser, Schorle) um ein ordentliches Bier entschieden, die Musikkapelle spielt. In der Wolfegger Gemeindehalle sind längst nicht alle Plätze belegt, manches Mitglied mag der Jahreshauptversammlung fern geblieben sein, weil das Wetter einen Buckel zu machen drohte, mancher, weil er sich von der Grünen Woche in Berlin mehr versprach als von einem Kurzauftritt des amtierenden EU-Kommissars für Haushalt und Personal zum Thema „Fortentwicklung der gemeinsamen Agrarpolitik unter geänderten finanziellen Rahmenbedingungen“.

Bauernverbandsvorsitzender Waldemar Westermayer jedenfalls begrüßt die anwesenden Mitglieder und Honoratioren: vom Landtagsabgeordneten August Schuler über Landrat Harald Sievers bis hin zur Stellvertretenden Kreisvorsitzenden der Landfrauen und der amtierenden Käsekönigin. Westermayer spricht von „Landwirtschaft 4.0“, vom Düngegesetz, dem Baurecht und der Biberproblematik, gibt einen kurzen Ausblick auf die drohende afrikanische Schweinepest, er katapultiert Stichworte wie Bauernwald, Obstbau und Agrargymnasium in die Zuhörerschaft, bevor er das Mikrofon dem EU-Kommissar überlässt.

Warnung vor Kohleausstieg

Dass Oettinger lediglich mit einem handgeschriebenen Stichwort-Zettel und einer Ausgabe der gestrigen Tageszeitung auf die Bühne geht und gänzlich ohne Personenschützer, sondern nur mit bulgarischem Fahrer angereist ist, dass er vorab noch einen kleinen Schluck vom Bierchen genommen hat und sich nach wie vor nicht scheut, auch Anglizismen über die schwäbische Zunge rollen zu lassen – das macht ihn nahbar, authentisch und sympathisch. Ungeachtet der Meldungen, die er mitgebracht hat. Ungeachtet der für viele etwas weit hergeholten Vergleiche aus dem Segler-Jargon, wenn er von „Wende“, „Halse“ und „Wendehälsen“ spricht.

Dabei sind die Nachrichten, die Oettinger im Gepäck hat, gar nicht so finster. Er warnt vor dem Kohleausstieg – auch mit dem Blick auf die europaweit an zweithöchster Stelle rangierenden deutschen Stromkosten. Er befürwortet die Agrarwende – vorausgesetzt, man habe eine „kluge Strategie und Argumente“. Beifall findet im Publikum die anstehende Entscheidung, die Förderanträge zu „vereinfachen“. Oettinger zählt auf, was mit dem EU-Austritt des Nettozahlers Großbritannien wegfallen wird: nämlich 12 bis 13 Milliarden. Und kommt dadurch unweigerlich auf „gewisse Kürzungen“ zu sprechen, die „unausweichlich“ seien und eine Einsparung bei den Ausgaben von zehn Prozent nötig machen werden.

Zur allgegenwärtigen Glyphosat-Diskussion hat Oettinger eine klare Meinung: „Der gezielte Einsatz von chemischen Produkten wird in der Landwirtschaft weiter notwendig sein“, und er fordert die Landwirte auf, die Kunden und Verbraucher offensiv darüber aufzuklären. „Denn die Rückkehr in die vermeintlich heile Welt unserer Großeltern ist nicht möglich“, so der EU-Kommissar. Den nächsten Applaus der Zuhörer holt sich Oettinger mit seinem Bekenntnis zur Aus- und Weiterbildung von jungen Landwirten ab. Und auch das „digital farming“, von Oettinger mit diesem ihm eigenen Zungenschlag prononciert, soll und wird kommen: „Glasfaser und 5G, damit kein Acker mehr im Funkloch liegt“, so die schmissige Parole.

Oettinger macht schließlich noch den großen, den globalen Bogen. Er fragt, was Europa denn sein soll, wenn „America first“ gilt? Er weist auf die instabile Nachbarschaft der EU hin, mit Nachbarn wie Libyen, Eritrea, Syrien, Irak und Afghanistan, holt aus mit weitem Handgestus, als er davon spricht, dass China die Welt übernehmen wird – „wenn wir nicht aufpassen, die Halbdiktatoren Marke Ankara und Moskau nicht kontrollieren können“. Und Oettinger spricht von der „Gottesgnade oder dem Glück“, das uns widerfahren sei, dass wir hier und nicht in ein Kriegsgebiet wie Mali hineingeboren worden sind.

Die Essenz kommt, wie immer, ganz zum Schluss der Rede: „Europa muss sich jetzt formieren“, fordert Oettinger und beschwört: „Raus aus Klein-Klein, rein in die Verantwortung!“ Auf dass unsere Kinder einmal sagen könnten, wir hätten es „doch nicht so dackelhaft“ gemacht. Denn was wir – die Deutschen? Oder meint er die Schwaben? – aus unseren Böden holen können („Zuckerrüben, Weizen, Trollinger“) – reiche gerade mal für einen Stehempfang.